Thomas Raab: "Jeder tut so, als hätte er grad das dritte Testament geschrieben“
Thomas Raab ist winzig klein und lehnt an der Vase auf dem Tisch. Okay, nicht wirklich. Der Wiener Autor schaut vielmehr verkleinert aus dem abgestützten Handy raus. Eigentlich wollten wir einander treffen, aber ein Verdachtsfall hier und eine Deadline dort...
Also ein Interview per Fernvideo mit Raab, der in den von Unsicherheiten begleiteten ersten Tagen des Shutdowns in Österreich im KURIER einen Fortsetzungsroman geschrieben hat, der diese Zeit um vieles leichter gemacht hat.
Und dessen jüngstes Buch, „Helga räumt auf“, noch im Shutdown erschienen ist. Man trifft darin Frau Huber und das Glaubenthal wieder (siehe Kritik). Und es gibt viele Tote.
KURIER: Wir sollen alle in Österreich Urlaub machen. Im Glaubenthal aber herrscht wahrlich keine Idylle, sondern hoher Body Count.
Thomas Raab: (lacht) Ich hab mir vorgenommen, die Persiflage in den Vordergrund zu stellen. Bei mir kommt beim Schreiben oft die Schwermut durch. Und ich nütze den Krimi, um sehr tief in Persönlichkeiten einzudringen. Bei dem Buch hab ich mir zwar nicht die vielen Leichen vorgenommen. Aber ich wollte es einfach mal krachen lassen.
Es ist ...
Es ist nur ein Buch. Ein Brötchen, das man backt. Und dann kommt das nächste.
Das hört man von Autoren selten!
Klar, es müssen ja auch Werbemaßnahmen gesetzt werden. Aber jeder tut so, als hätte er grad das dritte Testament geschrieben. In Wahrheit ist es ein Gebrauchs- und Konsumgegenstand. Wenn man, so wie ich, an einer Reihe schreibt, dann steht man in der Backstube, bäckt seine Brötchen – und dann geht der Laden auf. Und die Leute, die genau dieses Vollkornwandlbrot wollen, die holen sich das. Und wenn es nicht schmeckt, dann kaufen sie vielleicht das nächste Mal ein anderes. Wir betreiben hier Wirtschaft.
Gerade in der Hinsicht ist „Helga räumt auf“ aber ungünstig auf den Markt gekommen – nämlich als vieles noch zu war. Da wird das Buch gelitten haben.
Total. Wir konnten es nicht verschieben. Wir wussten nicht, ob die Druckereien wegen Corona zusperren. Deswegen bin ich froh, dass es erschienen ist.
Man begegnet der Frau Huber wieder, die im ersten Teil ihren Mann verloren hatte. Sie scheint mir resoluter.
Sie muss mit ihrer Freiheit leben lernen. Wenn man so lange in einer Partnerschaft ist, wie definiert man sich da als Mensch? Was Metzger und Huber so unterscheidet, ist: Mit der Huber fremdle ich total. Ich komme nicht an sie heran, ich schreibe sie mir auch nicht leicht. Aber das ist gut so. Sie würde sich eh nie duzen lassen. Aber selbst wenn sie mit das Duwort anbieten würde, würde ich es nicht annehmen vor lauter Respekt. Deswegen traut sie sich auch mehr bei mir.
Interagieren die beiden in Ihnen? Metzger und Huber?
Nein. Überhaupt nicht. Vielleicht gibt es Schriftsteller, die wirklich so sind. Unser Beruf wird so überbewertet. Ich war lange Musiker. Und wenn ich jetzt auf Lesereise bin, treffe ich Musiker, die spielen um ein Körberlgeld, haben jahrelang geübt. Und ich sitze da vorn und lese aus meinem Buch. Und jeder kann ein Buch schreiben.
Aber ...
Sind wir uns doch ehrlich. Man braucht Sitzfleisch.
Aber allein das ist eine Hürde, die sehr, sehr viele nicht überwinden können.
Ja, es braucht Selbstdisziplin. Aber es kann sich jeder, so wie ich beim ersten Metzger, hinsetzen. Ich bin legasthenisch, war in Deutsch immer schlecht. Ich habe mich hingesetzt, und mich hat es voll angesteckt. Das kann jedem passieren.
Sie unterspielen das! Man muss sich sehr gut mit Menschen auskennen und sich für diese interessieren.
Es ist die Liebe zur Arbeit, sich vertiefen zu können. Als Kind habe ich nächtelang Playmobil gespielt. Im Grunde mache ich jetzt nichts anderes. Ich baue meine Welten und vertiefe mich darin. Ich liebe das, es ist eigentlich ein Spiel. Das nicht zu vergessen, ist gar nicht so leicht, wenn es ein Beruf wird. Ein Musiker hat viel mehr Aufwand – und wenn er spielt, muss er schauen, dass er über die Runden kommt.
Aber beim Schreiben wird man auch nicht reich.
Nein, reich wird man nicht. Ich ernähre mein Leben und die Familie damit. Das ist schon eine Gnade. Es ist ein Lottospiel. Man hat die Chance, dass etwas Patsch macht. Und dann verkauft man 200.000 Stück.
Wird das jetzt schwieriger – wir stehen vor einer anhaltenden Rezession?
Ja, ich merke das schon bei der Huber. Wir hatten Anlaufschwierigkeiten. Romane sind geschoben worden, vieles hat sich verzögert. Das Bestsellerverhalten ist ein bisschen ein anderes, auch die sind kein Selbstläufer. Für ein Buch 20, 22, 24 Euro auszugeben – das ist wenig, wenn man überlegt, dass ein Schriftsteller ein ganzes Jahr daran arbeitet. Aber ich überleg’ mir dann schon, ob ich eines kaufe – oder zwei. Wenn jemand bei einer Lesung Eintritt zahlt und dann noch ein Buch kauft, kann man nur danke sagen.
Der Kontakt mit den Lesern war zuletzt kaum möglich. Ist Ihnen das abgegangen?
Ja! Ich liebe es, draußen zu sein. Man ist selbstdarstellerisch veranlagt. Ich war zehn Jahre Lehrer – und behaupte, jeder, der Lehrer wird, sucht die Bühne.
Schüler sind aber ein schwieriges Publikum!
Ja, niemand ist freiwillig da (lacht).
Da haben es Autoren leichter.
Richtig! Deswegen lese ich gerne, in Schulen, in Buchhandlungen.
Auch aus dem nächsten Metzger?
Ja, der kommt im Herbst. Die Reihe geht bei Haymon weiter. Es wird heißen: „Die Djurkovic“, Untertitel „Der Metzger kanns nicht lassen“. Über die Djurkovic weiß ich gar nichts. Ich behandle ihre Vergangenheit – das ist sehr spannend, da habe ich viel entdeckt. Es gibt nur eine Erzählung von ihr, dass sie aus Kroatien gekommen ist. Das stellt sich als Lüge heraus.
Und kommt eine Fortsetzung des Fortsetzungsromans, den Sie für den KURIER geschrieben haben?
Es ist geplant, einen Roman draus zu machen. Dieser Impuls kam von außen – danke an den KURIER! Wenn man in Serien schreibt, dann ist das ein Radl – ein Luxus, auch. Es beschäftigt mich, wie ich da wieder rauskomme. Um zu sehen, worauf ich sonst noch Lust habe.
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