Das wäre noch verständlich – denn viele Konzerne greifen zu diesen Mitteln. Sie alle müssen sich aber die moralisch heikle Frage gefallen lassen: Wie hältst du es mit deinen Dividenden? Disneys Antwort ist aus PR-Sicht wenig befriedigend: Im Juli sollen 1,5 Milliarden Dollar an die Shareholder ausgezahlt werden. Das heißt im Umkehrschluss: Der amerikanische Steuerzahler und ohnehin schlecht bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Zwangsurlaub dürfen das mitfinanzieren.
Auch wenn der Konzern die Krankenversicherung weiterzahlt, ist das ein Imageproblem der Sonderklasse.
Einnahmenseitig bleiben die Probleme noch dazu weiter bestehen: Fast ein Drittel der Disney-Erlöse stammt aus den geschlossenen Themenparks in Amerika, Europa und Asien. Und die Filmproduktion des Konzerns ist trotz der Streaming-Initiative weiter auf große Kinostarts abgestellt. Bei denen werden in wenigen Wochen Millionen zurückverdient, allerdings setzt das offene Kinos voraus. So lange die Corona-Krise wütet, ist das also keine belastbare Geschäftsgrundlage.
Auch im Fernsehbereich tun sich monetäre Abgründe für Disney auf. Der werbefinanzierte Sportsender ESPN kommt von zwei Seiten unter Druck: Massenevents gibt es nicht, und die Werbekundschaft hat wie überall anders in voller Fahrt die Handbremse angezogen.
Und im Streamingbereich sieht sich Disney nun mit einem unerwartet agilen Titelverteidiger konfrontiert, der sich ausschließlich auf die begehrteste aller Dienstleistungen in Shutdownzeiten konzentrieren kann: Heimkino übers Internet.
Netflix hat weder Themenparks noch Kinosäle, die auf die Bilanz drücken, und kann seine Position als neu erstarkter Champion nicht nur verteidigen, sondern seinen großen Herausforderer sogar noch ordentlich demütigen. Die Aktie von Netflix hat in diesem Jahr um über 36 Prozent zugelegt und zuletzt neue Rekordhochs geknackt.
Und mit einem Börsenwert von knapp 195 Milliarden Dollar überholte Netflix jüngst Disney.
Damit ist das Kräfteverhältnis zumindest im Aktienmarkt umgedreht: Im Winter war Disney noch doppelt so viel wert wie Netflix. So schnell kann es gehen.
Mangels neuer Releases fehlt potenziellen Disney+-Kunden auch ein wenig der Anreiz, ein Abo abzuschließen. Zwar lockt man sie mit ausgesprochen guten Aktionspreisen und einem schier endlosen Archiv. Bei Netflix laufen die Neuproduktionen hingegen fast im Wochenrhythmus vom Stapel.
So ändern auch beliebte Produktionen wie die „Star Wars“-Serie „The Mandalorian“ auf Disney+ wenig an der Tatsache, dass Netflix auf absehbare Zeit weiter an der Spitze liegt. Es ist nur allzu verständlich: Während der Marktführer seit über zehn Jahren im Geschäft und in über 190 Ländern vertreten ist, hat die internationale Expansion von Disney+ gerade erst begonnen. Dass sie so holprig werden würde, hatte niemand wissen können. Auch nicht Bob Iger. Der kehrte nun zurück – um den Riesenkonzern Disney zu retten.
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