Warum das Aus für Gratis-Streaming für den ORF teuer werden könnte
Es gibt natürlich die allereinfachste Lösung für das, was der ORF mit gutem Gespür für Eigenwerbung die „Streaminglücke“ nannte: Wenn jene, die online gratis ORF-Programm streamen, das nicht mehr tun sollen, dann könnte man das Angebot auch ganz leicht mit einem kostenpflichtigen Passwortzugang versehen. Netflix und Co machen das, durchaus erfolgreich, vor.
Aber bekanntlich ist im Bermudadreieck zwischen ORF, Politik und dem restlichen Österreich nichts einfach. Und so hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass ein Teil des ORF-Gesetzes bis Ende 2023 neu geschrieben werden muss, damit nicht weiter gratis gestreamt wird. Der ORF jubiliert; und das hat alle Kennzeichen einer fatalen Fehleinschätzung.
Was der ORF leistet
Vieles spricht für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Derzeit noch mehr als seit vielen Jahrzehnten: In der Pandemie lehnten sich viele Österreicher stärker als sonst auf den ORF. Nichts ist in den gegenwärtigen und kommenden Krisen bitterer nötig als gemeinsame, geteilte Geschichten, in denen sich so etwas wie eine österreichische Gemeinschaft (wieder) formen kann. Das ist eine der Gründungsaufgaben des ORF. Es gibt daher rationale Gründe, ihn zu finanzieren.
Das Verhältnis der Österreicher zum ORF ist aber nicht rational, sondern weitestgehend irrational geprägt: Es ist Volkssport, sich allabendlich über gefühlte politische Schlagseiten aufzuregen. Und wenn es um die ORF-Gebühren geht, dann treten auch bei vielen braven Staatsbürgern die Adern am Hals hervor. Gebührendebatten sind vergiftet wie kaum etwas sonst in dem Land. Und zwar schon im Normalzustand.
Mitten in der Krise
Den aber gibt es derzeit nicht. Den Menschen rinnt das Geld zwischen den Fingern durch. Im Herbst werden die Gas-tastrophe und die Inflation voll zuschlagen, es drohen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Entwertung des Notgroschens. Wer glaubt, dass die bevorstehende anhaltende Diskussion um die ORF-Gebühren in dieser Weltlage ohne großen Schaden abzuwickeln ist, ist übermäßig optimistisch – oder unverantwortlich. Nicht wegen etwaiger Mehrkosten für den Einzelnen (die könnten sogar sinken) – sondern wegen des geschärften Bewusstseins dafür, dass allmonatlich Geld für den ORF abfließt, was sich auch nicht ändert, wenn es künftig „Haushaltsabgabe“ heißt oder über die Steuern bezahlt wird.
Und dabei geht es gar nicht nur um den ORF. Beispiele wie die Schweiz, Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben zuletzt gezeigt, wie rasch die Debatten um die Öffentlich-Rechtlichen in einen gesamtgesellschaftlichen Meinungskrieg entwischen. Das ist fatal: Niemand braucht mehr Entzweiung, als es ohnehin schon gibt. Und die BBC muss nun, um Gebühren zu sparen, radikale Einschnitte am weltweiten Journalismus-Aushängeschild, dem World Service, vornehmen. Auch so können Gebührendebatten ausgehen.
In den Händen der Innenpolitik
Im ORF verweist man auf die vom Verfassungsgerichtshof mitgemeinte Finanzierungspflicht für den Sender – und die Option, dass bei einer Haushaltsabgabe die Belastung für die einzelnen Zahler sinken könnte. Es kann aber auch hier ganz anders ausgehen. Man setzt hier, gegen die Augenscheinlichkeit, darauf, dass die derzeitige Regierung das ORF-Gesetz überarbeitet und beschließt. Die kann aber, dank kommender Krisen und Landtagswahlen (derzeit ist das fast das selbe), auch ganz rasch wegsein.
Und es sind in Österreich schon eigenartigere Dinge passiert als eine FPÖ-Regierungsbeteiligung nach etwaigen Neuwahlen. Die Freiheitlichen suchen verzweifelt neue Melodien, um die abgespielten Ausländer-Sounds und das Absingen der russischen Hymnen zu ergänzen. Eine ORF-Gebührendebatte, bei der die Blauen mitzureden hätten, käme da gerade recht, und die FPÖ will diese ja abschaffen.
Dann würde der ORF Steuergeld benötigen - und dadurch politisch noch mehr unter Druck sein. Eine Finanzierung des ORF aus dem Bundesbudget würde diesen näher an die Politik rücken, als diesem lieb sein kann.
Auch politische Besetzungen am Prüfstand
Aber auch die weniger radikalen Parteien werden sich in der Gebührendebatte populistischem Druck ausgesetzt sehen. Wie standhaft sie sich diesem gewöhnlich widersetzen – dafür gibt es genügend Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Noch dazu, weil auch das am höchstgerichtlichen Prüfstand steht, was die Parteien als ORF-Politik missverstehen – die politische Besetzung des Stiftungsrats, nämlich. Wenn diese auch gekippt wird, braucht es plötzlich ein gänzlich neues ORF-Gesetz.
Dies zu balancieren – mit den eigenen Interessen, und auch mit jenen der privaten Medien, die ob der Aussicht auf zusätzliche Streaming-Gelder für den ORF ohnehin schon rotieren - ist ein überaus heikles Unterfangen. Das würde man lieber nicht in den Händen angeschlagener Parteien in einer weltweiten Krise wissen. Auch hier werden Signale an die Bevölkerung, die nicht gerade im Interesse des ORF liegen, nicht ausbleiben. Mehr Gebühren könnten hier etwa, siehe BBC, mit einem scharfen Sparauftrag einhergehen.
Der ORF hat hier eine Büchse der Pandora aufgemacht, die nicht wieder zuzukriegen ist. Bei der „Streaminglücke“ geht es, dem Vernehmen nach, um einen Prozentbruchteil des ORF-Budgets. Diesen wird der ORF künftig wohl zusätzlich einstreifen können. Und er könnte dafür teuer bezahlen.
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