Haben die ORF-Gebühren ausgedient?
Es gibt wenige Themen, über die sich in der Medienpolitik trefflicher streiten lässt: Braucht es öffentlich-rechtliche Medien, die vom Bürger verpflichtend finanziert werden? Die Mutter aller dieser Instutionen ist die britische BBC, die 1922 gegründet wurde. Ihr werden die Gebühren mittelfristig gestrichen, hat der britische Premier Boris Johnson verkündet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Streichung der Abgabe sogar in sein Wahlkampfprogramm genommen. Österreich bleibt vorerst bei seinem Modell der GIS-Gebühr, auch wenn der Juniorpartner in der Koalition schon genaue Vorstellungen hat, wie man das reformieren sollte. Ein Überblick:
Großbritannien
Premierminister und Ex-Journalist Boris Johnson ist kein Freund des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, seit er von dort Gegenwind in Sachen Brexit erfuhr. Sein langjähriger, früherer Berater Dominic Cummings nannte die BBC schlicht „Todfeind“. Solche Angriffe seitens der Konservativen haben Tradition. Doch die Johnson-Regierung hat Anfang 2022 angekündigt, die Gebühren bis 2027 abzuschaffen und staatliche Subventionen einzufrieren. Dazu kommt für die BBC, wie bei allen Medienhäusern, der Druck durch die Digitalisierung sowie die Konkurrenz durch Streaming- und Social Media-Giganten aus den USA und China.
Die Folgen: Die BBC streicht in einem ersten Schritt tausend Stellen, einige traditionelle Sender werden abgeschafft, verkündete eben BBC-Chef Tim Davie. Dadurch will die Anstalt 500 Millionen Pfund (585 Millionen Euro) jährlich einsparen. Das soll helfen, der riesigen Finanzierungslücke von 285 Millionen Pfund zu schließen, die heuer allein das Einfrieren der Fernsehgebühr durch die britische Regierung aufgerissen hat. 300 Millionen Pfund sollen in eine Digitaloffensive investiert werden.
Frankreich
Präsident Emmanuel Macron will die Gebühren für den großen Öffentlich-Rechtlichen Sender-Komplex abschaffen. Die Maßnahme solle dazu beitragen, „die Kaufkraft der französischen Haushalte zu schützen“, heißt es im Ministerratsprotokoll von Mitte Mai. Es geht um 138 Euro pro Jahr. Dieser Betrag finanziert France Télévisions, Radio France, ARTE, France Médias Monde (RFI, France 24), INA und TV5 Monde.
Macron löst damit ein Versprechen aus dem Wahlkampf ein. Dabei geht er aber nicht so weit wie Mitbewerber um den Elysée Palast, allen voran Marine Le Pen, die eine „Privatisierung“ versprochen hatte. Schon zu Beginn der ersten Amtszeit hatte Macron die Öffentlich-Rechtlichen heftig kritisiert und als „Schande für die Republik“ bezeichnet – Intendanten von FranceTV waren wegen Günstlingswirtschaft zu Haftstrafen verurteilt worden.
Völlig offen ist, wie die Finanzierung künftig aussehen soll. Der Öffentlich-Rechtliche ist ein wichtiger Träger der französischen Kultur und Produzent von rund etwa 600 Filmen jährlich. Kommt das Geld künftig aus dem Bundesbudget – wie sich abzeichnet nicht auf mehrere Jahre im Voraus planbar –, führt das nicht nur in einem zentralistischen Staat in die Abhängigkeit der Regierenden. Davor warnen Intellektuelle, Künstler und Journalisten immer lauter.
Schweiz
In der Schweiz ist die Finanzierung des Rundfunks erneut Gegenstand einer Initiative, die Kreise um die SVP gestartet haben: „200 Franken sind genug“. Derzeit sind 335 Franken fällig; jährlich fließen der SRG so etwa 1,3 Mrd. Franken zu. Die Initiative sammelt seit einer Woche Unterschriften für eine Volksabstimmung – 100.000 sind dafür notwendig.
Erst im März 2018 ist eine Volksabstimmung zur kompletten Abschaffung der Gebühren („No-Billag“) krachend gescheitert. Allerdings: Musste zuvor nur zahlen, wer eine Empfangsgerät besaß, wurde neu eine Haushaltsgebühr eingeführt. Gleichzeitig wurde die Höhe abgesenkt.
"Deutlich günstiger als die GIS"
Eva Blimlinger ist die wichtigste Medienpolitkerin des kleinen Koalitionspartners. Die Grüne Mediensprecherin plädiert für ein neues Modell in Österreich: die Haushaltsabgabe. Das Hauptargument: Je mehr Menschen ORF-Inhalte über Streaming konsumieren, desto weniger Sinn machen Gebühren für Fernseh- und Radiogeräte.
KURIER: Ist das Modell der GIS-Abgabe für Fernseh- und Radioempfangsgeräte noch zeitgemäß?
Eva Blimlinger: Wir wollen eine Haushaltsabgabe in einer Mischung aus deutschem und Schweizer Vorbild. Damit würden sich die Gebührenlasten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf mehr Personen als bisher verteilen – damit wird es für die einzelnen Nutzer günstiger. Der Umstand, dass die Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Jahr 2022 mit der GIS-Gebühr an das Gerät gebunden ist, ist seltsam: „Die es am Laptop schauen, zahlen nichts. Die es am TV schauen, zahlen.“ Das ist eigentlich spooky.
In sieben von neun Bundesländern wird gemeinsam mit der GIS eine Bundesländerabgabe eingehoben, die unterschiedlich hoch ist und unterschiedlichen Zwecken zugute kommt. Soll sich das ändern?
Wir wissen, dass die eingehobene GIS nicht in der vollen Höhe dem ORF zugute kommt. Eine Haushaltsabgabe würde das besser verteilen. Wenn man sie einführt, müsste man die Bundesländerabgaben überdenken.
Wie viel würde die Haushaltsgebühr die Menschen kosten?
Der deutsche Betrag liegt bei 18,36 Euro pro Monat. Das ist deutlich günstiger als die GIS, die aktuell zwischen 22,45 Euro bis 28,65 Euro ausmacht.
Wer soll dieses Beitragsgeld dann bekommen? Nur der ORF? Das sollen dann auch andere audio-visuelle Mediendienste bekommen, wenn auch sie öffentlich-rechtlichen Inhalt senden, was ja jetzt auch schon durch die Förderung der RTR der Fall ist. Man kann sicherlich über ein System nachdenken, dass sie hier auch in die Finanzierung mit einbezogen sind.
Welche Grenzen ziehen Sie da? Der ORF kauft US-Serien für Gebührengeld ein. Warum kann das nicht auch zum Beispiel Puls4 tun?
Die Grenze ist dahingehend zu ziehen, dass der Öffentlich-rechtliche ganz andere Werbebeschränkungen hat.
Das sagen die anderen Parteien
Medienministerin Susanne Raab (ÖVP): „Wie im Regierungsprogramm festgehalten, bekennen wir uns zu einem unabhängig finanzierten, öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir arbeiten derzeit mit Hochdruck an einer Digitalnovelle für den ORF, um den Umstieg in das digitale Zeitalter voranzutreiben. Eine Reform der unabhängigen Finanzierung ist im Koalitionsabkommen nicht vorgesehen.“
SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried: „Die SPÖ ist grundsätzlich für eine Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Gebühren. Diese ermöglichen – im Gegensatz zu einer Finanzierung etwa aus dem Budget – auch die größtmögliche Unabhängigkeit. Gleichzeitig gilt es zu überlegen, wie man auf das geänderte Nutzerverhalten reagiert und wie die sogenannte Streaming-Lücke geschlossen werden kann, um die Einnahmensituation des ORF stabil zu halten. “
Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter: „Ich möchte eine Neugestaltung der ORF-Finanzierung mittels Haushaltsabgabe und damit das Ende der GIS-Gebühren. So wird die Streaminglücke geschlossen und zugleich sparen die Haushalte – also die Menschen – Geld, weil u. a. die teure GIS-Organisation wegfällt. Die Haushaltsabgabe ist von allen Haushalten und Unternehmen zu leisten und dabei sozial gestaffelt. Die Länderabgabe ist ersatzlos zu streichen.“
Die GIS-Gebühr
Die Österreicher zahlen einen Rundfunkbeitrag, der fällig wird, sobald man ein Rundfunkempfangsgerät zuhause hat – egal ob man ORF schaut oder nicht. Wer nur über die Datenleitung auf Computer, Tablet oder Handy streamt, muss keine Gebühr zahlen. Die Rundfunkgebühren betragen pro Monat EUR 22,45 (Vbg./OÖ) bis EUR 28,65 (Stmk.)
Die Haushaltsabgabe
Deutschland hebt pro Haushalt eine Gebühr von 18,36 Euro ein. Dies ist unabhängig davon, ob man ein Empfangsgerät zuhause hat. Der Vorteil: Die Gebühr verteilt sich auf mehr Haushalte und ist günstiger. Der Nachteil: (Fast) alle müssen zahlen
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