Töchter? Wurst!

Andreas Gabalier sparte bei der Bundeshymne die Töchter aus.
Gabalier singt den alten Hymnentext. Der folgende Streit führte bis in seine Schul- und Windeljahre.

Das ging aber schnell.

Gerade waren wir noch europäische Vorzeigebastion punkto Toleranz, Offenheit und Conchita Wurst. Jetzt diskutiert das Land, ob die Töchter wieder aus der Hymne geworfen werden sollen.

Schluss also mit dem zunehmend verkniffenen Wacheln mit der Regenbogen-Fahne: Knapp vor dem offiziellen Beginn des Sommerloches ging im Song-Contest-Siegerland eine ganz andere Diskussion hoch als jene um des Phönix’ Bart.

Der Anlass: Der "Volks-Rock’n’Roller" Andreas Gabalier, zuletzt immerhin Österreichs erfolgreichster Unterhaltungsmusiker, hat beim Absingen der Hymne in Spielberg die 2012 per Gesetz verankerten großen Töchter ausgelassen. Das war kein Lapsus, sondern offenbar ein Bekenntnis: Er habe sich über die Rechtslage erkundigt, sagte Gabalier bei Ö3.

Die Auslassung empörte unter anderem die Grünen Frauen: Sie beschwerten sich in einem offenen Brief über das "unmögliche Vorgehen" Gabaliers und verlangten Aufklärung. Damit könnte eine derartige Diskussion auch schon wieder beendet sein; sie ging aber weiter.

Mehr als 90 Prozent, so konnte Gabalier nach anschwellender Aufregung in einer TV-Diskussion verkünden, seien in einer Ö3-Onlineabstimmung für die alte Hymnenversion gewesen.

ÖVP-Politikerin Maria Rauch-Kallat hielt dagegen, unter anderem mit einem Verweis auf Gabaliers Stubenreinheit (siehe unten).

Der Sänger wiederum legte auf Ö3 nach: Er regte eine Volksabstimmung darüber an, ob zum töchterfreien Text zurückgekehrt werden soll. Denn die "breite Masse" sei nicht zur Aufnahme der Töchter befragt worden, sagte Gabalier.

Dass die Änderung mit breiter Mehrheit im Parlament beschlossen wurde, ficht ihn offenbar nicht an.

Zuckerpuppe

Dass Gabalier kein Vorkämpfer des Feminismus ist, sollte nicht überraschen: Der Sänger pflegt in seinen Liedtexten jene Spielart des Schätzens der "Damenwelt", die diese auf "Zuckerpuppen", "Engerln" und die "knackigen Wadln" zurechtstutzt.

Das erreicht zwar jetzt nicht die letzten Finessen dessen, was sich in den vergangenen 67 Jahren (seit dem Festschreiben der Bundeshymne also) in Fragen der Emanzipation getan hat. Es ist aber auch nichts, das den Rahmen unpolitischer Unterhaltung im gesellschaftlichen Zentrum verlässt.

Das muss nicht, aber das kann offenbar gefallen.

Dass aus derart flachem Boden aber nun eine hochpolitische Diskussion erwächst, verdanken wir nicht zuletzt einer wachsenden Bereitschaft zum Aufgeregtsein. Es regieren die Schlagworte: Manche fühlen sich von "Genderwahn" und "GrünInnen" verfolgt, manch andere von Lederhosen und Stammtisch-freundlichen Gabalier-Texten wie "Des is dahoam, des is dahoam". Der journalistische Vorsatz, die Sozialmedien nicht mit der öffentlichen Meinung zu verwechseln, geriet im Laufe der Gabalier-Diskussion bei vielen ins Wanken. Aus den Online-Foren also wüten einem zornige alte Männer und zornige junge Frauen entgegen. Und das ist nur eine der vielen Online-Bruchlinien.

Dauerfeuer

Die Diskussion um die Hymne ist in diesem argumentativen Dauerfeuer aber eine Besondere. Hier geht es um gewichtigere Dinge als sonst. Etwa um die Frage, warum darüber gestritten wird, ob mehr als die Hälfte der Österreicher in der Hymne genannt werden soll. Und um eine Frage, die entscheidend ist für das Österreichische: In welchem Ausmaß darf die Geschichte über die Gegenwart herrschen? Gabalier argumentierte, die Hymne so in der Schule gelernt zu haben, und dass dies ein historischer Text sei, in den man nicht eingreifen soll.

Daran ist spannend, dass der Text zur Hymne (1947) jünger ist als viele Österreicher (die sich wohl ungern deshalb als "historisch" bezeichnen lassen würden). Und der Text wurde schon abgeändert, bevor er überhaupt als Hymne festgeschrieben wurde.

"Dieses blutige Pathos, das ist doch furchtbar! Unerträglich!", sagte übrigens Chansonsänger Charles Aznavour über die französische Marseillaise. Er würde sie "menschenfreundlicher" gestalten. Ein Ansatz, der auch die österreichische Diskussion bereichern würde.

In den Gaststuben ist die Diskussion um politische Korrektheit in der Sprache nicht ganz angekommen. Den "Mohr im Hemd" gibt noch auf vielen Speisekarten. Die Kinderzimmer hingegen hat Frage, was man sagen darf, längst erreicht.

Pippi Langstrumpf hatte 64 Jahre einen "Negerkönig" als Papa. Der Oetinger-Verlag ersetzte ihn 2009 durch einen "Südseekönig". Gut 100 Jahre nach dem Tod Mark Twains wurden die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn vom Wort "Nigger" befreit. Statt 219 N-Wörtern wird nun "Sklave" verwendet. Und das Wort "Negerlein" stand mehr als 50 Jahre in Otfried Preußlers Klassiker "Die kleine Hexe". Der Thienemann-Verlag hat das vergangenes Jahr geändert. Statt "Negerlein" oder "Türken" kommen in der im Sommer 2013 erschienenen Neuauflage "Messerwerfer" und "Cowboys" zum Kinderfasching.

Das Umschreiben von Kinderliteratur findet nicht nur Anklang: Sind die einen der Meinung, heutzutage hätten diskriminierende Begriffe nichts in Kinderbüchern verloren, weil Kinder nicht differenzieren und derartige Begriffe ungefiltert in ihren Sprachgebrauch einfließen können, finden andere das Entfernen unpassender Begriffe fragwürdig. Schließlich würde keiner daran denken, in Texten aus der allgemeinen Literatur Änderungen vorzunehmen.

Allerdings vergisst diese Argumentation, dass Neuübersetzungen von Klassikern ein verlegerisches Hauptgeschäft sind und dass auch Dostojewski sich gefallen lassen muss, dass "Schuld und Sühne" nun "Verbrechen und Strafe" heißt.

Eine Debatte an sich ist nie falsch, auch nicht eine heftig geführte Kontroverse. Wenn dahinter das hegelianische Prinzip der Dialektik steht, dass man sich mithilfe von These und Antithese zur gemeinsamen Synthese weiterentwickelt. Schlimm ist nur, wenn Debatten dazu da sind, Klischees zu bedienen, Gemeinplätze festzuschreiben und Fortschritt zu verhindern.

Andreas Gabalier hat beim Absingen der Bundeshymne nur die Söhne gewürdigt, die (mittlerweile gesetzlich festgeschriebenen) Töchter aber gezielt ausgelassen. Nun könnte man darüber debattieren, ob man Hymnen wirklich gendergerecht umschreiben muss. Der Autor dieser Zeilen etwa ist der Ansicht, dass es schön wäre, wenn man es nicht müsste, dass solche Signale jedoch wichtig sind, solange es Diskriminierung in vielen Bereichen gibt (sich zu einem Plädoyer fürs Binnen-I hinreißen zu lassen, fällt wesentlich schwerer).

Abgesehen von persönlichen Haltungen: Problematisch wird es dann, wenn sich jemand wie Gabalier bei repräsentativen Anlässen über Gesetzesbeschlüsse hinwegsetzt und diese auch noch in Frage stellt. Dass viele Österreicherinnen und Österreicher seine Ansicht teilen, legitimiert die antiparlamentarische Einstellung nicht.

Nur so nebenbei: Könnte man vielleicht wieder einmal ideologiefrei über die musikalische Qualität der Hymne diskutieren? Sie klingt fast immer, als würde sie auf einem alten Plattenspieler abgespielt werden, der Antriebsprobleme hat.

Seit 1947 ist „Land der Berge, Land am Strome“ die Bundeshymne Österreichs. Geschrieben hat den Text Paula von Preradovic zur Melodie der Freimaurerkantate (1791), die lange Zeit Wolfgang Amadeus Mozart zugeschrieben wurde. Seit 1. Jänner 2012 gelten Änderungen: die „großen Töchter“ und „Jubel-“ statt „Brüderchören“.

Die Änderung ist bis heute umstritten. Zur Zeit der Habsburgermonarchie führte Österreich die „Haydn-Hymne“, die nun Deutschland verwendet.

Ein beliebtes Totschlagargument gegen Frauenpolitikerinnen lautet: Schrill, hysterisch, Tunnelblick. Entsprechend wichtig war der Auftritt von Maria Rauch-Kallat in der "ZiB24" von Mittwochnacht. Sie hatte nämlich die unerquickliche Aufgabe, dem Hymnen-Falschsinger Andreas Gabalier gegenüberzutreten, ohne oben genannte Klischees zu bedienen.

Die widersprüchliche Doyenne der konservativen Frauenpolitik hat dabei erfreulich Punkte gesammelt: Einerseits lieferte sie einen Sager, der in der Früh die Facebookseiten des Landes eroberte (es ging um des Sängers Schließmuskel), andererseits brachte Rauch-Kallat Argumente, die einleuchteten.

Der Steirer wiederum wippte im Studio seine Kammfrisur und unterlegte seine Argumente mit Marktforschung aus dem Fußballstadion – für ihn offenbar der passende Ort, sich frauenpolitische Inspiration zu holen.

Die Wissenschaft muss aufholen: Die Neandertaler sind offenbar noch unter uns. Und sie können singen.

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