Waffenshops offen, Buchhandlungen zu: "Schmerzhafte" Debatte um Handel
Von der Corona-Pandemie werden viele Bilder bleiben: von überlasteten Intensivstationen, exponentiellen Kurven, ernsten Politikermienen hinter Plexiglas. Auch Wortbilder für die Geschichtsbücher gibt es: „Hammer und Tanz“, oder „Jeder wird jemanden kennen …“.
Nun könnte sich zu diesen Bildern noch ein Selbst-Bild gesellen, das die Komplexität des zweiten Lockdowns auf den Punkt bringt: In der Kulturnation Österreich dürfen zwar die Waffenhandlungen offen halten, Buchhandlungen und Büchereien jedoch nicht. Man darf sie nicht einmal kontaktfrei abholen. Das ist rechtlich begründet (siehe unten).
Es ist aber auch, darüber hinaus, ein politisches Selbstporträt eines Landes – oder kann zumindest als solches interpretiert werden, nicht nur, aber auch von der Opposition.
Denn nach jeder PISA-Studie und in jeder Ausländerdebatte sind Politik und Land mit sich einig, dass Österreich nur florieren kann (Blumen dürfen übrigens auch nicht abgeholt werden!), wenn die jungen Menschen gut gebildet sind. Der Niedergang des Lesens wird allseits beklagt. Doch der Stellenwert ist politisch nicht ertragreich genug, um ein Zeichen zu setzen – und den Buchhandel von der Sperre auszunehmen. Da könne jeder kommen, wird argumentiert. Juristisch richtig, gesellschaftspolitisch vielleicht nicht.
Natürlich kann man für einige Wochen auf den Buchkauf verzichten. Und Buchhändler sind finanziell durch eine großzügige Umsatzausgleichsregelung besser bedient, als mit halboffenen Läden. Der Gesundheitsminister aber will „prüfen“, ob es nicht doch eine Ausnahme geben könnte. Und das politische Selbst-Bild umgezeichnet werden kann.
In der mit 17. November in Kraft getretenen „COVID-19-Notmaßnahmenverordnung“ werden die Schließungen im Handel für den Lockdown geregelt – und die Ausnahmen. Offen bleiben der Lebensmittelhandel sowie der Gesundheitsbereich, der Agrar- und Tierfutterhandel, Tankstellen, Banken, die Post, Trafiken, Fahrrad- und Kfz-Werkstätten oder Handyshops.
Die Öffnungszeiten sind auf 6 bis 19 Uhr limitiert. Der Buchhandel ist von den Ausnahmen nicht erfasst
Schusswaffenhändler "würde lieber zusperren"
Wie bei den letzten Änderungen der Covid-Notmaßnahmenverordnung gibt es auch diesmal wieder einen großen Interpretationsspielraum. Dieser führt zu manch kuriosen Situationen, so darf der Waffenhandel offen haben.
Möglich macht das Paragraf 5, denn dort sind zahlreiche Ausnahmen für die angeordneten Geschäftsschließungen formuliert. Erlaubt ist da etwa der Verkauf von sogenannten Sicherheits- und Notfall-Produkten. Diese sind aber nicht näher definiert, so genau kann niemand erklären, was damit eigentlich gemeint ist. Diese schwammige Formulierung könnte etwa zu Rechtsstreitigkeiten führen. Selbst bei der Polizei ist der Umgang damit noch unklar.
Der Waffenhandel sieht sich jedenfalls von dieser Formulierung umfasst. Auch wenn diese vermutlich eher für andere Sachen gedacht gewesen ist. Nachdem es keine rechtliche Definition gibt, muss man sich eventuell mit der Google-Suche zufriedengeben. Bei der Bildsuche findet man, wenn man nach Sicherheitstechnik fahndet, zumindest als 47. Bild eine Pistole. Demnach wäre etwa auch der Verkauf von Rettungsbooten, Absperrbändern, Virenschutzprogrammen oder Alarmanlagen erlaubt.
Unter Notfallprodukte würden etwa fallen: Bachblüten-Tropfen, Augenfremdkörperentferner oder ein Venensucher.
In der Praxis wird sich die Polizei bei der Kontrolle kaum mit Haarspaltereien befassen.
Die Waffenhändler selbst haben jedenfalls keine große Freude damit, dass sie öffnen können bzw. auch müssen.
„Ich würde lieber zusperren, so falle ich um alle Ansprüche um“, sagt ein Waffenverkäufer aus Wien-Meidling. „Es ist nichts los“, sagt auch Heribert Seidler, der ein Waffengeschäft in der Heiligenstädter Straße betreibt.
Offenbar ging es diesmal darum, die Sperren nicht nach Geschäftsgröße, sondern nach der Produktpalette durchzuführen. In Baumärkten dürfen Privatkunden derzeit etwa Tierfutter und ebenfalls Sicherheits- und Notfallprodukte kaufen, aber diesmal keine Blumenerde.
Ein Buch gibt es per Post – oder zum Essen to go
Ulla Harms ist froh, dass sie neben dem Buchkontor am Kriemhildplatz in Wien 15 auch das Café franzundjulius betreibt. Dort nämlich kann sie Speisen to go anbieten – und auch Bücher über den Ladentisch reichen. Reine Buchgeschäfte hingegen dürfen ihre Ware nur versenden – und nicht einmal zum kontaktlosen Abholen anbieten. „Da merkt man, wie absurd die gesetzliche Situation ist“, sagt Harms.
Kritik an dieser gesetzlichen Situation des Buchhandels wurde zuletzt lauter – und entbrennt auch daran, dass Bücher schlechter gestellt sind als Waffen und Schlauchboote. Die Situation ist aber vielschichtig. Während der Fachverband in der Wirtschaftskammer „empört“ ist, dass der Buchhandel weniger darf als Take-Away-Restaurants, sagte der Chef des Buchhandelsverbands, Benedikt Föger: „Wir befürworten Abholstationen für Bücher. Sie dürften aber auf keinen Fall gegen einen höheren Umsatzersatz ins Treffen geführt werden.“
Denn der November-Umsatz 2019 war höher als alles, was Buchhändler jetzt während der Pandemie erzielen können. Ein entsprechend hoher Ausfallsersatz würde den Buchgeschäften also mehr nützen als Abholstationen.
Die Opposition – SPÖ und Neos – schießt sich dennoch auf die Regelung ein. Gesundheitsminister Rudolf Anschober reagierte auf Twitter: „Rechtlich ist das Problem, dass Buchhandlungen Betriebsstätten des Handels sind und eine Öffnung dem Gleichheitsgrundsatz zum restlichen Handel widerspricht. Aber wir prüfen nochmals, ob wir irgendeine Lösung finden.“
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer kündigte eine „gezielte Fördermaßnahme für Digitalisierungsprojekte“ im Buchhandel an. "So schlimm es in vielen Bereichen auch ist: oberstes Ziel muss derzeit die Kontakt- und Mobilitätsreduktion sein, um der hohen Infektionszahlen Herr zu werden", sagt Mayer zum KURIER. "Dazu gehört auch, dass im Moment das Betreten der Kundenbereiche im Handel untersagt ist – und das umfasst auch den Buchhandel, was mich persönlich besonders schmerzt. Das Gesundheitsministerium prüft derzeit, ob eine verfassungsrechtlich tragbare Lösung möglich ist.“
„Es werden definitiv weniger Bücher bestellt als beim ersten Lockdown“, sagt Gabi Zeiser, Besitzerin der Kinderbuchhandlung Lesewelt in der Wiener Josefstadt. „Beim ersten Lockdown dachten viele: ,Jetzt unterstützen wir die kleine Buchhandlung ums Eck.‘ Das ist abgeflacht. Und das macht mir Sorgen."
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