Rätselhaft, wie sich große Kunstwerke über die Zeiten hinwegsetzen, Vergangenes mit Gegenwärtigem überblenden, Menschheitsverbrechen aus düsterer Vergangenheit ins Heute holen. All das manifestierte sich im Eröffnungskonzert der „Ouverture spirituelle“ im Salzburger Großen Festspielhaus, als Currentzis mit dem Gustav Mahler Jugendorchester Dmitry Schostakowitschs 13. Symphonie in b-Moll, op. 113 aufführte.
Die Vertonung von Jewgeni Jewtuschenkos Gedicht „Babi Jar“ thematisiert den Mord von 33.000 Juden in einer Schlucht in der Nähe von Kiew 1941 und den Antisemitismus in der Sowjetunion. Ein Tabu zu Zeiten Nikita Chruschtschows, was die Uraufführung der Symphonie gefährdete. Auch nach Stalin hatte Schostakowitsch also vom staatlichen Regime keine Ruhe.
Auflehnen gegen Repression
Seine Musik aber blieb ein ständiges Auflehnen gegen Repressionen. Das ließ Currentzis deutlich hören. Er ist einer jener Dirigenten, die sich intensiv mit einem Werk auseinandersetzen, aber auch sehr oft mit exzentrischen Lesarten übertrieben.
Wie anders als sonst aber agierte dieser Mann am Pult bei Schostakowitschs „Dreizehnter“. Er nahm sich ganz zurück, stellte sich komplett in den Dienst des Kunstwerks und brachte es fulminant zur Geltung. Die zarten Glockenschläge zum Auftakt läuteten das Besondere ein: ein Kaddish vorgetragen vom international gefragten Kantor Naftali Wertheim.
Dann Schostakowitsch. Die ersten Takte versetzten mit schwebender Transparenz in Höchstspannung. Faszinierend, wie diese über alle fünf Sätze dann durchgehalten wurde. Jede Passage war feinst ausgelotet, aufs Schärfste akzentuiert. Brillant intonierte der Bass Dmitry Ulyanov mit seiner sonoren, flexiblem Stimme, den Solopart. Die Balance zwischen Solist, Orchester, und Chor (famos die Herren von MusicAeterna und des Salzburger Bachchors) stimmten.
Virtuos die Solisten im Orchester. Mit welcher Präzision und welcher Hingabe da gespielt wurde. Da gab es Passagen, wo man spüren konnte, wie sich die Musik aufbäumte. Verstörend, überwältigend, die Marschrhythmen. Wie entrückt dann das kammermusikalische Finale.
"Was hier geschah: ich kann es nicht vergessen!“
Bei Jewtuschenko heißt es: „Bin selbst der sinnlos hingemähte Greis. Bin selbst der Kinder eins, die hier erschossen. Was hier geschah: ich kann es nicht vergessen!“
Wer kann da Assoziationen zur Gegenwart ausblenden? Was will man denn noch? Deutlicher kann ein Dirigent den Schrecken nicht in Musik umsetzen. Das Publikum hat’s verstanden und akklamierte dieses denkwürdige Konzert mit stehenden Ovationen.
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