Robert Schindel: "Die Angst wurde von mir ins Wort geschickt"
Wo soll man anfangen, es gibt so viel zu sagen über Robert Schindel als Schriftsteller, als Lyriker, als Wiener Jude, als denkender Mensch, der das Nachkriegsösterreich bis in die Gegenwart nicht zuletzt mit Werken wie dem Roman „Gebürtig“ entscheidend mitgestaltet hat. Das folgende Gespräch ist ein winziger Einblick in das Universum des Dichters, Lehrers und stets Lernenden; seinen Humor, seine Tiefe, seine Leichtigkeit.
KURIER: Sie sind Opernfan. „Parsifal“ ist für viele ein Pflichttermin zu Ostern. Für Sie auch?
Robert Schindel: Ich habe im fortgeschrittenen Alter meine Cousine kennengelernt, eine Verwandte meines Vaters. Eine Opernfanatikerin. Ich habe ja schon mit 13 Feuer gefangen, war ständig in der Oper, außer in meiner Zeit beim kommunistischen Bund, den Maoisten, die waren gegen Oper. Die Lieblingsoper meiner Cousine war "Parsifal". Ich bin also 13 Jahre lang jeden Karfreitag mit ihr beim "Parsifal" gesessen. Es gibt Wagner-Opern, die ich mag, diese gehört nicht dazu. Ich glaub, da ist ihm nix mehr eingefallen. Der Ring ist mir lieber. Ich mochte Wagner immer, weil er literarisiert hat, der Text spielt eine Rolle. Ich war immer ein Freund der klassischen Sagen, auch der Erzählungen um den Artuskreis, und die Gralserzählung im Parsifal ist ja ein wichtiger Bestandteil der deutschen Literatur.
Ihre Eltern waren bei der KPÖ. Man könnte sagen: Verständlich, dass sich so viele Juden den Kommunisten angeschlossen haben, weil die sich gegen Hitler engagiert haben.
Viele Juden waren auch bei den Sozialdemokraten. Weil es um eine Veränderung der Welt zu einem besseren Leben für alle ging. Auch im Judentum ist Gerechtigkeit ein hoher Wert. Die Juden, die immer weniger religiös wurden und sich assimiliert haben, haben anderswo Entsprechungen gesucht, in der Sozialdemokratie oder bei der KPÖ, wohin meine Mutter sehr früh gegangen ist.
Gleichzeitig gab es bei den Kommunisten immer schon und mit der Gründung Israels ganz besonders einen ausgeprägten Antizionismus. Jetzt ist der linke Antizionismus wieder unüberhörbar.
Der Antizionismus war auch bei meiner Mutter da. Sie sagte: Wir Kommunisten wollen, dass es nirgends mehr Antisemitismus gibt, nicht nur in einem jüdischen Staat. Diese Weltverbesserung ohne religiöses Brimborium und ohne die Last der jüdischen Geschichte war Motivation für viele jüdische Kommunisten. Ich habe mich nach meinen Irrtümern bei den Maoisten dazu entschieden, über das Judentum an sich nachzudenken, mich mit mir selbst als linkem Juden auseinanderzusetzen. Die kommunistischen Parteien haben zwar immer vom Existenzrecht Israels gesprochen, aber damit meinten sie Israel als Staat unter gleichberechtigtem Zusammenleben von Juden, Christen und Moslems. Der Sinn der Sache war aber, einen jüdischen Staat zu machen, wo man als Jude nicht mehr minorisiert wird. Diese Differenzen bestehen bis heute.
Sind sie ein Mitgrund für die weltweiten Anti-Israel-Demos?
Sicher. Der Antizionismus hat sich durchgesetzt. Und nirgends sonst wird der Staat derart mit der Regierung verwechselt. Frankreich ist Frankreich, egal, ob de Gaulle oder Mitterrand regiert. Die hat man kritisiert oder auch nicht, aber niemand hat gesagt: Ich bin gegen Frankreich. Auch ich halte Netanjahu für eine Katastrophe, wie mindestens die Hälfte der Israelis das auch tut, aber man kann doch nicht den jüdischen Staat deshalb angreifen!
Sie unterrichten auf der Angewandten. Auch dort gab es antiisraelische Tumulte. In Paris haben Studenten unlängst einen Uni-Campus in Gaza umbenannt und jüdischen Studenten den Eintritt verwehrt. Warum findet so etwas ausgerechnet auf Universitäten statt? Es heißt doch immer, Bildung sei das Allheilmittel schlechthin?
Eben nicht. Der Judenhass ist so alt wie die alten Griechen. In Europa hat er spätestens seit dem Beginn der christlichen Konzile eine feste Tradition. Er hat sich seither nicht wesentlich verändert, wenn auch andere Formen angenommen. Zwischendurch hat ein Rassenantisemitismus den religiösen abgelöst, es sind Mischformen aufgetreten, dann kam der Israel bezogene Antisemitismus, der sagt: Die Juden stören ja nicht, wenn sie da und dort in der Diaspora als Minderheit leben, aber einen eigenen Staat? Nein! Das wäre ja wohl nur die Vorstufe, die Weltherrschaft zu erlangen. Der Israel bezogene Antisemitismus von heute wird von den Enkeln jener Leute gelebt, die den Juden in den 1920ern ausgerichtet haben, sie sollen nach Palästina gehen. Jetzt ist es aber auch wieder nicht recht. Der Judenhass ist in der DNA des Abendlandes, er braucht keinen Anlass.
Würden Sie das jungen Linken sagen, würden die das energisch von sich weisen. Denen geht’s ja um Postkolonialismus und Antikapitalismus, die sehen sich gewiss nicht in einer antisemitischen Tradition.
Naja, das geht ja auch nicht, nach der Shoah, wie schaut denn das aus! Vor der Shoah war der Antizionismus übrigens großteils eine innerjüdische Angelegenheit. Da haben die Juden untereinander gestritten, ob man nach Palästina gehen oder ob man sich hier in der Diaspora hauen und verfolgen lassen soll. Nach der Shoah ist der Zionismus plötzlich eine Angelegenheit aller geworden, ein jeder glaubt, sich da einmischen zu müssen. Und die Linken haben den Antikolonialismus über Israel gestülpt, schließlich seien die Juden ja weiß. Und dann hat man den globalen Süden als Freunde dazu genommen und das Apartheids-Südafrika mit Israel gleichgesetzt. So wurde der Antisemitismus dreifach abgesichert: Der religiöse, der „rassische“ und der Israel bezogene Antisemitismus, der auf den alten aufsattelt. Aber denen, die ihn vertreten, würde es die Haare aufstellen, wenn man ihnen sagen würde, dass sie sich in einer guten Tradition befinden.
Ihre Romane wie „Gebürtig“ oder „Der Kalte“ beschäftigen sich mit dem Antisemitismus, von dem wir hofften, dass er hinter uns liegt. Ist das, was jetzt passiert, auch ein Antrieb für Ihr Schreiben?
Tatsächlich kommt in dem Roman, an dem ich jetzt schreibe, auch der Israel bezogene Antisemitismus vor.
Worum geht es darin?
Der Roman ist von den Lebensdaten her ein bisschen an meine Mutter angelehnt. Es geht um eine Kommunistin in Europa, geboren 1910, die den spanischen Bürgerkrieg unterstützt, in der französischen Résistance aktiv ist und dann auf Geheiß der Partei in die Ostmark zurückkommt. Dort verhaftet wird, nach Ravensbrück kommt, überlebt, nach dem Krieg Stalin die Treue hält und erst langsam die Hoffnung verliert. Das Buch wird „Genia und die lichte Zukunft“ heißen, es soll im Juni 2025 fertig werden. Da muss ich mich sputen.
Sie werden nun 80. Ist das ein Punkt, wo man einhält, Rückschau hält?
Nein, man hat ja genügend Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass man, wenn man nicht über die Stiege fällt oder Krebs bekommt, irgendwann einmal 80 wird. Ich bin ja ganz gerne ein bisserl älter, ich genieße das auch. Und ich pflege das Bild: Die bleierne Tür kommt näher. Ich werde sie eines Tages aufmachen, durch sie hindurch gehen und hinter mir schließen. Und dann ist mir alles wurscht. Dass der eigene Tod näher kommt, ist ja eine Banalität. Aber ich habe noch etwas zu tun, zum Beispiel, diesen Roman fertig zu schreiben. Ich betreibe jetzt, im Gegensatz zu früheren Büchern, einen gewissen Wettlauf gegen die Zeit. Ich will fertig werden, so lange ich noch bei Sinnen bin. Wenn er 2026 rauskommt, bin ich zarte 82.
Wie wichtig ist Humor in Ihrem Leben und Schreiben? Im Sinne einer gewissen Sicht auf die Welt?
Es gibt eine große Tradition in der jüdisch-deutschen Literatur. Werfel, Hofmannsthal, Schnitzler, der zu meinen Göttern zählt: Da ist überall, schon durch die Sprache, auch bei den ernsten Sachen, ein Witz dabei, eine gewisse Ironie oder eine Distanzierung. Der Winkel, in dem die Sprache zu den Angelegenheiten des Lebens steht, ist immer auch von Humor durchzogen.
Welche Götter gibt es noch?
Celan, Brecht als Lyriker und ganz besonders liebe ich Else Lasker-Schüler. Ihre Mischung aus Naivität, Judentum und Besserwisserei. Und weil sie sich mit dem Widerling Gottfried Benn so gut verstanden hat, der selber auch ein großer Dichter war, trotz seiner Widerlichkeit.
Kann man den Künstler vom Menschen trennen?
Ja und nein. Bei mir war das Schreiben eine Überlebensfrage. Ich hatte eine schwierige Jugend, Angstträume durch die Bombenangriffe, als ich ein Säugling war. Meine Jugend war geprägt von Misstrauen und einer zu großen Vertrauensseligkeit in andere zugleich. Ich konnte mich gesellschaftlich nicht einmarmorieren, ich fühlte mich wie eine Art Schiefer. Das Schreiben war eine Angstbannung: Die Angst wurde von mir ins Wort geschickt. Einer meiner Essays hieß: „Literatur – ein Auskunftsbüro der Angst“. Angst ist die Urquelle meines literarischen Schreibens.