Burg-Schauspieler Koch: „Wir produzieren ununterbrochen – auf Halde“

Roland Koch als Othello in "This is Venice" im Burgtheater: Die Premiere fand im Februar 2020 statt - drei Wochen vor dem Lockdown
Roland Koch über die fatalen Auswirkungen der Pandemie auf das Theater und den unerquicklichen Streaming-Wahnsinn

Das Berliner Ensemble stellte nun den Probenbetrieb ein. Denn zumindest bis Ostern wird es keine Aufführungen geben. In Wien hingegen klammert man sich an vage Versprechen. Warum das so ist, erklärt Roland Koch, Ensemblesprecher des Burgtheaters. Weil es um die Daseinsberechtigung geht. Und daher glaubte jeder, streamen zu müssen.

KURIER: Wie geht es Ihnen denn?

Roland Koch: Eigenartig. Wenn ich mich in der Stadt bewege, verspüre ich den Drang, nach Hause zu gehen. Der öffentliche Raum bedeutet für mich nicht mehr Freiheit, sondern Beklemmung. Die Maßnahmen machen etwas mit mir. Ich hab’ mein Raum-Körper-Gefühl verloren, weiß nicht mehr, wo die Rampe, der Abgrund ist. Das Kaffeehaus, der Gesprächsraum schlechthin, ist weg. Wir beide müssen uns konspirativ in einem desinfizierten Raum im Burgtheater treffen. Und wir müssen uns darüber einig werden, ob wir beim Gespräch unsere Masken ablegen. Das ist schon sonderbar.

Fehlt Ihnen der Applaus?

Nein, mir fehlt dieses Hochgefühl nach einer guten Vorstellung. Wenn ich zurückblicke: Im Frühling, nach dem ersten Schock, habe ich den Lockdown als einen Schwebezustand empfunden. Denn der Stress fiel allmählich ab. Ich dachte mir, jetzt wieder ein analoges Leben zu führen, wie es sich gehört. Man holt Holz, man kocht und so weiter. Jede Tätigkeit schien total sinnvoll. Ab und zu kam der Gedanke hoch: Ach Gott, ich krieg Geld – und mach’ eigentlich nichts dafür. Und später dann sagte man sich: Jetzt muss ich auch was streamen, um überhaupt eine Daseinsberechtigung zu haben.

So ging es wohl allen fest engagierten Schauspielern in Kurzarbeit.

Alle hatten ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht beweisen konnten, verfügbar zu sein. Und sie hatten auch keinen handfesten Beweis für ihr Tun. Ein Maler hat eine bearbeitete Leinwand. Aber ein Schauspieler hat nichts in der Hand, kein stichhaltiges Alibi. Das hat er eigentlich nie. Wenn wir am Nachmittag nach der Probe heimgehen, haben wir ja nichts hergestellt. Trotzdem hat man normalerweise kein schlechtes Gewissen. Denn es gibt ja ein Ziel, auf das man hinarbeitet.

Aber alle Premierentermine wurden abgesagt …

Genau. Eine Vollbremsung. Man flog eine kurze Zeit in einem havarierten Gefährt durch die Luft, ohne zu wissen, wie und wo man landen wird. Dieser Moment hatte was Aufregendes. Wie ein Astronaut, der in der Umlaufbahn auf die Erde schaut, hatte man eine andere Perspektive auf sein Leben. Plötzlich war klar, dass wir schon sehr lange versuchen, in völlig überhitzten Systemen das Leben in den Griff zu kriegen. Und die Corona-Kurve brachte uns ins Schleudern.

 

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