Martin Kušej: "Theater muss Widerstand leisten"
Ende Juni 2017 bestellte Thomas Drozda, damals Kulturminister, Martin Kušej zum Burgtheaterdirektor ab dem Herbst 2019 – und damit zum Nachfolger von Karin Bergmann. Der Regisseur, 1961 in Wolfsberg geboren, ist seit 2011 Intendant des Residenztheaters in München. Davor, von 2004 bis 2006, war er u.a. Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele. In den letzten Monaten sorgte er wiederholt für Aufregung – weil er in der Burg größere personelle Veränderungen vornimmt, nicht nur im Ensemble, sondern auch in der Technikmannschaft und in der Administration. Nun nimmt Kušej Stellung.
KURIER: Sie wurden von einem Kulturminister der SPÖ designiert – und werden nun Direktor unter einer ÖVP-FPÖ-Regierung. Wie geht’s Ihnen damit?
Martin Kušej: Ich beobachte die Zustände ja noch aus der Ferne, aus München. Aber gut gehen tut’s mir damit überhaupt nicht. Als Bürger wie auch als Burgtheaterdirektor, der in der Öffentlichkeit steht, habe ich selbstverständlich eine gewisse Verantwortung – und werde Entwicklungen gegebenenfalls weder hinnehmen noch unkommentiert lassen.
Werden Sie diese mit Ihren Worten kommentieren – oder mit der Sprache des Burgtheaters?
Das ist eine gute Frage: Äußert man politische Haltung als öffentliche Person – oder als Bürger? In meinem Fall fällt das ein bisschen zusammen. Ich möchte jedenfalls eine, wie ich hoffe, vernünftige Position einnehmen. Mir geht es nicht um das übliche Bashing, um dieses Wiederholen von Kategorisierungen. Ich will mich auch nicht in irgendeine Ecke drängen lassen. Aber es steht außer Frage, dass ich für die Demokratie – und zwar ohne Vorbehalte – und auch für die Menschenrechte, für Humanität und die Caritas eintrete. Ich will das eigentlich gar nicht hervorkehren. Ich denke, diese Position sollte Standard sein.
Und das wird sich im Spielplan widerspiegeln?
Genau. Was ich nicht mag, ist ein aktualitätsheischender, unter Anführungszeichen „politischer“ Spielplan. Wenn ich etwa eine Inszenierung über ein Thema wie Migration, Identität beziehungsweise Identitätssuche, Nationalität, Sprache oder Heimat – diese die Menschen zutiefst beschäftigenden Begriffe – machen will, dann bin ich bei den alten Griechen oder bei Shakespeare schon richtig.
Ihr Gegenentwurf zur nationalen Politik ist, hört man, die Ausrichtung hin auf Europa. Die Burg soll daher nicht mehr das Nationaltheater sein?
Ja, ich möchte das gerne aufbrechen. Alles, was Grenzen, Limits und Quoten hat, stört mich. Ich würde diese Begriffe gerne – auch in einem gewissen utopischen Sinn – hinter mir lassen. Und ich denke, dass das Theater die richtige Denkfabrik dafür ist. Oder die Traumfabrik, wenn man so will. Dass dort Sachen verhandelt werden, die in der Wirklichkeit vielleicht noch nicht umsetzbar sind. Wir können zumindest Fragen stellen, verschiedene Perspektiven einnehmen – und auch Lösungen überlegen. Ich bin begeistert vom Odéon in Paris, das sich sogar als „Théâtre de l'Europe“ tituliert. Wobei einem der Begriff Europa heutzutage sehr leicht über die Lippen geht. Man muss Europa auch kritisieren bzw. hinterfragen: Was ist von der Idee Europa übrig geblieben? Ich zähle mich an sich zum glühenden Befürworter dieser Idee, aber es ist momentan sehr schwer, daran zu glauben. Denn ich empfinde mitunter eine eklatante Richtungslosigkeit bei der Europapolitik der Europäischen Union.
Europa ist mehr als die EU.
Das stimmt. Aber irgendwer muss ja verantwortlich sein. (Er lacht auf.) Puh, das ist eine schwierige Diskussion! Und es gibt derart viele Aspekte. Mich würde zum Beispiel interessieren, die Visegrád-Staaten nicht einfach zu verteufeln, sondern zu fragen, warum der Nationalismus dort eine viel größere Rolle spielt als in der westlichen Welt. Dazu muss man, finde ich, passende, provozierende Geschichten erzählen. Das kann das Theater – die Politik nicht!
Der Nationalismus greift mittlerweile doch überall um sich. Kann das Theater überhaupt etwas ausrichten? Kann es erfolgreich Widerstand leisten?
Es muss auf jeden Fall Widerstand leisten. Aber hat es Nachhaltigkeit? Das ist eine wichtige Frage für mich. Ich bin oft sehr enttäuscht, wenn sich im Theater die „üblichen Verdächtigen“ im Zuschauerraum mit denen auf der Bühne verbrüdern, sich als aufrechte Demokraten und Humanisten bezeichnen – aber draußen spielt was Anderes. Daher will ich eben meine Rolle als öffentliche Person sehr ernst nehmen. Mir hat die Haltung von Martin Roth imponiert, der 2017 starb. Er trat 2016 als Direktor des Victoria and Albert Museums zurück und begründete dies mit dem Brexit, den er als persönliche Niederlage empfand. Er wollte da nicht weiter mitspielen. Ich habe ihn kennengelernt, er hat mir tief eingebrannt, dass man die Ideen der Demokratie und des Humanismus gerade als öffentliche Person mit Vehemenz vertreten muss. Und zur Not auch Konsequenzen zu ziehen hat.
Die Regierung findet 1,50 Euro für die Arbeitsstunde von Asylberechtigten in Ordnung, der Innenminister hat die Asyl- in Ausreisezentren umbenannt und so weiter. Wann würden Sie nicht mehr mitspielen?
Das kann ich nicht definieren. Ich finde das alles indiskutabel. Aber ich vertraue noch darauf, dass wir weiterhin ein unabhängiges Gericht und unabhängige demokratische Institutionen, darunter eine unabhängige Presse, haben. Ich vertraue auch noch auf einen mündigen Bürger. Und ich hoffe, dass es nicht so schlimm ausgeht, wie es ausgehen könnte. Aber ja, es ist schon eine sehr nachdenklich machende Zeit. Und natürlich frage ich mich, was das Theater machen kann. Meine Hoffnung ist, dass selbst der kleine Tropfen etwas aushöhlt.
Ich habe gehört, Sie mögen den Begriff „die Burg“ nicht.
Das hat sich schon herumgesprochen? Das ist eine gute Nachricht! Der Begriff „die Burg“ bedeutet für mich etwas Abgeschottetes, etwas Bedrohliches. In meiner Gegenwart muss jeder zehn Euro zahlen, wenn er „die Burg“ sagt. Es ist das „Burgtheater“. Ich will, dass es ein Theater ist – und nicht eine Burg.
Aber ist sie nicht auch eine Burg? Eine Trutzburg – gegen nationalistische Strömungen?
Aber nur als Trutzburgtheater! (Er lacht.) Und wir ziehen uns ja nicht in das Gebäude zurück. Ich will in die Stadt hinausgehen, wie es derzeit mit den „Stadtrecherchen“ passiert, und auch in die Bundesländer. Das habe ich in meiner Bewerbung formuliert. Es ist richtig, dass wir nicht nur in Wien sitzen, sondern auch in Vorarlberg oder Kärnten oder wo auch immer mit Koproduktionen präsent sind. Denn unser Haus wird von allen mitfinanziert.
Matthias Hartmann, einer Ihrer Vorgänger, war, wie Sie, ein „playing captain“ – und startete seine Direktionszeit gleich mit fünf oder sechs eigenen Inszenierungen. Und Sie?
Die Eröffnungspremiere bestreitet jemand anderer.
Ulrich Rasche mit Lessings „Nathan der Weise“?
Angeblich. Ich lasse Euch Journalisten weiter im Rate-Stadium. Jedenfalls: Ich dränge mich zu Beginn nicht auf und werde erst später inszenieren. Es ist, ganz ehrlich, gar nicht möglich, neben dem Job als Direktor viel zu inszenieren. Mehr als zwei Inszenierungen werden es pro Jahr nicht sein können. Ich bringe aus München ein paar Inszenierungen mit, die Wiener Premieren werden auf das erste halbe Jahr verteilt sein. Und ich übernehme ungefähr 14 Produktionen aus der Ära Karin Bergmann. Es sind gute Inszenierungen.
Und die Neuinszenierungen?
Diese jetzt zu verraten, das wär’ blöd. Denn dann weiß ich ja nicht, was ich Anfang Juni bei meiner Antrittspressekonferenz sagen soll. Die Zahl der Premieren wird in etwa gleich bleiben.
Von wie vielen Ensemblemitgliedern trennen Sie sich?
Ich habe die Verträge von 19 Mitgliedern nicht verlängert – von 65. Das ist, für meine Begriffe, ein moderater Prozentsatz. Vor acht Jahren, als ich das Residenztheater übernahm, war ich viel radikaler. Aus München werde ich zehn, elf Schauspieler nach Wien mitbringen, der Rest wird aus anderen Ensembles kommen.
Sie trennen sich z.B. von Christiane von Poelnitz, die nach Hamburg geht, von Petra Morzé und von Stefanie Dvorak. Was ist mit Joachim Meyerhoff?
Über einzelne Schauspielerinnen und Schauspieler möchte ich mich hier nicht äußern. Mit Joachim Meyerhoff bin ich in bestem Einvernehmen, aber ich kann mich nicht zu seinen Plänen äußern. Das muss Meyerhoff selber machen.
Ihre Lebenspartnerin ist die Schauspielerin Sophie von Kessel. Wie halten Sie es mit Family Business?
Ich trenne Beruf und Privatleben streng. Ich bin ein Lehrersohn. Als solcher hatte ich es in einer Dorfvolksschule nicht so leicht. Weil die anderen dachten, dass ich bevorzugt würde. Das hat mich geprägt: Jemand, der mit mir zusammen ist, hat es sicher schwerer mit mir im Beruf als jemand anderer.
Caroline Peters bleibt – unter der von Ihnen gestellten Bedingung, nur in Wien zu spielen.
Das ist tatsächlich eine Bedingung. Als Direktor muss es mir wichtig sein, ein starkes Ensemble im Haus zu haben. Ich bin bekanntermaßen kein Fan des herumreisenden Schauspielers. Erst kürzlich sah ich eine Werbung des KHM mit dem „Turm zu Babel“ – samt dem Hinweis: „Nur in Wien zu sehen.“ Auch wenn Pieter Breughel den Turm zweimal gemalt hat: Das hat mir gefallen.
Für die Salzburger Festspiele gibt es eine Ausnahme?
Ist das eine Fangfrage, weil Tobias Moretti den Jedermann spielt? (Er grinst.) Natürlich gibt es diese Ausnahme. Ich glaube, dass die Festspiele und das Burgtheater eine sehr enge Kooperationsachse bilden sollten. Das ist sicherlich ausbaufähig.
Die Auslastung liegt derzeit bei über 82 Prozent. Ist das eine Vorgabe? Oder falls die Quote nichts zählt: Was wären Ihre Parameter für Erfolg?
Auch in München haben wir in den letzten Jahren eine fulminante Auslastung erzielt. Das würde ich gerne weiterhin erreichen. Denn ich will gutes Theater machen für möglichst viele. Und ich bin guter Dinge. Weil Wien eine theaterverrückte Stadt ist – mit einem tollen Publikum!
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