Ulrike Haidacher: "Malibu Orange" steht für abgründige Räusche und Grind
Die aus Graz stammende Kabarettistin und Schriftstellerin Ulrike Haidacher führt die Protagonistin ihres Debütromans "Die Party" (2021) in ein Kellerstüberl eines bekannten Regisseurs, wo dann die Sause nach und nach aus dem Ruder läuft. Mit dieser humorvollen Geschichte, gewürzt mit viel Sarkasmus, rechnet sie mit einer scheinbar toleranten Künstler-Oberschicht ab, die nach ein paar hochprozentigen Getränken ihr wahres, hässliches Gesicht zeigt.
Ihr jüngst veröffentlichtes Zweitwerk "Malibu Orange" beginnt wieder auf einer Party. Und es wird auch wieder einiges getrunken. Diesmal lässt Haidacher ihre Protagonistin namens Anja in ihre alte Heimat zurückkehren, in ein Kaff, wo es nicht mehr viel zu holen gibt. Zum Glück gibt es noch das Café Ulli, wo man sich immer noch herrlich betrinken und alte (bessere?) Zeiten herbeisehnen kann. "Malibu Orange", das picksüße Teenager-Getränk der Neunziger und Nullerjahre, steht dabei sinnbildlich für eine verlorene Ära, in der das nächtliche Fortgehen mit der allerbesten Freundin Maja das Nonplusultra der Unbeschwertheit verkörpert hatte.
Im KURIER-Interview spricht Ulrike Haidacher über die Themen (Arbeit und Freundschaft), die sie in ihrem neuen Roman verarbeitet. Es geht auch um die oft zitierte Work-Life-Balance, den Pflegenotstand, den Bachmannpreis- und darüber, ob man die Liste der Pflichtliteratur in der Schule überdenken sollte.
KURIER: Welche Themen sind es, die Sie beim Schreiben Ihres neuen Romans beschäftigt haben?
Ulrike Haidacher: Als ich mir den Plot für meinen zweiten Roman überlegt habe, waren es zwei Hauptthemen, die mir wichtig waren: Arbeit und Freundschaft. Ich wollte von einer Frau Anfang dreißig erzählen, die in irgendeiner Form verloren ist. Meine Protagonistin Anja hat sich in jungen Jahren völlig übernommen, dann kündigt sie, ohne darüber nachzudenken, wie es danach weitergehen könnte. Gleichzeitig geht die Freundschaft mit ihrer besten Freundin, die immer eine Konstante in ihrem Leben war, in die Brüche. Ich glaube, dass gerade die Zeit Anfang dreißig für viele eine fragile Zeit ist. Man sollte jetzt erwachsen sein, das gelingt aber nicht allen, gleichzeitig hat man schon etwas begonnen und hinterfragt das vielleicht zum ersten Mal. Auch Beziehungsgeflechte zerbrechen oft oder entstehen neu. Die Freundschaft zu Anjas bester Freundin Magda zerbricht, als diese Volker kennenlernt. Anja sieht in der Beziehung zwischen Magda und Volker ein Machtgefälle, merkt, dass sich ihre beste Freundin verändert, ihre feministischen Prinzipien über Bord wirft, sich isolieren lässt und Entscheidungen trifft, die nicht zu ihr passen. Dabei habe ich alles aus Anjas Perspektive geschrieben, wobei immer die Frage auftaucht: Was ist ihre Interpretation und was stimmt wirklich? Und auch: Was macht man, wenn man merkt, die beste Freundin ist unglücklich, blockt einen aber nur mehr ab? In wieweit macht es Sinn, sich weiter zu bemühen und wo beginnt die Selbstaufgabe? Und kann man überhaupt irgendjemandem helfen?
Das Getränk Malibu Orange gehörte in den Neunzigern und Nullerjahren zu jeder Party dazu. Steht das Getränk stellvertretend für Ihre Jugend?
Für viele in den Neunzigern und Nullerjahren war es das Getränk, das sie auf ihren ersten Partys getrunken haben. Darum ist es für mich als Titel auch exemplarisch: Es klingt verwegen, nach Urlaub und Strand, die Sehnsucht nach etwas Großem spiegelt sich darin. Wer es aber schon einmal getrunken hat, verbindet es mit einem picksüßem Billiggetränk, ersten abgründigen Räuschen und Grind. So steht es für mich auch für den Inhalt des Buches: Wo die Party oder die romantische Liebe beginnt, ist der Abgrund nicht fern.
Wie viel Einfluss hatte Ihr zweites Standbein als Kabarettistin auf Ihren neuen Roman?
Humor ist mir immer wichtig, ohne Humor will ich nicht arbeiten. Wahrscheinlich bin ich auch Kabarettistin geworden, weil der Humor für mich immer im Zentrum steht. Mir geht es in meinem Schreiben aber nicht um direkte Witze oder Pointen, sondern vielmehr um den Witz, der aus der Sprache entsteht, der intensiven Beschreibung seltsamer Begebenheiten und dem Blick für das Absurde. Außerdem das Komische im Traurigen und in der Wut zu finden.
Sie sind studierte Germanistin. Hilft oder hemmt einem das beim Schreiben?
Dass ich mich wissenschaftlich mit Texten beschäftigt habe, ist mittlerweile lange her. Am Beginn meiner künstlerischen Arbeit hat es mir aber wahrscheinlich sowohl genutzt als auch gehemmt. Auf der einen Seite habe ich viel über Literatur, das Schreiben von Texten gewusst, aber das vor allem beschreibend, theoretisch. Und genau dieser ausschließlich theoretische Umgang war andererseits wieder hindernd, weil ich auch meine eigenen Texte stark von außen betrachtet habe oder überlegt habe, wo und wie sie sich einordnen lassen könnten.
Als Jugendlicher muss man viel Pflichtliteratur lesen. Welche hat Sie besonders genervt, sollte man die List der Pflichtliteratur überdenken?
Als ich Germanistik studiert habe, hat eine Professorin einmal gesagt: "Als Berufsleserin wird einem so einiges fad." Ich kann mich erinnern, dass ich damals erleichtert war, dass es selbst ihr so geht. Mich hat von dem, was ich lesen musste, vieles angestrengt, vor allem Literatur aus dem Mittelalter und ältere Literatur. Dafür habe ich mich immer für Gegenwartsliteratur interessiert, bei der ich Sprache und Lebensrealität auch nachvollziehen konnte. Der literarische Kanon war dabei stets männlich geprägt, was ich stets kritisch gesehen habe: Warum soll ich nur die Lebensrealitäten und Gedanken von Männern studieren, und dazwischen stehen dann halt gerade noch Christa Wolf, Ingeborg Bachmann und Elfriede Jelinek. Zumindest wird jetzt mehr darüber diskutiert, ist immerhin ein Anfang.
Gibt es eine aktuelle Lieblingsautorin/Lieblingsautor? Und gibt es eine/einen, der immer geht?
Immer gehen für mich Werner Schwab und Elfriede Jelinek.
Welches Buch haben Sie bislang am häufigsten verschenkt?
Sven Regener: Herr Lehmann
In ihrem neuen Roman geht es auch ums Sterben. Wird darüber zu wenig gesprochen? Woher kommen Ihre präzisen Schilderungen?
Worüber wieviel oder zu wenig gesprochen wird, kann ich nicht beurteilen. Wenn ich mich dafür entscheide, über ein Thema zu schreiben, dann mag ich einfach eine möglichst präzise Schilderung. Ich glaube, dass das auch etwas ist, was meine Texte ausmacht. Das Thema Sterben ist eines der Themen, die uns wirklich ausnahmslos alle betreffen und mit dem wir zwangsläufig irgendwann konfrontiert werden. Wenn ich also über das Leben schreibe, ist das Sterben natürlich Teil davon. Es ist also etwas sehr Alltägliches und gleichzeitig aber sowas Unfassbares, etwas, vor dem wir uns fürchten, was wir gerne wegschieben.
Im Buch geht es auch ums Thema Burnout. Diese Krankheit betrifft immer mehr Menschen - auch Jugendliche. Was läuft da falsch?
Ich glaube, gerade als junger Mensch lernt man, dass man sich erst einmal beweisen muss, sich möglichst anstrengen muss, um etwas zu erreichen. Ich finde es auch nicht falsch, dass man, gerade wenn man lernt und sich ausprobiert, auch einmal über seine Grenzen geht. Ich glaube aber auch, dass viele Menschen ihre Grenzen nicht sehen, weil sie aus dieser Rolle des Sich-ewig-beweisen-Müssen nicht mehr rauskommen. Umgekehrt meinen viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, ein Recht darauf zu haben, dass ihnen ihre Arbeitskräfte ununterbrochen zu Verfügung stehen. Dann kommt, gerade in den Sozial- und Pflegeberufen, das Verantwortungsgefühl dazu. Es ist kein Raum dafür, auf die eigene Work-Life-Balance zu achten, wenn im Vordergrund steht, Kolleginnen und Kollegen, Klienten und Klientinnen nicht im Stich zu lassen. Nein zu sagen ist da schwer, wenn nicht sogar unmöglich.
Der Roman greift auch die Pflegesituation in Österreich auf. Was war dabei Ihre Motivation, Ihr Hintergedanke?
Ich wollte meiner Hauptfigur einen Beruf geben, der von außen vielleicht als normaler Durchschnittsberuf angesehen wird, den man nicht sofort mit Karriere, Burnout und Überarbeitung assoziiert, sondern der eher als „typischer Frauenberuf“ abgewertet wird. Dass das aber genau der Beruf ist, der sich an der Essenz des Lebens befindet, bei dem man nie abschalten kann, weil die Verantwortung so groß ist, weil es eben nicht um irgendwas, sondern um Leben und Tod geht. Und dass das auch nicht jeder Mensch auf Dauer aushält. Dem wollte ich eine Wichtigkeit geben, das wollte ich ins Zentrum des Geschehens stellen.
Dass es einen Personalmangel im Pflegebereich gibt, ist nichts Neues, selbst Menschen, die vor zwanzig Jahren in der Ausbildung waren, ist schon prophezeit worden, dass der Personalmangel ein großes Problem werden wird. Wahrscheinlich wurde das auch zu lang und zu gut ignoriert. Dass nicht genug junge Leute nachkommen, hat meiner Meinung schon auch damit zu tun, dass die Pflegeberufe keinen guten Ruf haben. Darum gehört der Beruf auch sozial aufgewertet. Immerhin wird jetzt öffentlich mehr darüber gesprochen, vielleicht ist das ja ein Anfang.
Sie haben dieses Jahr beim Bachmannpreis gelesen. Was macht das mit einem, wenn – wie es eben beim Bachmannpreis der Fall war – sein vorgetragener Text öffentlich kritisiert wird?
Wenn man zum Bachmannwettbewerb fährt, weiß man, worauf man sich einlässt. Es kursieren ja auch viele Mythen und Geschichten um den Preis und vor allem über die Jury. Mir wurde das alles im Vorfeld natürlich erzählt und ich wurde auch davor gewarnt. Von Tränen und Schreibblockaden danach wurde mir erzählt. Ich glaube aber, dass es heute nicht mehr so brutal zugeht wie früher. Menschen in der Öffentlichkeit zu demütigen gehört nicht mehr zur guten Show. Im Vordergrund steht eher die Diskussion. Natürlich gibt es die Spielchen zwischen den Jurymitgliedern und nicht mit allem kann man was anfangen und einige Aussagen findet man fehl am Platz. Ich habe es aber vor allem spannend gefunden, einen meiner Texte vor so einem großen Publikum zu präsentieren. Diese Möglichkeit hat man nicht sehr oft. Auch, dass eine Fachjury eine halbe Stunde über meinen Text diskutiert. Negative Kritik hat mich langfristig weniger gekränkt, als ich mir im Vorfeld zugetraut hätte.
Das Buch zum Text hat nach der Veröffentlichung sehr gute Kritiken bekommen. So auch im KURIER. Relativiert das die Kritik der Bachmannpreis-Jury?
Für mich hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Das eine ist eine Show, das andere ein Buch, das rezensiert wird. Ich habe nach dem Wettbewerb viele sehr gute Rückmeldungen zu meinem Text bekommen, vom Publikum, aber auch von Medien, und auch mein Roman hat dadurch viel Aufmerksamkeit bekommen. Darum war es für mich im Nachhinein nicht so wichtig, was die Jury jetzt genau gesagt hat.
Welche Bedeutung hat der Bachmannpreis für Sie als Autorin? Würden Sie wieder teilnehmen?
Dass Literatur eine Woche öffentlich so viel Raum gegeben wird, ist etwas Besonderes. Autoren und Autorinnen, die sonst nicht so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, haben die Möglichkeit, sich einer großen Öffentlichkeit zu präsentieren. Das ist eine große Chance. Ich würde – wenn ich nicht schon dort gewesen wäre – auf jeden Fall wieder hinfahren.
Wie sieht es mit einem neuen Kabarett-Programm aus?
Das mit Antonia Stabinger betriebene Kabarett-Duo Flüsterzweieck hat sich in diesem Jahr aufgelöst. In mir rumort es schon, auch wieder ein Programm für die Bühne zu machen. Ob und wann und in welcher Form das aber der Fall sein wird, ist noch offen.
Zur Person: Ulrike Haidacher (39) ist in Graz geboren, lebt als freie Autorin und Kabarettistin in Wien. Ihre Programme wurden bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Österreichischen Kabarettpreis 2017. Sie schreibt und spielt satirische Kolumnen für ORF-Radio FM4. 2019 erhielt sie das Startstipendium für Literatur des Bundeskanzleramts Österreichs. Ihr Debütroman "Die Party« (Leykam, 2021) wurde mit dem Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet und 2024 im Schauspielhaus Graz uraufgeführt. Ihr neuer Roman "Malibu Orange" ist ebenfalls bei Leykam erschienen.
Termine:
12 .9. / 19 Uhr: O*Books Wien. Buchpräsentation von "Malibu Orange" Mit musikalischer Begleitung von Philip Yaeger und Peter Rom
13. 9. / 19 Uhr Vienna Literature Festival (Buchhandlung List): Lesung aus "Malibu Orange".
17. 9. / 19 Uhr Literaturhaus Graz: Lesung aus "Malibu Orange"
26. 9. / 19.30 Uhr Stieglerhaus, St. Stefan/Stainz: Lesung aus "Malibu Orange"
29. 10. / 19 Uhr Alte Schmiede, Wien. texte.teilen: Rand- und Schräglagen. Lesung mit Ulrike Haidacher, Jimmy Brainless, Norbert Maria Kröll
Mehr Infos: www.ulrikehaidacher.at
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