Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Andreas Gabalier bekommt einen Orden, und die Wogen gehen hoch. Warum eigentlich?
Aufregung ist die Währung, mit der wir derzeit alle handeln. Nur: Warum eigentlich? Und wie kommen wir da wieder raus?

Ein Unterhaltungsmusiker bekommt einen Faschingsorden, und die Wogen gehen hoch.

Dass Andreas Gabalier in München den Karl-Valentin-Orden bekommt, war die Aufregung der letzten Tage. Und in ihr findet jeder sein Eckchen: Man kann sich mitaufregen, dass durch Gabalier das feine Erbe von Valentin in den Schmutz gezogen wird. Man kann sich darüber aufregen, dass die Bild-Zeitung aus dem Blödsinn eine Coverstory macht. Oder, dass der erfolgreichste österreichische Musiker ganz zu Unrecht kritisiert wird (das auf dem alten CD-Cover ist doch ganz wirklich kein Hakenkreuz!).

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Gabalier, dem mit unschöner Regelmäßigkeit Reaktionäres auskommt, kann sich über die Kritik aufregen. Man kann auch selbst die linken Kritiker hässlich und gemein finden.

Oder man kann sich darüber aufregen, dass der sonst Künstlern gegenüber wenig aufgeschlossene H. C. Strache ausgerechnet hier einen Künstler verteidigt.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Andreas Gabalier wurde 1984 in Kärnten geboren, aufgewachsen ist er jedoch in Graz, mit seinen drei Geschwistern. Sein Bruder ist der Turniertänzer Willi Gabalier.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Der französische Familienname stammt von einem Soldaten, der 1796 im Verlauf des Italienfeldzugs von Napoleon Bonaparte nach Österreich kam.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Bevor er sich der Volksmusik zuwandte, war er an der Handelsakademie und begann ein Studium der Rechtswissenschaften.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Seinen ersten Auftritt hatte er am 18. April 2009 im Musikantenstadl mit "So liab hobi di".

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Im selben Jahr nahm er am Vorentscheid für den Grand Prix der Volksmusik teil, musste allerdings hinter Sänger Franz Brei zurückstecken. Seinen Durchbruch feierte er 2009 trotzdem mit seinem ersten Album "Da komm' ich her", das für einen Amadeus als Album des Jahres nominiert wurde.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Alle darauffolgenden Alben waren auf Platz 1 der österreichischen Charts. 2011 gelang es Gabalier zudem, gleichzeitig drei Alben in den Top 10 zu positionieren.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Seit 2013 ist Gabalier mit der österreichischen Moderatorin Silvia Schneider liiert.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

2014 gab Gabalier bei den "Rosenheim-Cops" sein Schauspieldebüt.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Bereits im darauffolgenden Jahr sorgte mit der Aussage: "Es ist nicht leicht auf dieser Welt, wenn man als Manderl heute noch auf ein Weiberl steht" bei der Verleihung des Amadeus für Unmut...

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

... und Gabalier musste sich mit Kritik über sexistische Aussagen auseinandersetzen. 

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Bei Madame Tussaud's im Wiener Prater steht seit 2017 sogar eine Wachsfigur von Gabalier.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Nachdem seine Äußerungen über "Standort" und "Flater" (gemeint hatte er die Zeitungen "Der Standard" und "Falter") Ende letzten Jahres für Verwunderung gesorgt hatten, ist Gabalier mit der Verleihung des Karl-Valentin-Ordens wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Und das nicht nur auf der Kitzbühler Streif, bei der er auf dem Foto zu sehen ist.

Man kann sich auch darüber aufregen, dass sich alle aufregen – denn eigentlich, tief drin, ist es völlig egal, ob Gabalier einen Orden kriegt.

Stopp!

Man kann sich aber auch fragen, warum sich alle so gerne aufregen. Und das bei jeder Gelegenheit. Über ein Mädl mit Zöpfen, das für Umweltschutz ist. Über jeden Satz, den Herbert Kickl sagt. Über diese Heidi Klum und diese Meghan. Über Links oder Rechts. Über Oben und Unten. Über Feministinnen und Machos, über alte Männer und junge Frauen. Über Medienberichte, die nicht der eigenen Meinung entsprechen.

Mitten im Shitstorm

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Greta Thunberg

Greta Thunberg protestiert mit einem Schulstreik gegen den Klimawandel. Und bekommt ganz viel Online-Hass von Autofahrern und Ordnungsliebhabern.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Meghan, Duchess of Sussex

Eine Schauspielerin, die eine Royal wird? Auch viele, die soetwas Banales natürlich „überhaupt nicht interessiert“, regen sich über jedes Kleid, jeden Auftritt  auf.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Marie Kondo

Sie erklärt in Buch und TV-Serie, wie man Ordnung hält. Allein das finden viele empörend: Viele Medien bieten schon eigene  Anti-Kondo-Artikel.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Herbert Kickl

Der Innenminister bedient die Aufregungslogik perfekt: Er teilt die Bevölkerung in jene, die ihn super finden, und jene, die ihn völlig ablehnen.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Nick Sandmann

Der Trump-Kappen-tragende US-Schulbub geriet nach einer problematischen Begegnung mit einem Native American ins Zentrum eines Shitstorms.

Zu all dem gibt es im Internet lautstarke Meinungsvertreter, die mit augenscheinlicher Freude wie ein Ballon explodieren, wenn irgendwo ein Nadelstich spürbar ist. Und dann mit der Wucht der Inquisition die Andersdenkenden attackieren. Aufregung gibt es aber selbst dann, wenn man gar nicht weiß, worüber man sich aufregt. Denn Aufregung ist auch ein Ausdruck von Unfähigkeit, Komplexität zu erkennen.

Das zeigte zuletzt Nick Sandmann. Sandmann ist ein US-Schulbub, der eine rote „Make America Great Again“-Kappe aufhatte an dem Tag, an dem er zum Online-Aufreger wurde. Man sieht Sandmann in einem Video grinsen, wie pubertäre Buben das so tun: obergescheit, als wären alle anderen nur Witzfiguren. Ihm unangenehm nahe: Ein Native American (wer Indianer sagt, löst Aufregung aus), der trommelt.

Der erste Blick ist klar: Da wird ein amerikanischer Ureinwohner von einem arroganten Trump-Fan verarscht. Es folgte: Empörung.

Dann wurde mehr von dem Video bekannt. Und es wurde plötzlich viel komplizierter. Zusammengefasst: Keiner der Beteiligten – dazu gehörte noch eine Gruppe religiöser Extremisten – hat besonders sympathisch gehandelt. Was folgt darauf? Mehr Aufregung. Einige, die Sandmann kritisiert hatten, entschuldigten sich – was wieder eine Gegenwelle der Empörung auslöst.

Und so weiter.

In der Falle

Der perfekte Shitstorm ist das ideale Beispiel für die Falle, in die wir geraten sind: Es ist ein völliges Nicht-Ereignis. Ein paar Leute mögen einander nicht. Soll sein.

Die große, auch gesellschaftliche Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, wie man mit derartigen aufgeladenen Nichtgeschichten umzugehen lernt. Das ist leider schwierig. Denn die Aufregungslogik der öffentlichen Debatte setzte sich aus verschiedenen Puzzleteilen zusammen, die perfekt ineinander passen.

Da ist einerseits die Belohnungsmaschinerie für Aufregung im Internet. Wer sich auf den sozialen Medien durchsetzen will, muss zuspitzen. Seine Meinung, seinen Humor, seine Art, Wäsche zu falten (ja, das ist seit TV-Chefaufräumerin Marie Kondo ein Ding). Das führt zu einer Verschärfungsspirale: Wer für den scharfen Tweet mit vielen Likes belohnt wird, wird den nächsten vielleicht noch pfeffriger formulieren. Was dazu führt, dass das Gegenüber mit etwas noch Härterem zurückschlägt. Wie das endet, sieht man tagtäglich auf Twitter.

Das weiß auch Gabalier: Seine wohlgesetzten Äußerungen bedienen diesen Empörungswillen. Und auch die Politik funktioniert großflächig nur so: Wer die Empörung auf seiner Seite hat, hat gewonnen, auch wenn es völlig unwichtig ist.

Aufregung klickt gut

Der andere Faktor in der Aufregungslogik ist, dass viele Medien durch sinkende Reichweiten geschwächt sind. Und im Internet plötzlich mit Nutzerdaten konfrontiert sind, die sie nicht interpretieren können.

Denn was lässt sich für den unter Druck geratenen Medienmacher daraus lernen, dass Storys über Flüchtlinge, die FPÖ, Frauenmorde und peinliche Stars besonders gut klicken? Dafür vielleicht Opernkritiken, Klimaschutz-Analysen und China-Reportagen nicht? Für viele Medien ergibt das: Wir machen mehr vom Ersten und weniger vom Zweiten. Auch hier beginnt eine Spirale: Dass Aufregung funktioniert, führt zu mehr Aufregung.

Und auch der Konsument ist derzeit orientierungslos: Wer etwa den leisen Verdacht hat, dass Flüchtlinge den ganzen Tag vergewaltigen und rauben, kann selbst den ganzen Tag nach derartigen Geschichten im Internet suchen. Und so seine Aufgeregtheit hochschaukeln – wie der Pornokonsument, der nach dem immer härteren Kick sucht.

Und jetzt?

Das alles zusammen führt zu etwas Fatalem: Zum Verlust der Mittenwahrnehmung. Es gibt sie natürlich noch, die gemäßigte, vielleicht sogar unaufgeregte Mitte, deren Blick auf das alles vernunftgeprägt oder zumindest distanziert ist. Nur kommt die nicht vor: Sowohl die sozialen Medien als auch die professionellen können die Mitte nicht abbilden, weil diese keinen aufregt. Die Mitte wird hier niedergeschrien von jenen, die das Mikrofon in der Hand halten und in dieses hineinbrüllen, dass sie ihre Meinung gar nicht mehr äußern dürfen.

Was also tun? Das Wichtigste liegt wohl, auch wenn das fad ist, bei jedem Einzelnen. Sich die Frage zu stellen, ob man in diesem Empörungsspiel mitmachen will. Ob man den Aufreger mit allen Freunden teilen muss. Ob man den nächsten Klick vielleicht einem Artikel widmet, der einen bereichert, und nicht empört. Ob man aus den sozialen Medien aussteigen sollte. Ob man irgendeinen Orden an irgendeinen Unterhaltungsmusiker nicht einfach durchwinken kann.

„Empört Euch!“, schrieb Stéphane Hessel in seinem berühmten Essay 2010. Mit 2020 in Sichtweite muss man sagen: Genug jetzt.

Orden für Gabalier: Der Boom der Super-Empörer

Karl Valentin, eine Grimasse ziehend.

Wer war Karl Valentin?

Der Münchner Humorist Karl Valentin (1882-1948) ist ein Gigant des Humors, vor allem jener Spielart, die vom Umgang mit Sprache lebt – und die mit jeder Pointe auch dunkle Töne mitschwingen lässt. Er beeinflusste Generationen an Komikern.

Der Orden

Die Münchner Faschingsgesellschaft Narrhalla verleiht die Auszeichnung seit 1972. Träger sind unter anderen der emeritierte Papst Benedikt XVI. und Heino.

Kommentare