RAF Camora und Bonez MC in Wien: Heimspiel, Brudi
Ferienparadies Wiener Stadthalle. Mehr als 10.000 Menschen (darunter David Alaba) machen am Samstagabend Urlaub unter Palmen aus Plastik. Als Animateure für die Maturaparty fungieren die beiden Superstars des Deutschrap: RAF Camora und Bonez MC - zwei Helden in ihren schönsten Jogginghosen. Karl Lagerfeld dreht sich gerade im Grab um.
Um ihr Publikum zu unterhalten, brauchen die beiden Musiker nicht viel außer knieweiche Dancehall-Beats und große Sprüche fürs kleine Hirn. Das Publikum kann die Zeilen auswendig, singt sie euphorisch mit. Alles scheint möglich zu sein. Das Leben, plötzlich eine einzige Chance. RAF Camora macht es schließlich vor. Er hat alles und kann sich alles kaufen. Unter Palmen aus Plastik lässt es sich ganz gut leben: Ausgedehnte Shopping-Touren gehören da natürlich dazu. Autos dürften dabei eine ganz wesentliche Rolle spielen. Lieblingsgefährt: Maserati GTS. Seine Familie versorgt er mit Audis und Mercedes. Lieblingsfarbe: Anthrazit. Matt foliert, versteht sich.
"Meine Stadt, meine Liebe, mein Hass, mein Herz, mein Vienna“, singt RAF Camora nach mehr als einer Stunde und lässt sich dabei gebührend von seinen Wienern feiern. Für den in Wien-Fünfhaus aufgewachsenen Wahl-Berliner ist der Auftritt am Samstagabend in der Wiener Stadthalle ein Nachhausekommen. Ein Heimspiel ohne Auswärtssektor.
Aber wer ist eigentlich dieser RAF Camora? Nein, mit der Mafia in Italien hat er nichts zu tun. Das ist die Camorra. Damit ist der Bildungsauftrag auch schon wieder beendet.
RAF Camora heißt eigentlich Raphael Ragucci, ist in der französischen Schweiz (Vater Vorarlberger, Mutter Italienerin) geboren und als Pubertierender in Wien gelandet. Nicht auf der Straße, sondern in einer Wohnung im 15. Bezirk. Dort machte er seinen Weg – vom Problemkind über die Matura bis zum Idol einer Generation mit Migrationshintergrund. Heute gilt er als Andreas Gabalier des Deutschrap. Soll heißen: Er ist ein Superstar, einer der Kategorie „Ich will ein Selfie mit dir“. Ob sich Andreas Gabalier und RAF Camora bei der Verleihung des diesjährigen Amadeus Awards (25. April im Volkstheater) - beide sind in der selben Kategorie („Album des Jahres“) nominiert - über den Weg laufen, kann aus heutiger Sicht ausgeschlossen werden. Denn der selbsternannte Alpenelvis boykottiert den Bewerb seitdem er bei der Dankesrede lautstark ausgebuht wurde.
Und RAF Camora? Der 34-jährige Rapper aus Wien-Fünfhaus weiß nicht einmal, was das dieser Amadeus Award sein soll. Er hat ihn zwar bereits zweimal in der Kategorie „HipHop / R’n’B“ gewonnen, aber nie persönlich abgeholt: „Ich hab’s nicht mitbekommen, ich hab gar keine Ahnung vom Amadeus“, sagte er in einem Interview mit dem Hip-Hop-Magazin „The Message“.
Dass er den österreichischen Musikpreis ignoriert, ist verständlich. Das machen andere österreichische Musiker auch. Bei RAF Camora handelt es sich wohl um eine Retourkutsche, denn er wurde hierzulande lange vom Musikbusiness und den Medien ignoriert. "Fick ORF, dann komplett seine Mutter / Zehn Jahre schon mein‘n Erfolg ignoriert“, heißt es im bereist eingangs erwähnten Song „Vienna“.
Charts-Zerstörer
Lange wurden sie ausgelacht, sagt RAF Camora. Dancehall aus Deutschland. Lächerlich. Und jetzt? Jetzt spielt er längst in einer anderen Liga, wie man am Samstag beim ersten seiner zwei Konzerte in der Wiener Stadthalle miterleben konnte. RAF Camoras jüngstes Album „Palmen aus Plastik 2“, das er mit seinem Brudi und Geschäftspartner Bonez MC produzierte, stürmte im deutschsprachigen Raum die Charts.
Egal, was die beiden aktuell auch produzieren, es wird gestreamt. Songs wie „500 PS“, der auf der Musik-Streamingplattform Spotify bereits über 83 Millionen Aufrufe hat, und „Kokain“ sind Hymnen fürs Jugendzimmer. Diese Beliebtheit führte mitunter dazu, dass 13 (!) Songs von RAF Camora unter den Top 15 der „Ö3-Austria Top 40“ zu finden waren. Das „Hitradio“ fühlte sich danach veranlasst, die Zählregeln zu ändern. In Zukunft werden nur noch die Top-Drei-Songs eines Albums in die Wertung aufgenommen, der Rest bleibt unberücksichtigt. „Wir haben die Charts historisch zerfetzt, noch in hundert Jahren werden die Leute davon reden“, sagt RAF Camora dazu auf der Bühne.
Die Dancehall-Beats gehen ins Gebein. Sie funktionieren im Beach-Club auf Ibiza, in der Shisha-Bar am Gürtel, am Strand von Jamaika sowie im Gemeindebau (Wien) oder in der Plattenbausiedlung (Berlin). Einfache Unterhaltung mit Popowackeln-Garantie.
Die Rhythmusabteilung liefert zu den Beats aus der Konserve gefälliges Live-Schlagzeug, Latino-Grooves, Afrotrap, Samples aus Pop und Orient, eingerauchte Reggae-Tunes („Nummer unterdrückt“) und eingängige Melodien. Musik aus allen Welten sozusagen.
Dazu geben RAF Camora und seine Gang die Geschichtenerzähler. Es geht um harte Drogen für harte Männer; um teure Autos für die dicke Hose; um Bräute, die auf Schwänze springen, wenn man es ihnen sagt. Tja, so ist das Leben in Wien 1150, in Rudolfsheim-Fünfhaus, das RAF Camora den Nicht-Ortskundigen als Ghetto, den Harten unter den Plastikpalmen als Paradies verkauft.
Zur Konzertmitte überlassen RAF Camora und Bonez MC die Bühne anderen Rappern – ihren Brudis von Lx & Maxwell (inklusive Gzuz) von der Hamburger 187 Straßenbande. Die Stars gönnen sich dazwischen eine Pause im Backstage-Bereich, um sich am Büffet zu stärken. Am Freitagabend gab es in München u. a. Marihuana und Kokain. Was in Wien serviert wurde, ist nicht bekannt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Nach dem zwar umjubelten, aber etwas zu klischeebeladenen Proll-Rap mit Klick-Klack-Kopfschuss-Texten kehrten RAF Camora und Bonez MC mit ihrem groovenden Dancehall-Sound auf die Bühne zurück. RAF Camora grüßt artig seine Eltern, die in der Ehrenlounge ihrem Sohn zujubeln. Der freut sich auf der Bühne und fordert das Publikum auf: "Alle Hände hoch für Kokain". Zu der Textzeile „Die Taschen voll mit Geld wegen Kokain / Das Taxi wird bestellt, sie haben Bock zu ziehen... “ werden im Hintergrund Mexico-Visuals eingeblendet. So viel Klischee darf sein.
Werbeeinschaltung
Danach übertreiben es RAF Camora und Bonez MC mit Werbeinschaltungen. Scooter werden grundlos auf die Bühne gestellt, beworben und beim Song „Gotham City“ („Fünfhaus ist Gotham City“) tauchen im Hintergrund Mercedes-Sterne auf.
Die Handys sind gezückt, immerhin geht es um Likes und die Instagram-Story des Jahres. Nur wer postet, war auch wirklich dabei. Aus der auf der Bühne stehenden Palme aus Plastik kommen dann noch Feuerfontänen. Eine Anspielung auf die globale Erwärmung? Nein, RAF Camora und Bonez MC sind nicht politisch. Keine Ökos, sondern Benzinbrüder, die am Meer aus Benzin Urlaub machen. Klar also, dass es am Ende mit „500 PS“ raus in die Stadt geht: „Heute druff, morgen sind wir Millionäre!“ Das Selbstvertrauen scheint zu stimmen.
RAF Camora und Bonez MC spielen heute, Sonntag, ein zweites Mal in der Wiener Stadthalle.
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