Rückkehr der Gratiskultur: Die Streaming-Geister, die sie rufen mussten
Die Zeit ist übervoll mit Existenzsorgen, Zukunftsunsicherheiten und Demütigungen für die Kultur.
Sie ist aber auch, vielleicht etwas überraschend, übervoll mit Kulturangeboten: Bühnen und Musiker, Museen und Autoren bringen seit Wochen auf Instagram und anderen Diensten eine Art improvisierte Online-Ersatzsaison.
Und das auf allen Ebenen: Am Wochenende traten Superstars von den Rolling Stones auf- und abwärts bei einem Riesen-Wohnzimmerkonzert auf (und sammelten 128 Millionen Dollar an Spenden).
Aber auch Klein- und Kleinstkünstler lesen, spielen, singen und tanzen vor der Laptopkamera für ein virtuelles Publikum. Es gibt mehr an Derartigem, als man sich anschauen kann.
Die Corona-Krise wurde zum Turbobooster für eine Digitalisierung der Kultur. Es wird gestreamt, was geht.
Das sorgt für Zusammenhalt zwischen Künstlern und Publikum.
Und auch für eine gewaltige Ladung an Problemen. Denn wo die Kultur bisher zögerlich war, sich online anzubieten, war sie das mit gutem Grund. War die Gratiskultur der Nullerjahre soeben halbwegs überwunden, kehrt sie nun mit voller Wucht zurück.
Centbeträge
Denn nun müssen die ohnehin schon finanziell vor dem Aus stehenden Künstler online wieder Centbeträge im Internet sammeln gehen (oder diese via Spenden erbeten). Streaming bringt kaum nennenswerte Einnahmen. Um zehn Euro zu verdienen, braucht es etwa auf Spotify 3.100 Abrufe, auf YouTube mehr als 7.000 Seher, berichtet der NME. Für die meisten Künstler ist das unerreichbar.
So haben sich einige Künstler zuletzt sogar auf die eSport- und Gaming-Plattformen vorgewagt. Dort schauen einem normalerweise viele Menschen beim Spielen zu. Und dort gibt es dafür schon lange gutes Geld. Nun probieren Künstler, dort ein Publikum zu finden. Man möchte gerne glauben, dass das funktionieren kann.
Für die Zukunft – es gibt sie! – heißt das eine Zusatzschwierigkeit für eine Branche, die derzeit ohnehin keinen Mangel an Herausforderungen hat. Denn wann immer Veranstaltungen wieder möglich sein werden, muss diese neue Streamingkultur wieder rückabgewickelt werden: Man muss die Menschen wieder in die Museen, zu den Konzerten und Lesungen locken. Und weder ist gesagt, welche Künstler dann noch ihre Karrieren weiterverfolgen können. Noch, wie lange es braucht, bis die neu entflammte Gratiskultur wieder eingefangen werden kann.
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