Ioan Holender: „Dubai ist die Mailänder Scala“

Holender auf „kultTour“ auf der Krim: Ein Zitat sorgte schon im Vorfeld für Aufregung.
IDer ehemalige Staatsopern-Direktor über die Krim, die Zukunft der Oper und die Kulturpolitik

KURIER: Heute zeigt ServusTV um 23.25 Uhr Ihre Sendung über die Krim. Da hatte es im Vorfeld Aufregung gegeben, weil Sie in einem Interview die Krim-Stadt Sewastopol als „russischer als russisch“ bezeichnet haben. Was suchen Sie wirklich auf der Krim?

Ioan Holender: Ich wollte die in den zwei Krimkriegen schwer bekämpfte Stadt Sewastopol sehen, neben Jalta, wo die Aufteilung Europas nach dem Krieg geschah – das hat ja mein Leben geprägt. Außerdem die herrlichen Loire-artigen Schlösser und die Tatarenstadt Bakhchisaray. Und ich wollte über das musikalische Geschehen auf der Krim berichten. Die in russischer Sprache dargebotene „Csardasfürstin“ von Kálmán, die dort „Silva“ heißt, sinfonische Konzerte unter Justus Frantz und Tschechovs Haus sind allein eine Reise wert. Und durch Kultur und Musik kommen einander die Menschen näher.

Sie waren der längstdienende Direktor der Staatsoper. In diesem Jahr feiert das Haus am Ring 150. Geburtstag. In welcher Form sind Sie eingebunden?

Die Feierlichkeiten haben eine andere Dramaturgie. Es ehrt und freut mich aber sehr, dass ich einen Tag vor der Eröffnung der Bayreuther Festspiele die Festrede halten darf zum 100. Geburtstag von Wolfgang Wagner. Katharina Wagner hat mich dafür eingeladen. Thielemann wird das Festspielorchester unter Mitwirkung von drei prominenten Solisten dirigieren. Das betrachte ich als hohe Auszeichnung.

Sie verfolgen das Operngeschehen intensiv und sind international als Berater engagiert. Wie sehen Sie die Zukunft der Oper?

Nicht optimistisch, aus vielen Gründen. Die aus wirtschaftlichen Überlegungen überhandgenommenen Koproduktionen verhindern die künstlerisch kreative Arbeit der szenischen Gestaltung und sind oft nicht mehr als ein reisendes Bühnenbild. Meistens ist der Regisseur bei der Wiederaufnahme gar nicht mehr anwesend. Ich halte Regie immer noch für einen kreativen Prozess.

Und die Sänger?

Es gibt kaum noch Gesangssolisten, die man weltweit kennt, weil keiner mehr während eines längeren Zeitraums hochklassige Qualität leistet. Anna Netrebko ist eine rühmliche Ausnahme, alle anderen verwelken, bevor sie blühen. Entfernungen spielen keine Rolle mehr, alles geht rasend schnell, und jeder will möglichst rasch alles singen und viel Geld verdienen. Doch der menschliche Körper ist gleich geblieben, wie er immer war.

Was ist dann mit Jonas Kaufmann oder mit Cecilia Bartoli?

Niemand konnte und kann Schubert, Operette, Verdi, Massenet, Richard Strauss und Wagner gleichzeitig entsprechend singen, so wie niemand gleichzeitig Flieger, Rennfahrer und Bergsteiger sein kann. Bartoli funktioniert ausgezeichnet als mediales Produkt und ist klug genug, das zu machen, was sie wirklich kann, wenn sie nicht auch Musical singt. In als Gala-Darbietung apostrophierten Auftritten auf Waldbühnen, Kirchenplätzen, Berggipfeln, in schnell reich gewordenen arabischen Ländern und in der neuen Weltmacht China verdienen manche heute schnell und mühelos Summen, die aus Steuergeld erhaltene Opernbühnen nicht entferntest zahlen können. Die Tendenz ist ähnlich und genauso destruktiv wie diejenige einzelner Fußballspieler. Dubai ist die Mailänder Scala geworden und Katar das Wembley Stadion.

Gehört in diese Kategorie auch der Opernball, wo Netrebko heuer zum dritten Mal auftritt?

Bei mir wurden solche Auftritte nicht bezahlt, und ich glaube auch nicht, dass sich das geändert hat. Was sonst den Opernball betrifft: Dass ein roter Kulturminister einen Ball, bei dem die Kosten einer Loge dem Jahresgehalt mancher Bürger entspricht, als zentrales kulturpolitisches Vorhaben verankert hat, gehört zu dem vielen Unerklärbaren unseres Landes.

Wie sehen Sie grundsätzlich die aktuelle Kulturpolitik?

Weltweit interessiert sich die populistische Politik, egal ob Rechts oder Links, marginal für Kultur. Geld bestimmt alles. Und Musiktheater kostet immer und überall mehr, als es bringt. Dabei ist Kultur als geistige Nahrung genauso wichtig wie Spitäler oder Schulen.

Was müsste sich im Opernbereich künstlerisch ändern?

Ich bin immer noch der Meinung, dass der ausschlaggebende Qualitäts-Faktor das Ensemble ist. Dabei ist Wien immer noch eine positive rühmliche Ausnahme. Dirigent, Sänger und Regisseur sollen eine gleichberechtigte Trinität bilden. Weder die Anzahl der Werke, die in einer Saison gespielt werden noch der Prozentsatz der besetzten Stühle sind ein Qualitätsbarometer. Es geht nur um die Qualität dessen, was man hört und sieht. Und wenn Sie erlauben: Der kritischen Berichterstattung nach einer Vorstellung sollte medial mehr Platz eingeräumt werden als jener im Vorfeld, in welcher man noch nicht Stattgefundenes zu Weltereignissen hochstilisiert. Mundpropaganda ist immer noch die effektivste Werbung.

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