Musikverein: Das sind die Herausforderungen für den neuen Chef
Der Goldene Musikvereinssaal ist für Millionen Menschen der einzige Konzertraum, den sie je von innen gesehen haben. Und das vielleicht verkatert, am 1. Jänner, wenn das Neujahrskonzert der Philharmoniker freundlich-beschwingt mit schwelgerischen Saalansichten das imperial-großbürgerliche Erbe Wiens in alle Welt hinaus verkauft. Das passt, denn auch der Musikverein agiert in einer anderen Zeit: In jener, als die Menschen noch von selbst zur Kultur kamen und diese nicht mit Marktschreierei und Starglanz um Publikum buhlen musste.
Das merkte man wieder daran, wie derzeit nach drei Jahrzehnten ein personeller Umbruch vollzogen wird: Während jedes bessere Stadtmuseum, jedes mittelwichtige Theater einen Chefwechsel zuerst als Staatsgeheimnis und dann als Staatsakt zelebriert, funktioniert das in der ehrwürdigsten und renommiertesten Klassikinstitution der Welt per dürrer Aussendung. Man führe Verhandlungen mit Stephan Pauly, hieß es eines Wochentag-Abends, denn es gehöre „zu den Aufgaben des Direktoriums der Gesellschaft der Musikfreunde, einen neuen Intendanten zu bestellen“.
Der neue Chef
Der neue Chef im Musikverein
Stephan Pauly, ehemals Leiter der internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg und seit 2012 Intendant der Alten Oper Frankfurt, folgt also auf Thomas Angyan.
Es ist, man verzeihe das überkommene, aber hier endlich einmal passende Sprachbild, ein Paukenschlag in der Musikszene. Denn Angyan beendet seinen Vertrag nach in der Kulturbranche sensationellen 32 Jahren, und er übergibt das Haus in einer rund um den Musikverein radikal gewandelten Musikwelt.
Schwierig und leicht
Der Musikvereinschef hat zugleich den schwierigsten und den leichtesten Job der Szene. Den leichtesten, weil jeder Solist, jedes Orchester um einen Termin im Musikverein buhlt. (Der Musikverein sei der teuerste Verschiebebahnhof der Welt, spötteln manche.) Weil man allerlei Verschränkungen mit den Wiener Philharmonikern sowie den anderen herausragenden Klangkörpern hat; weil der Ruf des Musikvereins in alle Reisebüros ausstrahlt. Viele mieten den Musikverein sogar, damit sie ihn auf ihrer Visitkarte haben.
Und der Musikvereinschef hat den schwierigsten Job aus ziemlich denselben Gründen: Man sitzt in der Musikstadt Wien, wo jeden Abend tausende Sitzplätze im spitzen Klassiksegment zu füllen sind. Aus Asien und den Golfstaaten erwächst Konkurrenz um die wichtigsten Stars und Orchester, die dort auf einem Niveau bezahlt werden, mit dem Wien nicht mithalten kann.
Die fetten Jahre der Branche sind vorbei; selbst in Wien, bis vor kurzem sogar noch Insel der seligen Kammermusik, ist diese Konzertform heutzutage schwer zu verkaufen. US-Orchester stehen so nah an der finanziellen Klippe, dass die Tourneepläne immer unsicherer werden. Auch die Geldspritze durch die Festwochen über das Musikfest wurde abgeschafft.
Als Angyan antrat, war die CD gerade fünf Jahre alt; dem Musikmarkt standen explosionsartig lukrative Jahre bevor. Diese fütterten auch den Klassikmarkt mit einem fetten Geldpolster – und der Konzertbetrieb hatte dadurch weit größere finanzielle Spannen als heute. Wenn sich heute riesige Orchesterapparate durch Europa und Asien bewegen, dann um Geld zu machen. Eine Herausforderung für Veranstalter wie die Gesellschaft der Musikfreunde: Die Margen sind hauchdünn, man muss mit harter Hand kalkulieren.
Großes Erbe
Thomas Angyan übergibt ein Haus, das angesichts dieses Umbruchs fast überraschend gut funktioniert und dank großer Erbschaften ökonomisch besonders stabil ist. Er hat vier neue Säle gebaut, in denen Ausflüge ins programmatisch Wagemutigere unternommen (bzw. wohin diese verlegt) werden können. Er hat das Stammpublikum programmatisch eng an das Haus gebunden und das Profil angesichts unterschiedlichster Konkurrenz- und Kooperationsbestrebungen aus dem Konzerthaus scharf konturiert.
Dennoch wurde bei der Nachfolgefindung kaum über Konzepte für die Musikvereinszukunft, sondern nur über Namen diskutiert. Dominique Meyer, Christoph Lieben-Seutter, Nikolaus Pont, Florian Wiegand u.a. geisterten durch die Branche, sogar Franz Welser-Möst, als würde dieser lieber am Schreibtisch als am Pult arbeiten.
Aber keine Debatte über Visionen – als ob der Musikverein nur schlicht weitergeführt werden müsste. Dabei braucht es Konzepte für eine Neuerzählung des Mythos Musikvereins, neue Formate. Bis auf ein verwunderliches Konzert des Schlagerstars Andreas Gabalier (eine von hunderten Fremdveranstaltungen) griff man Derartiges ober der Erde stets mit spitzen Fingern an.
Pauly, geboren in Köln und anfangs Assistent des legendären August Everding, hat in Frankfurt vieles probiert, die Alte Oper ist jedoch mit dem Musikverein in keiner Weise vergleichbar. In Wien nun hat er einen Vor- und Nachteil: Er ist in der auf Netzwerke und Empfindlichkeiten gebauten lokalen Klassikszene nicht verhabert. Von dieser Position aus wird er sich in ein Aufholrennen begeben müssen. Es gibt ungehobene Riesenschätze – das Archiv birgt vielerlei Herausragendes – sowie Herausforderungen beim Publikum und beim Image.
Pauly wird das Haus und das Publikum entwöhnen müssen vom nur in der Klassikbranche in dieser Form zu findenden Fetisch der programmatischen Wiederholung. Man geht in den Musikverein nicht für das Abenteuer, sondern für den immer wieder herausragenden Feinschmecker-Bissen, den man sich etwa durchs jahrelange Harren auf ein Philharmoniker-Abo erarbeitet hat. Die Herausforderung, das Publikum nicht durch demografische Umstände zu verlieren, ist eine große. Dieser Kampf läuft schon lange – und weiter hügelaufwärts.
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