Sie haben Orffs „comoedia“ mit Béla Bartóks „Blaubart“ kombiniert. Warum denn?
Ja, diese Koppelung mag ungewöhnlich erscheinen. Blaubart ist eine symbolistische Fabel über die dunklen Bereiche des Menschen. Und die Protagonistin hat den biblischen Namen Judith. Das ist kein Zufall! Orff wiederum verwendet für seinen Schluss einen Choral von Bach: „Vor Deinen Thron trete ich hiermit …“ In dieser Koppelung geht es auch um die Frage des Bösen, um die Frage des Urteils und der Gerechtigkeit. Romeo Castellucci wird am Ende eine Berührung beider Werke vornehmen, die viel mit christlicher Symbolik, viel mit der theosophischen Welt Carl Orffs zu tun hat.
Carl Orff gilt als unpolitisch, aber er nahm Aufträge des NS-Regimes an – sein „Einzug und Reigen der Kinder“ wurde zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin aufgeführt. Trotzdem holen Sie sein Werk aus der Versenkung?
Er ist für die „Carmina Burana“ bekannt – und für sein „Schulwerk“. Er hat aber auch große Weltentwürfe komponiert. Da gibt es einiges zu entdecken und zu decodieren! „De temporum fine comoedia“ jedenfalls ist ein dringliches Meisterwerk mit einer grandiosen Musik. Es wurde übrigens bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt – 1973 von Herbert von Karajan. Und der Zeithistoriker Oliver Rathkolb kommt in einer Studie zum Ergebnis, dass es keinen Grund für eine Verfemung von Carl Orff gibt.
Premiere ist am 26. Juli, Teodor Currentzis wird dirigieren. Sein erstes Konzert wurde bejubelt. Ist die Debatte daher für Sie gegessen?
Was heißt gegessen? Die Debatte wird ja weitergehen. Und ich werde mich ihr weiter stellen. Das Konzert war ein Manifest gegen Antisemitismus, gegen Grausamkeit, gegen das Vergessen. Auch ein solch starkes Zeichen von Teodor Currentzis sollte man zur Kenntnis nehmen.
Die beiden musicAeterna-Ensembles, das Orchester und der Chor, werden von einer russischen Bank, der VTB, mitfinanziert, die auf der Sanktionsliste der EU steht.
Ein kleines Gedankenspiel: Würde musicAeterna nicht von der VTB strukturell unterstützt, sondern von der Gazprom Bank, würden wir dann auch von einem Problem sprechen? Die Gazprom Bank steht nicht auf der Sanktionsliste, und die Gründe dafür sind mehr als offensichtlich. Wir brauchen sie, um die für uns leider sehr notwendigen Gasgeschäfte abzuwickeln. musicAeterna besteht überwiegend aus Musikern aus Russland, aber auch aus ukrainischen Musikern, Musikern aus Aserbaidschan und anderen russischen Teilrepubliken. Man kann dieses Orchesterprojekt auch als Gegenentwurf zu jeglicher Form von Nationalismus und Chauvinismus sehen. Und noch etwas: Keiner von den ukrainischen Musikern hat sich bis jetzt geweigert, unter Currentzis zu spielen. Das könnte uns doch auch zu denken geben. Die vermeintliche Nähe zu Putin erscheint mir schon sehr konstruiert.
Currentzis ist also kein Karl Böhm, der dem Führer huldigte und Generalmusikdirektor an der Semperoper in Dresden, dann an der Wiener Staatsoper wurde?
Und auch nach dem Krieg allseits geschätzt war … Um in der Gegenwart zu bleiben: Currentzis ist definitiv kein Gergiev. Und Valery Gergiev wurde bis zum Februar allerorts hofiert – trotz seiner hinlänglich bekannten Nähe zu Putin. Auch von jenen, die ihn jetzt verteufeln.
Viele westliche Kulturinstitutionen gingen, wie die Festspiele, im letzten Jahrzehnt Kooperationen mit Russland ein. Aus Geldgier?
Es gab, und dies auch als Folge von Glasnost und Perestroika, einen Konsens darüber, dass man mit Russland zusammenarbeiten kann, auf politischer, wirtschaftlicher, sportlicher und kultureller Ebene. Alle haben es getan! Auch in der Einschätzung, dass weltanschauliche Differenzen durch eine immer stärkere Verflechtung ökonomischer, sozialer und kultureller Parameter neutralisiert werden können. Also, dass man eine Art von Koexistenz finden kann. Das ist ja auch das Wesen der Globalisierung, dass alles immer enger miteinander verflochten ist.
Es gab daher keine Bedenken bei der Gründung des russischen Freundeskreises?
Das Direktorium hat kein Problem darin gesehen. Weltweit haben wir in Freundesvereinen um die 6.000 Mitglieder – in Deutschland, der Schweiz, in den USA und selbstverständlich auch in Österreich. Und der russische Freundesverein hat nicht einmal 20 Mitglieder. Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich dabei um enthusiastische Musikliebhaber. Ja, sie können es sich leisten, nach Salzburg zu kommen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, alle Besucher mit einem russischen Pass zu scannen und zu verdächtigen.
Hatte der Deal mit Gazprom nicht schon bei der Bekanntgabe einen Beigeschmack?
Anlässlich des Sotschi-Dialogs 2019 hatten sich Gazprom und OMV bereit erklärt, „Boris Godunow“ im Jahr 2020 mit je 200.000 Euro zu unterstützen. Coronabedingt fand diese Produktion nicht statt, wir haben das Geld zurückbezahlt. Dass diese Annäherung mehr als einen fahlen Beigeschmack hatte, dass sie tatsächlich ein Fehler war, sage ich nicht zum ersten Mal. Die Festspiele sind deswegen aber nicht verderbter als all die anderen, die mit der OMV und oder Gazprom kooperiert haben. Die enge Zusammenarbeit von OMV und Gazprom war bekannt. Und es ist auch kein Geheimnis, dass Rainer Seele, der damalige OMV-Chef, aus der Hand Putins 2018 den Orden der Freundschaft erhalten hatte. All dies kann man nicht den Festspielen vorwerfen.
Der Dialog sollte die bilateralen Beziehungen stärken – und Bundespräsident Alexander Van der Bellen soll Putin zu den Festspielen eingeladen haben.
Die Salzburger Festspiele jedenfalls haben Putin nicht eingeladen. Die Einladung wurde auf höchster politischer Ebene ausgesprochen.
Und es gibt auch das Geld der V-A-C Foundation, gegründet von Leonid Wiktorowitsch Michelson …
Die V-A-C Stiftung steht nicht auf der Sanktionsliste. Michelson hat in Moskau ein großes Kulturzentrum errichtet. Es funktioniert nur in Zusammenarbeit mit der internationalen Kunst- und Kulturszene. Jetzt ist es quasi tot. Wenn also selbst Michelson die Entwicklung nicht vorhersehen konnte: Wie hätten wir es können? Zum Sponsoring von V-A-C kam es zudem nicht über Michelson: Die künstlerische Leiterin, Teresa Iarocci Mavica, eine Italienerin, ist eine große Bewunderin von Castellucci. Und so bekamen wir für seine Inszenierungen „Salome“ und „Don Giovanni“ jeweils 400.000 Euro. Diesen Betrag sollte es auch heuer für „Blaubarts Burg“ geben. Ob es dazu kommt? Ich weiß es nicht.
Im Opernprogramm gibt es neben den drei Premieren noch „Aida“ und „Zauberflöte“ – als vergleichsweise billige Neueinstudierungen.
Die Premieren 2017 bzw. 2018 haben nicht das eingelöst, was wir uns erhofft hatten. Nun geben wir den beiden Produktionen nicht bloß eine zweite Chance: Sie werden wirklich weiterentwickelt. Das kostet auch Geld.
Also kein Sparprogramm in der Krise?
Definitiv nicht. Zu welchen Konsequenzen uns der scheußliche Krieg zwingen wird, ob es daher so etwas wie ein Sparprogramm geben muss, wird sich erst zeigen. Ich hoffe natürlich nicht.
Ist es richtig, Festspiele zu veranstalten, während in Europa der Krieg tobt? Oder sind die Festspiele ein freudiges Ablenkungsmanöver?
Wir werden wiederholt thematisieren, in welcher Situation sich die Welt befindet – auch im Rahmen eines hochkarätigen Symposions. Es wird offensichtlich werden, dass wir diesen Krieg ablehnen. Krieg ist die Negierung aller Politik, Krieg ist Barbarei, Krieg ist Primitivität. Und die Kunst eröffnet einen anderen Gedankenraum. Es ist wert, sich in diesen zu begeben!
Es gibt aber Premierenfeiern und Sponsorendinner ...
Keine Premierenfeier zu machen, würde nichts an der Situation ändern. Wir leben! Und wir müssen auch leben!
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