Resümee Salzburger Festspiele: Ein Super-Sommer auch fürs Budget
Die Salzburger Festspiele enden zwar erst in zehn Tagen (am 31. August), aber es gibt keine großen Premieren mehr. Daher lässt sich bereits jetzt künstlerisch resümieren.
Und auch Lukas Crepaz, der kaufmännische Direktor, kann bereits abschätzen, wie die heurige Saison ausgegangen sein wird. Nämlich äußerst zufriedenstellend: „Wir haben einen Super-Sommer!“ Man werde bei den Erlösen an das Rekordjahr 2019 anschießen können. Sprich: Die Corona-Zeit blieb folgenlos. Auch deshalb, weil die Festspiele in den vergangenen beiden Sommern allen Widrigkeiten zum Trotz ein hochkarätiges Programm angeboten hatten.
Dass die Karteneinnahmen mehr oder weniger wie 2019 bei 31,2 Millionen Euro liegen werden, ist umso erstaunlicher, da drei Vorführungen von „Ingolstadt“, eine Koproduktion mit dem Burgtheater, wegen Corona-Fällen im Ensemble ersatzlos ausfielen.
„Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók in Kombination mit „De temporum fine comoedia“ von Carl Orff und „Káta Kabanová“ konnten eine bessere Auslastung erreichen als prognostiziert; das Interesse an der Janáček-Oper stieg nach der Premiere stark an (genaue Zahlen will Crepaz nicht nennen). Alle anderen Musiktheaterproduktionen, darunter Giacomo Puccinis „Il trittico“-Trilogie, waren erwartungsgemäß so gut wie ausverkauft.
Einen „Gewinn“ werde man trotzdem nicht machen, so Crepaz. Er ist aber erleichtert, nicht auf die Reserven im befürchteten Ausmaß zurückgreifen zu müssen. Denn in diesem Geschäftsjahr betrugen die unvorhergesehenen Belastungen eine Million Euro – aufgrund abgesagter Vermietungen des Festspielhauses im letzten Lockdown und der stark gestiegenen Energiepreise. Die zu erwartenden Lohnsteigerungen könnten zudem nicht über allfällige Mehreinnahmen kompensiert werden: „Wir brauchen die Reserven im kommenden Jahr dringend!“, so Crepaz.
Die düsteren Wolken in der Ferne schmälern aber nicht die Freude über den „Super-Sommer“: Heuer konnten bereits elf „Jedermann“-Vorstellungen auf dem Domplatz stattfinden; 2021 waren es wegen der Regenfälle insgesamt nur vier gewesen ...
Die Opern-Bilanz:
Im Vorfeld waren die Salzburger Festspiele von der Debatte überlagert, wie man mit dem griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis umzugehen habe. Diese entstand auch selbst verschuldet, weil die Verantwortung über Ein- bzw. Ausladung hin- und hergeschoben wurde. Nach der Eröffnungspremiere, „Herzog Blaubarts Burg“ und „De temporum fine comoedia“ von Bartók/Orff, dirigiert von Currentzis, war die Diskussion aber rasch verstummt, und man konzentrierte sich auf wesentlichere Produktionen.
Künstlerisch drei Anmerkungen zur ersten Neuproduktion: Das Gustav-Mahler-Jugendorchester spielte unter Currentzis beachtlich; die Regie von Romeo Castellucci bei „Blaubart“ war erstklassig; und das Werk von Orff möge wieder gut im Archiv ruhen.
Die – mit Abstand – beste Opernproduktion, die man in Salzburg erleben konnte, war „Il trittico“ von Giacomo Puccini. Das lag an Protagonistin Asmik Grigorian, die in allen drei Kurzopern die zentrale Sopranpartie sang – phänomenal; an der Inszenierung von Christof Loy; und am fabelhaften Dirigat von Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker, die den oft ins Kitsch-Eck gedrängten Puccini mit Ernsthaftigkeit, Präzision und emotionaler Kraft realisierten. Am liebsten würde man diese Produktion gleich wieder sehen – durchaus auch im Repertoire der Staatsoper.
Durchwachsen war die Premiere der Oper „Káťa Kabanová“ von Leoš Janáček in der Felsenreitschule. Regisseur Barrie Kosky verhängte diese zwar nicht wie Castellucci, präsentierte bei seiner Erzählung des Dramas der an der Gesellschaft zerbrechenden Protagonistin aber viele Klischees. Auch musikalisch (Jakub Hruša/Philharmoniker) gab es bei der Premiere Luft nach oben. Gefeiert wurde Corinne Winters in der Titelrolle – ob sie wirklich ein neuer Festspielstar wird, muss sich erst zeigen.
Cecilia Bartoli kehrte in Rossinis „Il barbiere di Siviglia“, der erfolgreichen Produktion ihrer Pfingstfestspiele, zurück. Aus einer Zeit vor der Pandemie kamen gleich zwei Inszenierungen wieder, allerdings heftig überarbeitet. Verdis „Aida“ tat der stärkere Zugriff durch Regisseurin Shirin Neshat gut, ein exzellentes Debüt absolvierte Piotr Beczala als Radames, Ève-Maud Hubeaux als Einspringerin in der Partie der Amneris war das Zentrum der Produktion. Bei der „Zauberflöte“ lässt sich über die Sinnhaftigkeit der Rückkehr streiten.
Die Theater-Bilanz:
Letzten Herbst gab Bettina Hering, Schauspielchefin der Festspiele, bekannt, ihre Tätigkeit nach dem Sommer 2023 zu beenden. Über ihre Zukunft schwieg sie bisher. Und so wurde in Salzburg darüber spekuliert, ob sie nicht Martin Kušej nachfolgen werde, dessen Vertrag als Burgtheaterdirektor 2024 ausläuft. Falls Hering tatsächlich an einer Bewerbung interessiert sein sollte: Ihr heuriges Programm wird sie nur schwer als Atout einsetzen können.
Es fehlte das Außerordentliche. Die vier Neuproduktionen – samt und sonders Koproduktionen – sind nicht für Salzburg konzipiert. Das merkte man auf der Perner-Insel: Die Möglichkeiten der ehemaligen Salzlagerstätte, in der einst Peter Stein eine überwältigende „Libussa“ gestemmt hatte, wurden nicht genutzt. Die Burg täuschte zumindest bei „Ingolstadt“ mit Spiegelwänden unendliche Tristesse vor; das für Hamburg ohne viel Esprit entworfene Bühnenbild zu „Iphigenia“ stand hingegen recht verloren herum. Aber da wie dort waberte der Nebel und man watete durchs Wasser. Nebel und Wasser stehen am Stadttheater derzeit sehr hoch im Kurs.
Für „Verrückt nach Trost“, quasi eine Tourneeproduktion, braucht es kein effektvolles Bühnenbild: Das Stück lebt durch die Schauspieler, darunter André Jung, und die waren exzellent. Das Publikum wurde mit spritzigen Dialogen und Slapstick unterhalten. Nachgespielt wird die Stückentwicklung von Thorsten Lensing dennoch nicht werden.
Wirklich imponieren konnte nur die Nobelrestaurantlandschaft für „Reigen“ (Schauspielhaus Zürich). Zehn Autorinnen und Autoren hatten je eine Szene neu geschrieben – anscheinend ohne Vorgaben. Und so machte jeder, was er wollte. Das Konzept von Arthur Schnitzer war damit zerstört, die Aussage detto, es dominieren die Anschlussfehler, die nicht einmal die versierteste Regisseurin hätte ausbügeln können.
Und das war wohl der Grundfehler des Programms: Dass den originalen Texten derart misstraut wird. Dass es geradezu den Zwang gibt, ein Stück mit aller Gewalt anders aufsetzen zu müssen. So wurden die beiden Ingolstadt-Dramen von Marieluise Fleißer miteinander verzahnt (was nicht notwendig wäre) – und der Iphigenie-Stoff mit dem feministischen Brecheisen traktiert, bis daraus ein Stück über Missbrauch wurde.
Wenigstens begeisterten Verena Altenberger und Lars Eidinger im „Jedermann“. Ein letztes Mal. Leider.
Kommentare