Wen die Musen wirklich küssten

British author J.K. Rowling signs autographs outside Odense Concert Hall in Odense October 19, 2010. Rowling is in Denmark to receive the Hans Christian Andersen Literature Award 2010. The Danish fairy story teller Hans Christian Andersen(1805-1875) was born in Odense. REUTERS/Jens Norgaard Larsen/SCANPIX (DENMARK - Tags: ENTERTAINMENT MEDIA) NO THIRD PARTY SALES. NOT FOR USE BY REUTERS THIRD PARTY DISTRIBUTORS. DENMARK OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN DENMARK
J.K. Rowling schrieb einen Roman unter anderem Namen. Eine schriftstellerische Tradition.

Sie haben’s getan: Knut Hamson. Voltaire. Stendhal. Novalis. Doderer. Françoise Sagan. Stephen King ...

Sie publizierten zumindest ein Mal in ihrer Schriftsteller-Karriere unter einem anderen Namen (bzw. sind oben angeführte Namen bereits Pseudonyme). Stephen King veröffentlichte 1972 als John Swithen und zwischen 1977 und 1985 als Richard Bachman Romane, um den Markt nicht mit King-Büchern zu überschwemmen.

Nun also die britische Bestsellerautorin. „The Cuckoo's Calling“ heißt der Krimi, den J.K. Rowling unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlichte. Dass er aus der Feder Rowlings stammt, deckte die Sunday Times auf. „Ich hatte gehofft, ich könnte mein Geheimnis noch ein bisschen länger bewahren“, sagte Rowling. „Es war so eine befreiende Erfahrung.“ Seit April ist das Buch auf dem Markt, nur 1500 Stück wurden trotz guter Rezensionen bisher verkauft.

Das wird sich jetzt schnell ändern, denkt man an das Tamtam, unter dem das vorige Buch der Potter-Erfinderin im September 2012 veröffentlicht wurde. „Geheimhaltungsstufe zehn, würde ich sagen – wie die Atomsicherheitsbehörde“, hatte Schauspieler Christian Berkel, der die Hörfassung des Romans las, dazu gesagt.

Verständlich, dass das belastend sein kann für einen Autor. Die Sache mit dem Pseudonym könnte allerdings auch eine Inszenierung sein. Zumal sich Rowlings erstes Buch nach Harry Potter nicht gut verkaufte.

Inszenierung

Derartige PR-Coups hat es immer schon gegeben, sagt Germanist Günther Stocker. Im Humanismus und im Barock waren griechische bzw. lateinische Pseudonyme in. „Abraham a Santa Clara etwa hieß bürgerlich Ulrich Megerle und stammte aus Krähenheimstetten.“

Auch der Frühromantiker Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg wollte seinem literarischen Programm einen Namen geben: Er nannte sich Novalis – was so viel wie „Neuland“ bedeutet. Allerdings wusste jeder seiner Zeitgenossen, wer Novalis wirklich war.

Klassische Beispiele für Namen, die zum Programm werden, sind Groschenroman-Autoren: „Constanze von Knusperberg“ verkauft bestimmt mehr Bücher über Liebe und Leidenschaft als „Ute Pichler“. Und ob die „Wanderhure“ des Ehepaares Iny Klocke und Elmar Wohlrath auch ohne den Künstlernamen Iny Lorentz so erfolgreich geworden wäre, ist fraglich. Apropos Leidenschaft: Rosamunde Pilcher traut sich erst seit den 60ern, unter ihrem wahren Namen zu schreiben. Zuvor publizierte sie als Hausfrau namens Jane Fraser Liebesgeschichten in Magazinen.

Freigeistig

Nicht erkannt werden wollte auch die Französin George Sand: Als Frau (ihr Geburtsname war Amandine Aurore Lucile Dupin de Francueil) hätte sie im 19. Jahrhundert schwerlich freigeistige Gesellschaftskritik veröffentlichen können. Und George Eliot wäre unter ihrem Geburtsnamen Mary Anne Evans kaum eine der wichtigsten Publizistinnen des viktorianischen Zeitalters geworden.

Ein häufiger Grund für Namensänderung: Bewunderung. Der Romantiker Jean Paul hieß eigentlich Johann Paul Friedrich Richter und nannte sich um, weil er Jean-Jacques Rousseau bewunderte. Peter Altenberg wiederum hieß laut Geburtsurkunde Richard Engländer, er wählte sein Pseudonym nach seiner Jugendliebe Berta, die in Altenberg an der Donau lebte.

Politische Gründe hatte die Namenswahl des Lyrikers Anastasius Grün: Als Anton Alexander Graf von Auersperg hätte sich der Vormärzkämpfer mit der Publikation seiner liberalen politischen Poesie schwergetan.

Anders, doch auch politisch: Der Vater des Dichters Roda Roda änderte seinen jüdischen Familiennamen Rosenfeld; der Lyriker Paul Celan hieß ursprünglich Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand.

Jean Améry, als Hans Mayer in Wien von den Nazis verfolgt, tauschte 1955 die Buchstaben: Er wurde Jean Améry.

Zehn Jahre zuvor wollte ein gewisser Heimito von Doderer nicht erkannt werden: In den frühen 30ern illegales NSDAP-Mitglied, hatte Doderer ab 1945 Publikationsverbot. Er veröffentlichte nun unter dem Namen „René Stangeler“, einer Figur aus seiner „Strudlhofstiege.“ Ausgerechnet zum Thema „Unschuld des Schreibens“.

Umgekehrt gibt es seit der Antike die Fragen nach dem „Wer war eigentlich ... “: Um die größten Autoren ranken sich Mythen, ein anderer stecke hinter ihrem Werk. Letzter Stand der Shakespeare-Forschung: Shakespeare war wahrscheinlich Shakespeare. Und Homer? Könnte zwei oder auch mehrere gewesen sein. Ist aber egal, denn damals war man ohnehin der Meinung, dass Literatur von den Musen eingeflüstert wurde.

Harry Potters Welt lebt online weiter

Vorbei die Zeiten, als man geliebte Bücher schlicht und einfach ein zweites Mal las: Das bringt schließlich keine Zusatzeinnahmen. Harry-Potter-Fans mit Entzugserscheinungen hingegen können auf einem Webportal in die Welt des Zauberlehrlings eintauchen, und dort für J. K. Rowlings weiteres Einkommen sorgen.

„Pottermore“ heißt das vor etwas über einem Jahr gestartete Portal, das zum blendenden Geschäft wurde.

„Gratuliere, du bist magisch!“, liest der Fan gleich nach der Anmeldung. Benutzernamen werden automatisch vorgeschlagen, wer Pech hat, heißt „MistSand“.

Dann man kann sich durch wichtige Kapitel der (nach und nach zugänglichen) Bücher klicken, Zaubersprüche anlegen, neue Texte von Rowling lesen und natürlich auch Potter-Bücher kaufen. 45 Millionen Leser haben dieses Angebot laut den Angaben des Betreibers bisher genützt. Allein im ersten Monat wurden eBooks im Wert von 5 Millionen Dollar verkauft, und insgesamt 180 Millionen Zaubersprüche wurden gebraut.

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