Bernhard Rinner, demnächst 51, hat schon eine volle Polit-Karriere hinter sich: Der Jurist war Sekretär bei ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, Geschäftsführer der Steirischen Volkspartei und Landtagsabgeordneter. Seit 2014 leitet Rinner die Bühnen Graz GmbH, zu der neben Oper, Schauspielhaus und dem Jugendtheater Next Liberty drei weitere Spielstätten gehören. Und er erarbeitete sich einen hervorragenden Ruf. So vertritt er die Stadt- und Landestheater als Generalsekretär des Verbandes in den Verhandlungen.
KURIER:Sie veröffentlichten unlängst die Zahlen für das Geschäftsjahr 2019/’20. Es endete Covid-bedingt bitter?
Bernhard Rinner: Wir waren auf einem Höhenflug – und es wäre mit Abstand die beste Saison gewesen. Und dann, am 16. März, wurden wir auf den Boden der Realität geschleudert. Wir hatten ein Minus von 37 Prozent bei den Zuschauerzahlen, der Erlös sank gegenüber 2018/’19 von 11,5 auf 6,9 Millionen Euro – also um 40 Prozent.
Entscheidend ist jedoch nur der Verlust. Denn es sanken nicht nur die Einnahmen, sondern auch die Ausgaben.
Ja, die Kurzarbeit greift uns derart unter die Arme, dass sich das ausgleicht. Sie ist tatsächlich ein ideales Instrument, damit es zu keinen Personaladerlässen kommt. Sie sind daher auch der Rettungsanker für die Theater.
Das Schauspielhaus Zürich kam 2019/’20 wegen des reduzierten Betriebs und der Kurzarbeitsgelder auf einen Überschuss von 1,5 Millionen Franken. Der Betrag fließt an die Stadt zurück.
In Österreich dürfen die Kulturbetriebe in der Regel Rücklagen bilden. Im Falle der Bühnen Graz wird es zu keinen Rückzahlungsforderungen kommen. Das haben uns die Eigentümervertreter von Land Steiermark und Stadt Graz versichert. Aber unsere Rücklagen sind gering. Mit ihnen eine weitere Saison zu stemmen: Davon sind wir weit entfernt.
Wie sieht die Situation aus?
Der Rückgang bei den Erlösen wird sich in dieser Saison wohl verdoppeln. Genauer kann ich es nicht formulieren, denn alles hängt davon ab, wann wieder gespielt werden darf. Mit jeder Ankündigung der Regierung ändert sich nicht nur die Spielplan-Dispo, sondern auch die wirtschaftliche Hochrechnung.
Die Regierung hat einen Spielbetrieb ab Anfang März in Aussicht gestellt. Aber erst Mitte Februar will man die Lage evaluieren.
Wir gehen daher immer nur von Vermutungen aus. Der Premierentermin für die „Butterfly“ wurde bereits sechsmal verschoben. Ich glaube auch nicht, dass der nächste Termin halten wird.
Weil Sie ein Realist sind?
Israel hat etwa gleich viele Einwohner wie Österreich. Dort wurde im Dezember zu impfen begonnen, gegenwärtig sind bereits 2,5 Millionen Menschen geimpft. Haben daher die Theater in Tel Aviv offen? Auf diese Preisfrage muss man mit „Nein“ antworten. Wenn ich Schlüsse ziehe, ist ein Spielbetrieb im März unwahrscheinlich.
Sondern?
Vielleicht lassen sie uns ab April die eine oder andere Premiere machen; aber im Prinzip ist die Saison gelaufen. Von 40 für den Herbst angekündigten Broadway-Produktionen sind nur mehr vier in der Pipeline. Der – vorsichtige – Saisonstart in New York ist für Oktober/November geplant. Auch die Vereinigten Bühnen Wien warten mit den Musical-Premieren zu. Aber ich hoffe natürlich, dass ich mich in meinen Kassandra-Rufen irre, und kämpfe für die Öffnung der Theater. Vielleicht hilft uns ja in einer unheiligen Allianz die Wirtschaftskammer, die für die Öffnung der Gastronomie streitet. Denn mit der Gastronomie müssten auch die Theater aufsperren dürfen.
Was bedeutet das jetzt für die „Butterfly“?
Das ist genau die neuralgische, quälende Frage für jede Intendanz. Wenn eine Premiere möglich sein sollte: Wird es die „Butterfly“ sein – oder eine andere fertige Produktion? Das hängt auch davon ab, wie schnell man eine On-Hold-Produktion auf den Spielplan setzen kann.
Sie könnten doch gleich sagen: Wir lassen einmal zu – und starten wieder im Mai.
Ich verstehe die Intendanten, die sofort spielen wollen, wenn es eben erlaubt ist. Zudem stellt sich für die Künstler die Sinnfrage, wenn sie nicht auf die Bühne können. Aber es gibt noch einen anderen, entscheidenden Grund. Was würde passieren, wenn wir nicht mehr auf das „Go“ der Bundesregierung warteten, sondern selbst einen Termin festsetzten? Dann gäbe es 100-Prozent-Gagenforderungen der Gastkünstler. Denn dann will ja das Theater gar nicht spielen. Es hätte auch keinen Anspruch auf Umsatzrefundierung oder Kurzarbeitszuschüsse. Das wäre ein doppelter Horror.
Kürzlich haben die Theater gefordert, statt einer Höchstzahl von 500 Besuchern beispielsweise 65 Prozent der Kapazität zuzulassen. Ist es nicht der falsche Zeitpunkt für eine solche Forderung?
Dass es eine solche gemeinsame Erklärung gibt, ist ein Quantensprung in der Zusammenarbeit. Das gab es nie zuvor! Und zu Ihrer Frage: Wir haben ausgeklügelte Präventionskonzepte, die von den Behörden approbiert wurden. Mir ist nicht bekannt, dass im Herbst, so lange wir spielen durften, ein Theater zu einem Covid-19-Cluster geworden wäre. Die Regierung argumentiert nun, dass ein Massenandrang verhindert werden müsse. So jedenfalls interpretiere ich die Aussage von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer in Ihrer Zeitung. Ich habe eine andere Auffassung von Masse. Ob 500 oder 650 – wie im Fall der Grazer Oper – ist kein großer Unterschied. Wirtschaftlich aber könnte er spielentscheidend sein. Denn wenn wir öffnen dürfen, erhalten wir keine Stützungsmaßnahmen mehr. Dann brauchen wir die Einnahmen wie einen Bissen Brot. Daher plädieren wir für einen vernünftigen Prozentsatz.
Spielentscheidend? Die Bühnen Graz sind ein Unternehmen der öffentlichen Hand. Im Gegensatz zu diversen Privattheatern können sie gar nicht Pleite gehen.
Ja, aber es gibt eine Geschäftsführerverantwortung. Und auch der Aufsichtsrat könnte u. a. bei einer negativen Eigenmittelquote haftbar gemacht werden. Ich möchte aber nicht schwarzmalen: Ich bin mir sicher, dass diese Krise das jahrtausendealte Phänomen Theater nicht umbringen wird. Sie ist nur ein vorübergehender, nervenaufreibender Prozess. Auch wenn wir die „Butterfly“-Premiere x-mal verschieben müssen.
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