Serie "Hinter den Kulissen": Chronistin Hunderter Verabredungen
Man sieht nur die im Lichte, heißt es in der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht: „Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Und man weiß auch zu wenig über sie: über die Kuratorin und den Lektor, die Souffleuse und den Tontechniker, die Disponentin und den Korrepetitor, die Sensalin und den Kustos, die Stimmtrainerin und den Bühnenbildner, die Agentin und den Roadie. Wir wollen Ihnen daher in den nächsten Wochen einige Berufe im Kulturbetrieb vorstellen – immer anhand einer konkreten Person.
Zum Auftakt der Serie „Hinter den Kulissen“ treffen wir Mechthild Harnischmacher. Sie ist Regieassistentin am Burgtheater. Schon ihr Name macht Staunen. „Wir haben tatsächlich einen Stammbaum bis ins Mittelalter zurück“, erklärt sie. „In unserer Familie ist es daher Tradition, dass alle alte Vornamen bekommen – damit es besser zusammenpasst.“
Mechthild Harnischmacher, geboren 1991 in München, begann bereits in der Oberstufe, kleinere Stücke zu schreiben und diese mit jüngeren Mitschülern aufzuführen: „Ich arbeitete auch mit Kindern, die sonderpädagogischen Förderbedarf hatten. Und ich merkte, wie viel ihnen das Theaterspielen bringt. Aber ich sah das als Hobby. Ich hätte nicht gedacht, dass man das beruflich machen kann.“
Theater unter Palmen
Nach dem „Abi“, also der Matura, war sie ein wenig ratlos. Und so ging sie für ein Jahr nach Tansania. „Ich hab’ dort mit 100 Kindern unter den Palmen Theater gespielt. Das hat so Spaß gemacht!“
Danach absolvierte sie in ihrer Heimatstadt ein Praktikum beim Film: „Cool, aber das ist es nicht. Denn die Abläufe sind derart durchstrukturiert, das war mir viel zu unkreativ.“ Was also tun? „Ich wollte nicht Lehramt, Psychologie oder Jura studieren. Daher machte ich etwas Vernünftiges: von 2012 bis 2015 eine Hotelfachausbildung am Bayerischen Hof.“
Und dann inskribierte sie doch noch – Germanistik und Geografie. Einer Vortragenden fiel bei der Dramenanalyse das Talent von Mechthild Harnischmacher auf: „Sie fragte mich, ob ich nicht eher ans Theater möchte. Und riet mir, eine Hospitanz zu machen.“ Das machte sie auch – am Münchner Volkstheater. „Und von dort wurde ich ans Residenztheater empfohlen.“
Sie hospitierte bei David Bösch und in der Folge beim damaligen Intendanten Martin Kušej. Während der Proben zu Friedrich Schillers „Don Karlos“ fiel die Regieassistentin aus. Kušej fragte Mechthild Harnischmacher, ob sie nicht einspringen könne. Und danach, ob sie nicht mit ans Burgtheater möchte. Wien kannte sie nicht: „Ich war nur einmal als Touri hier.“ Sie brauchte nicht zweimal nachzudenken.
Und was genau ist die Arbeit? „Man schreibt zum Beispiel das Regiebuch.“ In diesem wird festgehalten, was auf der Bühne passiert: Wann setzt die Musik ein? Bei welchem Stichwort – neudeutsch „Cue“ – tritt wer wie auf? „Und man muss natürlich auch alle Textänderungen eintragen.“ Mitunter gibt es massive Veränderungen, weil ein Regisseur alles umschmeißt. „Ich kann – Gott sei dank – mit zehn Fingern tippen!“ Aber man sollte, erklärt Mechthild Harnischmacher, keine Version löschen. Denn es kommt immer wieder vor, dass der Regisseur fragt: „Wie hab’ ich es eigentlich vorgestern gemacht?“
Ansprechpartner für alle
Ein Regieassistent unterstützt aber nicht nur den Regisseur: „Man ist der Ansprechpartner und Koordinator für alle Abteilungen.“ Man leitet auch die Proben von bereits erarbeiteten Szenen (etwa mit Komparsen) und leistet psychologische Betreuung.
„Man braucht ein dickes Fell!“, weiß Mechthild Harnischmacher. Weil Regisseure mitunter explodieren. „Aber in der Gastro war es mit den Köchen viel schlimmer!“
#MeToo-Erfahrungen habe sie aber nicht machen müssen. Jedenfalls nicht am Theater. Da habe sich schon viel geändert: „Wenn die älteren Kolleginnen erzählen, wie es früher war, bin ich froh, erst jetzt mit dabei zu sein!“
Als Regieassistentin hat Mechthild Harnischmacher auch die Abendspielleitung samt Spielverpflichtung inne. Sie überwacht daher bei „ihren“ Produktionen die Abläufe während der Vorstellung. „Nach der Premiere sind die Regisseure weg. Wir müssen darauf achten, dass die Schauspieler beim Text und in der Zeit bleiben. Denn es passiert immer wieder, dass sie Szenen auszuspielen beginnen. Dann wird die Vorstellung immer länger.“
Großes Fehlerpotenzial
Mechthild Harnischmacher kontrolliert auch, ob alle Requisiten am richtigen Platz sind. Und sie bespricht sich mit dem Inspizienten, der seitlich neben der Bühne an einem riesigen Pult mit vielen Monitoren sitzt und für den technischen Ablauf zuständig ist. Er gibt die Kommandos. Keiner darf eigenständig „fahren“, also zum Beispiel den Vorhang heben. „Denn sonst wäre das Fehlerpotenzial zu groß.“ Denn Theater ist ein sehr komplexer Ablauf – mit Licht, Ton, Kulissen, Requisiten und natürlich den Schauspielern: Es gibt Hunderte „Verabredungen“.
Stress kommt auf, wenn die Drehbühne ausfällt. Oder wenn sich jemand verletzt.
Und wenn ein Schauspieler ausfällt, könnte Mechthild Harnischmacher einspringen. Notfalls mit dem Textbuch in der Hand. „Aber man kann, weil man ohnedies immer bei den Proben war, die Passagen eigentlich auswendig.“
Derzeit assistiert sie Simon Stone. Dessen Stück „Komplizen“, eine Verzahnung der in die Gegenwart verlegten Maxim-Gorki-Dramen „Kinder der Sonne“ und „Feinde“, wird am 26. September in der Burg uraufgeführt. Das Ziel von Mechthild Harnischmacher ist aber natürlich, selbst Regie zu führen. Im Herbst hat sie – als Abschluss der Assistenzzeit – die erste Gelegenheit dazu: Sie inszeniert für das Vestibül „Ich, Ikarus“, ein preisgekröntes Stück für Kinder von Oliver Schmaering.
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