Veronica Kaup-Hasler: "Bin nicht die Gouvernante der Kulturnation"
Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer verzichtet in diesen Tagen auf den Besuch von Veranstaltungen, um ein Zeichen der Solidarität mit jenen zu setzen, die gerne gehen würden, aber aufgrund der Pandemie nicht dürfen. Sie war daher auch nicht in der Staatsoper bei der TV-Aufzeichnung von „La traviata“.
Veronica Kaup-Hasler hingegen wurde unlängst im Theater an der Wien gesehen – bei der Aufführung von „Der feurige Engel“ für die Kameras und Kritiker. Den Vorwurf, dem Kulturgenuss zu frönen, empfindet die Wiener Kulturstadträtin als Unterstellung: „Ja, hier trifft sich Pflicht und Genuss. Es ist auch meine Aufgabe, ein Zeichen der Solidarität mit den Künstlern zu setzen. Sie müssen jetzt vor leeren Häuser spielen. Mit meiner Anwesenheit gebe ich zu verstehen, dass Kunst und Kultur wahrgenommen werden.“
Das Interview dreht sich natürlich um die Auswirkungen von Corona. Grüne und ÖVP trugen letztes Jahr den Vorschlag, Arbeitsstipendien auszuschreiben, mit. Den Antrag der Grünen, diese Maßnahme heuer fortzuführen, lehnt Kaup-Hasler aber ab. Sie argumentiert, dass Förderungen des Kulturamts nicht mit Sozialleistungen verwechselt werden dürften.
KURIER: Ist das sozialdemokratische Kulturpolitik – in einer Zeit, in der freie Künstler kaum Möglichkeiten haben, Geld zu verdienen?
Veronica Kaup-Hasler: Eine kluge Kulturpolitik – jenseits jeder Ideologie – setzt Maßnahmen dort, wo sie dringend nötig sind. Die Arbeitsstipendien wurden zu einem Zeitpunkt ausgeschrieben, als der Bund noch völlig ausgelassen hatte. Wir haben 2.310 Arbeitsstipendien – zusätzlich zu den 5.000 Anträgen jährlich – bewilligt. Mit einem milden Blick auf die Beurteilungen. Aber eine solche Flut an Anträgen abzuwickeln, das ist eine Überforderung des Systems. Das geht nur einmal. Würde ich dieses Tool perpetuieren, würden mir die Beamten, überzeichnet gesprochen, aus dem Fenster springen. In der Zwischenzeit habe ich im Dialog mit Andrea Mayer durchgesetzt, die Maßnahmen des Bundes zu ergänzen und zu verbessern. Die Stipendien in der jetzigen Situation zu wiederholen, nur weil es einfach ist: Das wäre Populismus. Wir setzen das Geld lieber dort ein, wo jetzt die Nöte sind.
Wo sind die Nöte jetzt?
Es fehlt an Räumen. Wir haben etwa Volkshochschulen geöffnet, damit dort Musiker proben können. Oder wir haben Start-Ateliers geschaffen und das Ankaufsbudget für bildende Kunst erhöht. Dazu bauen wir den Kultursommer aus: Es wird mehr Bühnen und doppelt so viele Veranstaltungen geben. Das hilft der Szene und kommt dem Publikum und den Künstlern zugute. Der Clou ist: Es handelt sich nicht nur um eine Corona-Maßnahme, sondern um eine Investition in aktuelle künstlerische Arbeit und damit in die Zukunft.
Sie lehnen auch die Neustartprämie, ein Vorschlag der ÖVP, ab …
Wir sind das Kultur- und nicht das Sozialressort. Als Kulturressort haben wir zusätzlich zum Bund Corona-Maßnahmen mit 17,3 Mio. Euro unterstützt.
Wird das Match Bund gegen Stadt auf dem Rücken der Künstlerschaft ausgetragen? Denn ÖVP und Grüne bilden die Bundesregierung – und sind in Wien Opposition.
Überhaupt nicht! Das ist völliger Quatsch! So ticke ich nicht, ich arbeite in Wien gut mit der Opposition zusammen, über alle Ideologie- und Parteigrenzen hinweg. Die Zusammenarbeit mit Andrea Mayer klappt hervorragend.
Im Volkstheater gab es in Lockdown-Zeiten eine Art Premierenfeier, die Polizei schritt ein. Sollte eine von der öffentlichen Hand finanzierte Kulturinstitution nicht Vorbildcharakter haben?
Wir alle sollten füreinander Vorbild sein. Aber ich bin nicht die Gouvernante der Kulturnation. Und ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, Künstler zu maßregeln.
Sie haben Kay Voges zum Direktor bestellt. Und er hat seine Ehefrau Mona Ulrich zur Leiterin Kostümbild bestellt. Ist das Nepotismus?
Die Anstellung ist Sache der Geschäftsführung. Die Politik hat sich nicht in Interna einzumischen. Im Übrigen gibt es unzählige Paare, die seit jeher die künstlerische Landschaft prägen. Denken Sie nur an Herbert Föttinger – Sandra Cervik, Michael Schottenberg – Maria Bill, Gustav Manker – Hilde Sochor, George Tabori – Ursula Höpfner, Giorgio Strehler – Andrea Jonasson, Martin Kusej – Sophie von Kessel, Erwin Piplits – Ulrike Kaufmann, Gert Voss – Ursula Voss und Christo – Jeanne-Claude.
Ja, es gibt Künstlerpaare. Aber davon rede ich nicht. Bei den großen Theatern ist immer der Mann der Chef – und die Frau arbeitet unter ihm. Ist das noch zeitgemäß?
Diese Paare müssen die Konflikte in ihren Betrieben und innerhalb ihrer Beziehung selbst austragen, so es welche gibt. Es zählt die Qualifikation, nicht das Geschlecht.
Das Wiener Kammerorchester bekommt von der Stadt eine jährliche Förderung von 50.000 Euro. Ein Orchester besteht aus vielen Musikern. Ein Leser fragt: Wie soll sich damit Fair Pay ausgehen?
Das Wiener Kammerorchester findet sich projektbezogen zusammen fund ist daher mit fixen Orchestern nicht vergleichbar. Die Förderung der Stadt ist ein Teil der Gesamtfinanzierung, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Daher ist die Fair-Pay-Thematik hier differenziert zu betrachten.
Die Vereinigten Bühnen Wien bekommen pro Jahr 40,2 Millionen Euro – eine stolze Summe, die Hälfte davon für Musicals. Seit einem Jahr wird so gut wie nicht gespielt. Der Konzern müsste im Geld schwimmen. Wird er Fördergelder zurückzahlen?
Wir warten auf die Abrechnung und werden sie uns sehr genau anschauen. Denn wir alle haben ein Interesse daran, dass Fördermittel sachgemäß verwendet werden. Die Wiener Festwochen etwa werden Geld zurücküberweisen beziehungsweise für heuer dementsprechend weniger Subvention bekommen.
In welcher Höhe?
Etwa 1,8 Millionen Euro. Das sind immerhin circa 20 Prozent der Förderung.
Das Festival soll am 14. Mai eröffnet werden. Wird es?
Ich würde es mir aus tiefster Seele wünschen. Ich habe erst kürzlich mit Christophe Slagmuylder, dem Intendanten, gesprochen. Es ist eine hochkomplexe Entscheidung, die er zu treffen hat.
Wann müssten die Festwochen abgesagt werden?
Die Festwochen wollen das Programm Mitte April lancieren. Aber sie arbeiten unentwegt an Alternativplänen. Denn möglicherweise werden viele Künstler nicht anreisen, werden Vorstellungen nicht stattfinden können. Es gibt einfach zu viele unbekannte Faktoren momentan.
Die Festwochen haben die Gösserhallen hinter dem Hauptbahnhof genutzt. Es sollte ein dezentrales Kulturzentrum entstehen. Doch jetzt werden daraus Büros ...
Die Gösserhallen sind im Eigentum der ÖBB. Eine wurde verkauft, wegen der anderen sind wir im Gespräch.
Sie sagen, dass es kulturelle Einrichtungen auch jenseits des Zentrums braucht. Das Brut erhält zwar eine Spielstätte in Neu-Marx. Aber sonst tut sich nicht viel.
Im Gegenteil! Wenn es um die Bezirke geht, bin ich ein „Speedy Gonzales“, ein regelrechter Turbo. Unter den vielen Aktivitäten finden sich zum Beispiel die Bezirksmuseen, die wir noch attraktiver machen wollen. Unter dem Titel „Bezirksmuseen reloaded“ wollen wir jüngere Generationen verführen, sich mit dem kulturellen Erbe aus zeitgenössischer Sicht auseinanderzusetzen. Wir planen zudem, auf dem Areal des Otto-Wagner-Spitals ein Spiegelgrund-Museum einzurichten. Außerdem stärken wir kulturelle „Ankerzentren“ in den Bezirken, dazu gehören das F23 in Atzgersdorf, das SOHO Sandleitenhof in Ottakring oder das Kulturhaus in der Brotfabrik – und neue sind gerade im Entstehen.
Ist auch etwas für die Seestadt Aspern geplant? Oder bleibt das Stadterweiterungsgebiet jenseits der Donau eine kulturelle Wüstenei?
Es gibt temporäre und permanente Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Es wird links der Donau ein weiteres Zoom Kindermuseum und auch ein weiteres Kindertheaterhaus geben.
Das ist bekannt. Wäre es nicht sinnvoll, in der Seestadt ein Konzerthaus zu errichten, das die Homebase der Wiener Symphoniker wird? Dort könnte dann auch Musik unterrichtet werden. Es gibt international herausragende Beispiele. Dieser Vorschlag wurde von einem Leser gemacht.
Ein interessanter Vorschlag, ich kenne noch viele weitere. Wir sind in regem Austausch mit dem Intendanten des Vereins Wiener Symphoniker wegen der Probensituation des Orchesters. Die Ideen müssen erstmal erarbeitet und geprüft werden, denn letztlich geht es um Steuergeld und die Frage der Finanzierung.
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