Theater-Ringelspiel
Der "Jedermann" ist eine Theater-Ringelspiel, bei dem sich das Publikum in jeder Kurve zu Hause fühlen darf: Am Anfang erfreut man sich der fiesen Neureichenmentalität des ordentlichen Jedermannsbilds, dann - ätsch! - daran, dass er durch die Läuterung muss (und versucht dabei, sich auch den einen oder anderen tiefen Gedanken zu machen).
So einfach war es, so einfach wird es nie wieder sein: Sturmingers vielfach überarbeitete Inszenierung rückt in ihrer derzeitigen Variation die Diskurse des Jetzt - hust Emanzipation hust - ein bisserl näher an den Domplatz heran. Jetzt schmückt sich zu Beginn, pardauz!, die Frau - auf den Schultern des Mannes sitzend - mit den Insignien des Reiche-Leute-Tands, und der Jedermann ist nicht der Macker, sondern plötzlich nur der Koch.
Verkehrte Welt! Gegen so viel toxische Unmännlichkeit, die mancher im Publikum hier mit Schrecken wahrzunehmen glaubt, hilft auch nicht der sich abzeichnende Riesenpimmel im Fat Suit, den sich der Jedermann alsbald umhängt.
Heutiges Paar
Altenberger und Eidinger sind, alleine optisch, das heutigste Jedermann-Paar in Erinnerung; insbesondere die Buhlschaft setzt die Reihe an neuen Frauenbildern in Richtung Heute fort. Hier geht es längst nicht mehr um den alljährlichen Fang eines tollen Weibes, mit dem sich auch das Festspielpublikum selbst ein bisschen schmücken darf; sondern um eine Befragung anhand der Rollenbilder von Heute. Da erscheint der alljährliche Tanz um das Buhlschaft-Kleid, heuer besonders lustlos abgewickelt, entsprechend hohl. Aber zumindest wurde heuer nicht, wie letztes Jahr, wieder hauptsächlich über die Haarlänge Altenbergers diskutiert.
Aber natürlich passt dieses Festspielfaktotum nicht in jede Form, in die man versucht sein könnte, es zu gießen: Es quillt über und nimmt sodann seine Urform ein. Und so darf auch heuer wieder, in einer letzten steilen Volte, der Glauben einen erlösen, der vorher alles dazu tut, sich seine Nachspielzeit im Jenseits zu vergeigen. Jedermanns Sanktionen gegen Arme und Schwache haben ihm mehr geschadet als diesen; Eidinger verprügelt auch heuer wieder seinen Schuldknecht, anstatt ihm zu vergeben.
Die hohle Partylaune an der Tafel des reichen Mannes mündet dann aber in ein intensives Spiel vom Abschied, das sich auf dem Domplatz heuer weit karger gibt als letztjährig im Innenraum: Wo schon mal laute Musik und mancher Lichteffekt Heutigkeit signalisierte, ist heuer Kahlheit und abstraktes Musikergezirpe dominierend. Umso eindringlicher der kalte Tod (Edith Clever), der mit dem Jedermann an den Enden eines langen Tisches sitzt, an den sich Eidinger in bester Putin-Manier festklammert.
Huch, die Gegenwart
Achja, die Gegenwart: Natürlich kann man, wenn man will, den Fragen des Jedermann heuer besondere Dringlichkeit zuschreiben. Allerorten liegt weltgeschichtlicher Egoismus in der Luft (ein drohender kalter Winter lässt eben noch auf den Lippen geführte moralische Ansprüche in Richtung Ukraine ansatzlos schockgefrieren). Der Jedermann kriegt gerade noch die Kurve weg vom Eigensinn, bevor er abtritt, anstatt seine Umwelt weiter seinen Bedürfnissen zu opfern; man braucht nicht viel raten, wie das in der echten Welt ausgehen wird.
Apropos Umwelt: Ein schönes Generationenwerk, das zu entscheidender Stunde mehr als kläglich' Werkschatten darbieten würde, wäre wiederum das Einbremsen des Klimawandels. Nunja, auch hier weiß man, wie das Match steht, und das Festspielpublikum wurde nur wenige Augenblicke mit einem Plakat mit Protest gegen die Ökobilanz eines Hauptsponsors belästigt, bevor sich die jungen Protestierer mit hochroten Wangen vor der Polizei verantworten mussten.
Der "Jedermann" ist eine dankbare Vorlage, bei der sich jeder Gedanken nach seiner Manier machen kann; man kann ihn wirkungslos durchrutschen lassen oder die eine oder andere Frage fürs Leben mit nach Hause nehmen. Am Montagabend schien dies mancher noch überlegen zu wollen: Es gab freundlichen, aber keineswegs enthusiastischen Applaus.
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