RAF Camora hat eine Erkenntnis: Der Millionär hat’s schwer
So richtig, richtig an den Kapitalismus geglaubt wird ja nur noch im Hip-Hop. Wer nichts hat, stürzt sich mit umso religiöserem Eifer auf dessen goldglitzerndes Versprechen, dass am Ende des Rap-Tunnels dicke Schlitten, berstende Geldbörsen und willige Sexpartner warten.
Wie sagen die Engländer so schön: Man soll vorsichtig sein, was man sich wünscht.
Denn man muss nicht lange rätseln, an welchem Punkt der Rap-Karriere emotionale Probleme lauern: Dann nämlich, wenn sich die Ziele bewahrheitet haben – und keine neuen am Horizont auftauchen. Da wird der wilde Macker plötzlich zum Horror-vacui-geplagten Ratlosen, der mit seinen verbalen Werkzeugen ins Leere hämmert.
Willkommen beim neuen Album von RAF Camora.
Der Rapper ist schon vor Jahren in die verbale Penisrakete gestiegen. Und ist aus Rudolfsheim-Fünfhaus ins Weltall geschossen.
Wegen des Rappers musste in Österreich sogar die Charts-Berechnung geändert werden. Denn vom Album „Palmen aus Plastik 2“ schafften es alle Songs gleichzeitig in die Charts, neun der zehn Top-Plätze besetzte der Rapper. Das wurde wegreglementiert.
Und so wird das neue Album „Zukunft“ (welches überraschend kam, da RAF Camora schon in Musikpension war) sehr wohl an die Spitze der Charts gehen, aber weniger eindrucksvoll.
Das liegt also nicht daran, dass die neuen Songs so großartig schlechter oder auch nur anders wären als bisheriges Material. Wer auf breiten Konsens angelegten Hip-Hop an der Tuchfühlung zur Großraumdisco mit eher doch sehr geraden Raps bisher mochte, wird auch in „Zukunft“ zufrieden sein.
Traurig
Daher bleibt Zeit, an „Arsch“ und „Bitch“ und den anderen genretypischen Pflichtvokabeln des Deutschrap vorbeizuhören und musikalische Leerläufe mit Textrezeption aufzufüllen. Und in dieser Hinsicht wird „Zukunft“ ein exemplarisches Album sein – über den Ennui, die emotionale Hilflosigkeit des Rappers am Ziel seiner Träume.
Denn RAF Camora zerhaut die Fassade des Ich-hab-den-Größten – ein riskanter Prozess, bei dem auch nichts übrig bleiben könnte. Zum Vorschein kommt aber ein aus der Bahn geworfener Verbalmacho, der plötzlich dem Wortschatz der Defensive nicht mehr entkommt. Man sieht förmlich zu, wie der breitbeinigste Gang am Ende ins Stolpern kommt.
Gleich im Intro rollt er ein schwieriges Jahr auf, mit persönlichen Schicksalsschlägen, dem verdammten Corona und dem Erfolgsdruck, der dem sonst so extraharten Mann gleich einmal die Lust an der Musik verdorben hat.
„Das ist Realität“, beteuert er anderswo, sein Leben, mit Ferrari, Benz, Frauen und Erfolg, als müsste er sich dessen Wert selbst versichern.
Es droht hier, oh Schreck, überall die Erkenntnis, dass Reichtum und Macht doch nicht alles sind.
Pardauz, möchte man antworten. Aber für Deutschrap ist diese Erkenntnis fast schon Avantgarde.
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