„Die Revolution fand nicht statt“

Die wilde Zeit/Assayas
Regisseur Olivier Assayas im Interview über sein Generationsporträt „Die wilde Zeit“.

1971. Tagsüber Schule, nachts Revolution. Flugblätter drucken, Molotowcocktails werfen und psychodelische Musik hören: Gilles, ein Schüler in der französischen Provinz, steht im Zentrum von Olivier Assayas’ neuem, fiebrigen Generationsporträt „Die wilde Zeit“ (im Kino).

„Die Revolution fand nicht statt“
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Nicht umsonst sieht der braunäugige Knabe ein bisschen aus wie Assayas vor vierzig Jahren. „Après Mai“, so derfranzösische Titel, erzählt von der Zeit unmittelbar nach der Studentenrevolte 1968 und lässt dezidiert autobiografische Elemente aus dem Leben des Regisseurs einfließen: „Die 70er-Jahre mit ihren politischen und mystischen Exzessen haben einen schlechten Ruf“, erzählt der Regisseur im KURIER-Interview: „Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen. Aber ich habe mich bemüht, sie so darzustellen, wie ich sie erlebt habe.“

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„Die Revolution fand nicht statt“
Tatsächlich kehrt Assayas immer wieder in diese Zeitzone zurück: Mit seinem famosen Terroristen-Porträt „Carlos – Der Schakal“ traf er ins Herz der Politik mit all ihren Extremen; mit dem frühen Film „L’eau froide“ tastete er sich in einer zarten Liebesgeschichte in die 70er-Jahre hinein: „Ich hatte das Gefühl, noch etwas über diese Jahre hinzu fügen zu müssen“, grübelt der Franzose: „Als ich ein Teenager war, spürten wir, dass die alte Welt zu Ende war und man Teil einer neuen sein wollte. Alles veränderte sich: die Gesellschaft, die Verhältnisse der Geschlechter. Es war ein freier, aber auch sehr Furcht einflößender Moment.“
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Gilles und seine Freunde engagieren sich für die Linke, verkehren im agitatorisch-revolutionärem Milieu und feiern ekstatische Partys. Doch zunehmend gleitet die Euphorie in Ernüchterung ab: „Ab 1974 wurde die Enttäuschung immer größer und 1976 war alles vorbei“, sagt Assayas: „Die Revolution fand nicht statt. Es ging in den bewaffneten Kampf über und endete in der Katastrophe.“ Doch Gilles, ein begabter Maler, findet seine eigene, künstlerische Berufung – und endet als Assistent in einer Filmproduktion. Auch hier gibt es wieder offensichtliche Parallelen zu Assayas’ eigenem Werdegang als Filmemacher, der im Schneideraum zu Richard Donners „Superman“ begann.

Der Moment, über die Kunst zu sich selbst zu finden, ist in „Die wilde Zeit“ zentral: „Ich habe mich immer als widerspenstiges Kind und nie als reifer Erwachsener wahrgenommen“, bekennt der 58-jährige Regisseur: „Ich glaube, dass jede Form der Kunst ein Prozess der Selbsterkenntnis ist – und das wollte ich erzählen. Ich bin niemals an dem Punkt angelangt, wo ich hätte sagen können: Okay, das ist es. Es gibt noch so viel zu erreichen: Man kann immer ein besserer Mensch werden und noch bessere Filme machen.“

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