Bachmannpreis: "Ich hasse den kleinen Prinzen"
Klagenfurt im Juli, das ist der Ort, wo über das Wort „Ambivalenz“ gestritten und wo vor redundanten Kafka-Referenzen gewarnt wird. Die Lesungen der 48. Tage der Deutschsprachigen Literatur begannen am Donnerstag als große Show. Die Richtigkeit von Sprachbildern, die Schlüssigkeit von Dialogen wurden bis an die Grenze der Beleidigung debattiert. Wunderbar!
Sprach Autor Ferdinand Schmalz in seiner Eröffnungsrede von „Texten, die ein „lustvolles Nichtverstehen“ auslösen, so war das ein gutes Stichwort für die Schweizerin Sarah Elena Müller, die in einem Kurzvideo von der Befreiung „von der Langeweile mit der Nachvollziehbarkeit“ sprach. Ihr Text „Wen ich hier seinetwegen vor mir selbst rette“ handelte konsequenterweise von einer Schwelle, die knurrt und ständig überschritten wird. Außerdem von einem Zimmer jenseits der Schwelle, in dem sich ein gewisser Rio an einer Nähmaschine und einem Winteranorak abarbeitet. Die Jury war gespalten. Literaturkritiker Thomas Strässle, der Müller eingeladen hatte, fand den Text natürlich „großartig“. Der Schweizer Autor Philipp Tingler, der sich beim Wettlesen 2023 den Ruf als „Ambivalenzfetischist“ eingehandelt hatte, wurde seinem Ruf gerecht und sah „zwei Spannungsebenen“. Oder, wie die österreichische Literaturkritikerin Brigitte Schwens-Harrant sagte, „zwei Ichs“. Jury-Vorsitzender Klaus Kastberger ging härter mit dem Text ins Gericht: „Kommt dieser Text von Foucault? Von Benjamin? Oder von der Drogensucht?“ Er sei „seminarhaft und oberlehrerhaft. Die Bilder schrammen am Kitsch vorbei.“ Am schlimmsten fand er die sprechende Schwelle: „Ich hasse Texte, in denen Gegenstände sprechen. Ich hasse den kleinen Prinzen.“
Verbannt in Absurdistan
Die zweite Lesung absolvierte die Grazer Kabarettistin und Autorin Ulrike Haidacher, eingeladen von Klaus Kastberger. Ihre Geschichte über drei Frauen unterschiedlicher Generationen am Sterbebett der Großmutter sorgte für durchwachsene Reaktionen. Manche fanden sie zu konventionell erzählt. Die Autorin mache nicht genug aus dem Moment des Sterbens, befand Kritikerin Mara Delius, wohingegen Kastberger darin eine Betonung der existenziellen Figur des Sterbens ortete. Vor allem war man sich uneins, ob es hier um den Tod oder etwas anderes gehe. Immerhin merkte Strässle nach einer dahin gehenden Bemerkung des gewohnt meinungsstark agierenden Juryvorsitzenden: „Ich fühle mich nicht unwohl, vom Kollegen nach Absurdistan verbannt worden zu sein.“
Etwas weniger ausdrucksvoll uneinig, aber doch unterschiedlicher Meinung war man auch beim Text des Schweizers Jurczok, der sich als von Ernst Jandl und der Wiener Gruppe beeinflusster Poet bezeichnet. In Relation zu diesen Vorbildern war sein Vater-Text „Das Katanga-Kreuz“ recht konventionell. Beginnend mit dem Bild eines Münzsammlers an einen Nussbaumholztisch, erzählte er von Flucht und Heimatsuche eines Mannes, seines „Papas“– ein Wort, das bei Schwens-Harrant für Unmut sorgte. „Erzählt da ein Kind?“ Strässle ortete in der Tatsache, dass jemand, der aus der Schweiz flüchtet, sich mit Zahlungsmitteln beschäftigt, „schöne Ironie“. Für seinen Landsmann Tingler hatte der Text „schwerwiegende Mängel in Form und Sprache“: „Dieser Text ist unterwältigend.“ Strässle, erbost: „Die Sprache ist sorgfältig! Haben Sie den Text verfolgt?“ Tingler: „Ich war dabei.“
Der Nachmittag verlief weniger widersprüchlich. Der Autor Tijan Sila aus Deutschland/Bosnien-Herzegowina las auf Einladung von Philipp Tingler, sein Text „Vom Tag, als meine Mutter verrückt wurde“ rief einhellige Begeisterung hervor. Gelobt wurden Erzählökonomie, Qualität des Tragikomischen, unsentimentale Lakonie, Kastberger fühlte sich an den vor einem Jahr verstorbenen Autor Dževad Karahasan erinnert.
Auf Einladung der Autorin Mithu Sanyal las die Heidelbergerin Christine Koschmieder. Ihr mit historischen Fakten gespickter Text „Nylfrance“ erzählte von einem Paar im Nachkriegsdeutschland. Man debattierte ein bisschen, eine grundsätzliche Textqualität stellte niemand in Zweifel.