Flüsterzweieck mit "Kult": Die Suche nach dem roten Faden
Ulrike Haidacher und Antonia Stabinger sind seit über zehn Jahren als Kabarettistinnen-Duo Flüsterzweieck auf Kleinkunstbühnen unterwegs. „Kult“ nennt sich ihr neues und fünftes gemeinsames Programm, das kürzlich im Wiener Kabarett Niedermair Premiere feierte.
KURIER: Wie schreibt man ein Programm in einer Pandemie, ein Programm, vom dem man nie weiß, wann es aufgeführt werden kann? Muss man sich da von jeder Aktualität verabschieden?
Ulrike Haidacher: Nein, weil viele Themen sind ja auch über längere Zeit aktuell. Wir machen keine tagespolitischen Witze auf der Bühne, dafür nützen wir wie gesagt andere Kanäle. Es ist auch kein Corona Programm, das wir da gemacht haben, sondern ein Programm, das verschiedene Themen unserer Zeit mit erzählt, in Geschichten, die auf den ersten Blick alltäglich klingen, in denen aber soziopolitische Themen untergebracht sind.
Antonia Stabinger: Wir haben eine Nummer im Programm, in der es ganz explizit um die Zeit im ersten Lockdown geht. Da könnte es sein, dass die nächstes Jahr zum Beispiel nicht mehr aktuell ist und wir sie umschreiben müssen. Kleine Veränderungen sind generell manchmal nötig, wenn man ein Programm über mehrere Jahre spielt, das wird sicher auch diesmal so sein.
Gemeinsam ein Kabarettprogramm machen: Da gilt es wohl, Kompromisse einzugehen, der eine will das, der andere lieber das. So beginnt auch euer neues Programm. War das auch bei der Entstehung ein Thema? Und wie viel Haidacher, wie viel Stabinger stecken im Programm?
Haidacher: „Kult“ ist bereits unser fünftes Programm. Da hat man schon ziemliche Routine in der Zusammenarbeit. Uns war es immer schon wichtig, dass wir uns beide im gleichen Maße künstlerisch einbringen, dass unsere Programme die Handschrift von beiden tragen. Da muss jede natürlich Kompromisse eingehen, keine kann ihre künstlerischen Vorstellungen ohne Rücksicht auf die andere umsetzen. Das ist aber auch das Spannende: Wir schreiben beide unsere Texte sehr unterschiedlich, haben zum Teil auch einen unterschiedlichen Zugang zu Humor. Dann gibt es wieder Nummern, die wir gemeinsam entwickeln. Das macht unsere Programme sehr vielseitig und im Laufe der Jahre haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden, die man als typisch Flüsterzweieck bezeichnen kann.
Inhaltlich fehlt, wie Ihr schon zu Beginn des Abends sagt, der Rote Faden. Es geht um Verschwörungstheoretiker, Gewalt gegen Frauen, die von der Pandemie sichtbar gemachten Missstände der Gesellschaft. Um die "schlechte" Avocado. Ist da nicht doch irgendwo ein roter Faden zu erkennen?
Stabinger: Natürlich gibt es den. Wir erarbeiten im Probenprozess gemeinsam mit unserem Regisseur Dieter Woll mit großer Akribie eine Dramaturgie des Stücks, die die einzelnen Szenen, die scheinbar nicht im Zusammenhang stehen, so zusammenhält, dass ein gemeinsames Ganzes entsteht. Auf der Bühne weisen wir am Anfang gern darauf hin, dass es keinen klassischen roten Faden gibt, damit das Publikum gleich weiß, woran es ist. Dass es hier keine klassische Geschichte gibt, dass es viel mehr einzelne kleine Geschichten sind, die nur assoziativ verbunden werden. Geschichten, von denen einige für sich stehen, andere kehren wieder. Die kleinen thematischen Verbindungen bilden, wenn man so will, den roten Faden. Wenn das Publikum von Anfang an Bescheid weiß, kann es sich gleich darauf einlassen und muss den roten Faden nicht anderswo suchen.
Was habt Ihr eigentlich gegen Avocados?
Haidacher: Nichts. Avocados sind etwas sehr Schönes. In der Nummer über die Avocado geht es vielmehr um den Konflikt, den man hat oder haben kann, wenn man sich überlegt, was man isst. Die Avocado gilt ja als so genanntes „Superfood“, ist aber, zumindest, wenn man sie hier in Österreich isst, nicht unbedingt nachhaltig. Die Bühnenfigur in unserem Stück verzweifelt am Beispiel der Avocado schlicht an dem Bedürfnis, etwas zu essen, das gesund für den Körper, gut für den Geschmack, aber auch gut für die Umwelt ist.
Ein Programm hat ja auch immer etwas mit einem selbst zu tun. Man widmet sich Themen, die man selber spannend findet, die einem ein Anliegen sind. Was war das beim aktuellen Programm, was war euch wichtig?
Haidacher: Unsere Programme sind immer recht vielteilig, weil wir jeweils mehrere kurze Texte zu mehreren verschiedenen Themen schreiben. Das geht von einer Geschichte darüber, wie einmal das Klo verschimmelt ist, über einen Vergleich einer menschlichen Biografie mit der Zeit der Lockdowns, bis hin zu einem Text über die so genannte Cancel Culture. Ich wollte in diesem Programm unbedingt eine Nummer über die 90er Jahre Western Serie „Dr. Quinn“ zu machen, weil ich Dr. Quinn als eine Vorreiterin des Feminismus sehe, davon will ich endlich die ganze Welt überzeugen.
Stabinger: Wir wünschen ihr, dass sie es in diesem Programm schafft. Ich war gleichermaßen schockiert und berührt von der Angst der Menschen, die zu so mächtige Phänomenen wie Verschwörungstheorien oder Fremdenfeindlichkeit führt. Deshalb habe ich darüber in „Kult“ Texte geschrieben.
Haidacher: Was uns auch immer wichtig ist, sind kleine Nonsense-Nummern, absurde Elemente, die außer der Freude an der Absurdität nicht mehr sagen wollen.
Apropos absurd: Was halten Sie von den ganzen Beauty-Influencerinnen, die sich mit allerlei Aufgespritztem in der Instagram-Auslage präsentieren. Was soll das für ein Frauenbild sein?
Stabinger: Die Influencerinnen, denen wir folgen, vertreten ein zeitgenössisches und unterstützenswertes Frauenbild. Sie influencen über Themen wie Nachhaltigkeit, mentale Gesundheit, Gleichstellung, LGTBQIA-Rechte und ähnlich Sinnvolles. Das ist schön, dass sie solche Inhalte an ein großes Publikum bringen! Natürlich stellt sich die Frage, wie verantwortungsvoll es ist, wenn eine Bibi von Bibis Beautyplace knappen 8 Millionen Menschen – darunter auch viele Minderjährige – einen Lifestyle zwischen Millionenvilla, Brust- und Nasenoperationen vorlebt. Kanäle wie diese auf Instagram, Tiktok und Co. werden ja nicht nur knallhart als potente Werbemittel genutzt, sondern können jungen Menschen auch sehr fragwürdige Werte vermitteln. Das einzige, was da hilft, ist wohl, gute Kanäle zu unterstützen und selbst sinnvollere Sachen zu posten.
Ihr bezeichnet euch selbst als Theaterkabarett-Duo. Wie wichtig ist euch das Schauspiel, das Szenische in euren Programmen?
Haidacher: Unsere Stücke leben davon, dass wir viele unterschiedliche Figuren spielen. So ist Flüsterzweieck auch vor 12 Jahren entstanden. Wir haben damals, über die unterschiedliche Art, wie Menschen sprechen, mehrere Figuren entwickelt und die in einzelnen Sketchen aneinandergereiht. Seitdem haben sich unsere Programme natürlich weiter entwickelt, die Texte sind vielschichtiger geworden, neue Elemente – wie kurze zweistimmige A cappella-Lieder – sind dazu gekommen. Außerdem gibt es zwei Figuren, die mit einem Grundkonflikt durch den Abend führen. Die Eine möchte den Abend möglich sachlich gestalten, die andere möglichst emotional und mit viel Bühnenzauber. Da hätten wir auch wieder den anfangs erwähnten roten Faden. Aber die vielen anderen Figuren in ihren unterschiedlichen Sprechweisen sind geblieben. Wir sind ja auch zu zweit auf der Bühne, da hat das Szenische, das Schauspiel natürlich einen besonders großen Reiz.
Das neue Programm heißt "Kult". Was bedeutet dieser Titel?
Stabinger: Uns hat an dem Titel gefallen, dass „Kult“ nicht nur ein schönes Wort ist, sondern auch sehr breit interpretierbar ist. Vom Hexen- bis zum Held:innenkult, von okkulter Verehrung bis zum legendären Stück – es steckt alles drin. Wir haben aber eine ganz eigene Erklärung dafür, warum unser Programm „Kult“ heißt, das verraten wir aber im Programm und darum nicht hier.
Ihr präsentiert eure Programme stets auf kleinen Bühnen, ihr macht also Kleinkunst. Warum nicht mal Programm für die Masse? Hat der Mainstream einen anderen Humor?
Stabinger: Kabarett findet zum großen Teil auf kleinen Bühnen statt. Das ist etwas sehr Besonderes, weil die so genannte Kleinkunst sehr vielseitig ist und man mit sehr wenig Technik und Requisiten auskommen muss. Der Begriff „Kleinkunst“ umfasst von Musik, Stand Up, Poetry Slam, bis zu dem, was wir machen, alles. Eben alles, wofür man keinen großen Bühnenapparat braucht. Das macht dieses Genre auch so reizvoll, weil es dadurch sehr wendig, frisch und underground sein kann. In diesem Rahmen machen wir das, was wir am besten können, in der Form, in der wir gerne erzählen, in einer Form, die uns auch Spaß macht.
Haidacher: Ein Programm zu machen, in dem wir sagen: „So, das ist jetzt für die Masse.“, liegt uns fern. Sich vor dem Kunstschaffen vorzunehmen, dass es möglichst vielen Leuten gefallen und maximal verkaufbar sein muss, ist wahrscheinlich der Untergang der künstlerischen Eigenständigkeit, Innovation und Qualität. Natürlich ist es beim Schreiben und im Probenprozess wichtig, das Stück so zu erarbeiten, dass das, was man erzählen möchte, auch zugänglich und möglichst unterhaltsam für das Publikum ist. Aber wir fordern unser Publikum auch insofern gern, dass wir bestehende Bühnenformen aufbrechen, vermischen oder parodieren. Was die Masse interessiert, ändert sich sowieso ständig, und wer weiß, vielleicht ist unsere Form irgendwann „massentauglich“. Dann werden wir vielleicht Mainstream sein oder lassen und wieder was Neues einfallen. Wir werden sehen.
Humor kann ja sehr verschieden sein. Wie reagiert man, wenn das Publikum anders tickt, das alles nicht lustig findet. Und wenn sogar Laute aufstehen und rausgehen?
Stabinger: Wenn sowas wirklich passiert, kann man nicht viel tun, außer weitermachen für die im Publikum, denen es gefällt. Das kann sehr hart sein, zahlt sich aber aus, weil es manchen immer gefällt und die wollen wir ja nicht bestrafen für die, denen es nicht gefällt. Wir proben unsere Stücke außerdem so, dass wir in jeder Sekunde genau wissen, was wir wann warum machen. Das gibt einem in solchen Momenten die nötige Sicherheit.
Haidacher: Die schönen Momente sind aber, wenn es umgekehrt ist: Wenn das Publikum mit einer anderen Erwartungshaltung ins Program geht, man merkt ihnen an, dass es vielleicht nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben, und im Laufe des Stücks lassen sie sich immer mehr darauf ein und haben dann mit uns viel Spaß. Das sind sehr schöne Abende. Für uns und das Publikum.
Was macht Ihr, wenn ihr euch wo nicht einig seid?
Haidacher: Wir lassen uns gerne von Argumenten überzeugen. Wir sind uns sehr oft nicht gleich einig, wir diskutieren aber gern und finden am Ende immer eine Lösung, die für uns beide gut ist.
Das letzte gemeinsame Programm liegt bereits vier Jahre zurück. In so einer langen Zeit staut sich ja einiges auf. Könnte man da als Kabarettistin nicht schneller auf Aktuelles eingehen, ein Video posten, twittern oder diverse Social-Media-Kanäle bedienen?
Haidacher: Wir schreiben nicht nur für die Bühne, ich schreibe auch für Literatur, Antonia für das Fernsehen und wir beide für das Radio. Fad ist uns in den letzten Jahren also nicht geworden.
Stabinger: Zum Beispiel machen wir satirische Kolumnen für FM4, in denen wir wöchentlich auf aktuelle Themen eingehen. Das ist natürlich auch immer eine gute Form, sich über Aktuelles zu äußern.
Die Satire-Formate im ORF werden aber hauptsächlich von Männern gestaltet. Was läuft da falsch?
Stabinger: Das kommt darauf an, wohin man schaut. Bei Radio FM4 ist es besser durchmischt. Das Fernsehen hinkt da im Humorbereich hinterher und das kann schon frustrierend sein. Um den Grund dafür zu erfahren, müsste man die Verantwortlichen fragen – an uns liegt's auf jeden Fall nicht. Wir geben unser Bestes, um das zu ändern, beteiligen uns regelmäßig an Sendungen oder bieten eigene Formate an. Wir glauben fest daran: Der stete Gleichstellungstropfen wird hoffentlich auch noch den harten ORF-Humor-Stein höhlen!
Theater-Kabarett: Seit zwölf Jahren stehen die beiden gebürtigen Grazerinnen Ulrike Haidacher und Antonia Stabinger als Flüsterzweieck gemeinsam auf der Kleinkunstbühne. Sie schreiben nicht nur für die Bühne, sondern auch fürs Fernsehen und Radio – zum Beispiel satirische Kolumnen für FM4, in denen sie wöchentlich auf aktuelle Themen eingehen.
„Kult“: So heißt das neue Programm von Flüsterzweieck (Regie: Dieter Woll). Es ist ein unterhaltsamer, vielseitiger, wendig-frischer Abend mit herrlich absurden Ecken und Kanten. Es geht um persönliche Konflikte (sind Avocados nun gut oder schlecht?), Verschwörungstheoretiker-Parodien, A cappella-Einlagen.
Termine: 20. und 27. Juni im Kabarett Niedermair, am 21. Juli am Usus am Wasser (Wien).
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