Adventkranz: Das "Klopapier" des zweiten Lockdowns

Kränze binden
"Bücher gegen Waffen": Da kann jeder mitreden und sich empören. Aber es gibt Wichtigeres – etwa eine Behördenreform.
Martina Salomon

Martina Salomon

Dieses Match kann kein Regierungspolitiker gewinnen, schon gar kein Grüner. „Wer braucht schon Bücher, wenn man Waffen kaufen kann?“ höhnt man allerorten. Zustimmung garantiert. Die in die Verantwortung geschleuderten Grünen halten tapfer dagegen: „Wer braucht schon seriöse Politik, wenn auch Populismus geht?“ entgegnete Sozialminister Anschober. Er hat nicht unrecht: „Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten“ gelten als systemrelevant, laut Gerichtsentscheidung fallen auch Waffen darunter. Wobei man da sicher nicht den schießwütigen Nachbarn oder den Wochenend-Hobbyjäger gemeint hat. Gut schaut’s dennoch nicht aus.

Viele Verordnungen wirken in dieser Krise unausgegoren. Und es herrscht Ärger darüber, dass man zwar Schnitzel beim Wirten abholen darf, nicht aber einen Adventkranz oder ein Buch beim Händler seines Vertrauens. Adventkränze abseits der Supermarkt-Massenware haben sich quasi zum „Klopapier“ dieses zweiten Lockdowns entwickelt – auch wenn die Landwirtschaftsministerin beschwichtigt, dass man die Kränze im Gartenbaucenter, beim Lebensmittelhandel oder auf Bauernmärkten erwerben kann. Möge uns also demnächst ein Licht aufgehen – ohne dass die Sicherungen durchbrennen.

Was vergessen wird: Gegenüber anderen, viel strengeren Ländern hat Österreich ohnehin nur einen „Lockdown light“. Das kann man beklagen, weil die Infektionsrate viel zu hoch ist, oder begrüßen, weil niemand „eingesperrt“ wird (wie in Spanien – von Korea oder Taiwan gar nicht zu reden).

Wie in vielen Ländern steht auch die heimische Regierung bei der Pandemie-Bekämpfung mit dem Rücken zur Wand. Deutschland hat es besser, weil vorsichtiger gemacht, kämpft aber mit aggressivem Gegenwind empörter Gegner (u. a. unter dem Titel „Querdenken“). Australien hat kaum Fälle, ist aber ein vom Ozean umspülter Kontinent und sperrt Einreisende auf eigene Kosten 14 Tage in (polizeilich bewachte!) Hotels. Schweden ging den umgekehrten Weg, „bezahlte“ jedoch mit hoher Todesrate. Und den USA (die derzeit deutlich weniger Infizierte in Relation zur Bevölkerung haben als wir) werden wieder massiv steigende Probleme prognostiziert.

So gesehen ist die Debatte Bücher gegen Waffen eher eine „Nebenfront“. Viel wichtiger wäre eine Reform unseres aus dem 19. Jahrhundert stammenden Behördenwesens mit all seinen zersplitterten Kompetenzen, das dieser Situation nicht gewachsen ist. Und vielleicht sollte die Koalition wieder auf das Modell der Vorgängerregierung zurückkommen, die einen guten Regierungssprecher hatte. Er/Sie könnte nüchtern die Lage erläutern, ohne wie die Minister Angriffsfläche zu bieten. Wir würden uns die (über-)inszenierten Quartette und die hyperventilierende Kritik daran sparen.

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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