Terra Mater-CEO Köhler: "An der Wahrheit ist niemand interessiert"
Es ist einer der erfolgreichsten österreichischen Dokumentarfilm-Produktionen, mit einer Geschichte, die außergewöhnlicher nicht sein könnte: „Patrick und der Wal“ erzählt von der Begegnung des amerikanischen Unterwasserfotografen Patrick Dykstra und dem zehn Meter langen Pottwal-Weibchen Dolores. Im Laufe der Jahre hat Dykstra gelernt, wie Wale kommunizieren und sich verhalten. Nach und nach entsteht so eine besondere Freundschaft und Nähe, wie sie zuvor noch nie im Kino zu sehen war.
Die österreichische TV-Premiere (Mittwoch, 20.15, ServusTV) zaubert Walter Köhler, CEO und Gründer der Terra Mater Studios in Wien, ein Lächeln ins Gesicht. „Es ist unser mit Abstand am häufigsten prämierte Film. Wir haben damit bei über 50 Festivals gewonnen“, erzählt der 62-Jährige, der mit „The Ivory Game“ bereits auf der Oscar-Shortlist war und mit „Sea of Shadows“ beim Sundance Festival siegreich war.
Survive till 25
Doch das ist Vergangenheit.
„Seit der Corona-Zeit ist es schwierig geworden, lange Dokumentarfilme im Kino zu platzieren. An der Wahrheit ist zurzeit niemand so sehr interessiert“, erzählt der erfahrene Produzent. Der Markt sei weitgehend eingebrochen. „International geht der Spruch um: survive till 25.“
Zur Person
Walter Köhler, 1962 in Wien geboren, studierte Publizistik, Politik und Geschichte. Er startete seine Karriere beim ORF und machte „Universum“ als Marke international groß. Er ist Gründer und CEO der Terra Mater Studios
Zum Unternehmen
Das Wiener Produktionshaus wurde 2011 mit kräftiger Unterstützung von Red Bull gegründet. Es steht für vielfach ausgezeichnete Dokus aus den Bereichen Natur, Wissenschaft, Geschichte für Kino, TV, Streaming und Multimedia. Auch Fiction soll künftig eine Rolle spielen
Dazu kommen unerwartete Probleme durch die geopolitische Lage. Das zeigt sich exemplarisch an der Wildlife-Crime-Produktion „Orcas Black & White Gold“, die nach Festival-Starts in den USA zuletzt auch in Cannes eingeladen war. Darin geht es um den fragwürdigen russischen Handel mit Orcas für Chinas Aquarien. Die Proteste der lokalen Bevölkerung führten dazu, dass Präsident Vladimir Putin den Befehl gab: „Lasst die Tiere wieder frei.“ Die Terra Mater Studios waren die einzige Filmproduktionsfirma, die diese noch nie dagewesene Aktion dokumentieren konnten, in der fast 100 Tiere, Orcas und Belugas, am Ort ihres Fangs wieder freigesetzt wurden. „Es war eine Reise über tausende Kilometer auf LKWs und Frachtschiffen den Amur hinunter“, erinnert sich Köhler.
Folgen des Russland-Kriegs gegen die Ukraine
„Das zu zeigen, gilt heute aber als russlandfreundlich und wird – ich kann es ja verstehen – von ukrainischen Filmschaffenden bekämpft“, erzählt Köhler. „Erst langsam wird es möglich, die Doku und damit die eigentliche Botschaft dahinter doch noch zu platzieren.“ Die kommt in diesem Fall durch die hybride Vermarktung über etwa 400 NGOs, mit denen man zusammenarbeitet, bei interessierten Endverbrauchern an.
Die Terra Mater Studios, 2011 von Köhler mit kräftiger Unterstützung von Red Bull gegründet, zählen weltweit zu den Top-Produzenten im Naturfilm. Geht man nach der Stundenleistung ist man wohl Weltmarktführer in Sachen TV. „In diesem Bereich geht es uns sehr gut. Es scheint, als hätte Corona das Ende des linearen Fernsehens weiter verzögert“, meint Köhler.
Schwung bringt da auch Terra Mater Wild, ein sogenannter FAST-Channel, der – werbefinanziert und für den Zuseher gratis - auf vielen neueren mit dem Internet verbundenen TV-Geräten vorinstalliert ist. „Es ist erfreulich, dass Natur-Sender auf FAST-TV – noch vor Serien - am besten funktionieren.“
Während Terra Mater Studios kaum für große Streamer produzieren, hat man zwischenzeitlich begonnen, Langfilme an YouTube zu lizenzieren und auch über den eigenen Terra Mater Kanal mit fast 500.000 Abonnenten auszuspielen. Der Algorithmus dankt‘s und gibt dafür Werbeeinnahmen.
Internationale Erfolge
Der Erfolg der Inhalte im internationalen TV-Geschäft zeigt sich heuer wieder beim US-Fernsehpreis Emmy. Mit zwei von fünf Nominierungen ist man in der Königskategorie „Outstanding Nature Documentary“ vertreten. Ob es für „Soul of the Ocean“, einem Unterwasserfilm über die Koexistenz von Arten im Meer, oder „The Hummingbird Effect“ über Kolibris reicht, entscheidet sich Ende September in New York.
Am heimischen Fernsehmarkt wird der Fußabdruck der Terra Mater Studios nun auch größer: Mit 2. Oktober übernehmen sie die Produktion von „TM Wissen“ (vormals „P. M. Wissen“).
„Wo Terra Mater draufsteht, ist Terra Mater drin und damit Wissenschaft“, sagt Köhler über die Ausrichtung der Sendung. Und die große Wissenschaftsskepsis, die am Haussender so viel Platz hat? „Gibt es bei Terra Mater nicht“, stellt Köhler klar.
An der Moderation von „TM Wissen“ soll sich nichts ändern, auch das Studio wird gleichbleiben. Es gibt aber gestalterisch einige Ideen und thematisch solle „TM Wissen" eine breite Palette an interessanten Wissens- und Wissenschaftsthemen bieten - und natürlich auch unterhalten. Köhler: „Es gibt in diesem Land eine wirklich unselige Wissenschaftsfeindlichkeit, der man etwas entgegenstellen muss, sonst fällt die uns irgendwann noch auf den Kopf.“
Schon seit einiger Zeit arbeitet das Wiener Produktionshaus auch am Einstieg in die große fiktionale Produktion: Ein Zwischenschritt war der für Canal+ produzierte The Bastard King“, der auch im Kino war. Der Film von Regisseur Owen Prümms erzählt anhand realer Bilder die (Über-)Lebensgeschichte eines Löwen.
Die Realität fiktionalisieren
Viel realen Inhalt wird auch die Thriller-Serie „Rogue“ haben, bei der man „mitten in Finanzierungsgesprächen“ ist. Es geht darin um Wildtier-Kriminalität in Afrika, vor allem den Elfenbein-Handel. „In dieser Serie können wir das erzählen, was uns bei der Kino-Doku „The Ivory Game“ das Leben gekostet hätte – die Wahrheit kann man hier nur fiktional erzählen“, sagt Köhler.
Etwas für gute Laute verspricht hingegen die Verfilmung von Tommy Jauds Bestseller „Hummeldumm“. Derzeit ist man dabei, Regie und Hauptcast zu fixieren. „Wirklich großes Interesse“, so Köhler, gäbe es aus England zudem an „On The Edge“. Die Wildlife-Comedy erzählt von einer kuriosen Reise, in der Nashörner per Ökotourismus von Südafrika nach Botswana transportiert werden.
Für Köhler ist Humor ein richtiger Weg, um das Thema Natur und Umwelt beim Publikum präsent zu halten: „Seit Corona neigt die Menschheit dazu, auf alles zu pfeifen, weil man erst mal wieder so richtig leben will. Ich halte es für sehr gefährlich, dass wir als Gesellschaft die Augen vor brennenden Problemen verschließen. Dem versuchen wir über unterschiedliche Genres entgegenzuwirken.“
Geduld, so ahnt es Köhler, wird ein Projekt brauchen, für das man bereits Oscar-Gewinner Stefan Ruzowitzky als Drehbuchautor und Regissseur gewinnen konnte: „Alice's Book“ („Das Buch Alice“) erzählt die Geschichte der erfolgreichen Kochbuch-Autorin und Wiener Jüdin Alice Urbach, die von den Nazis vertrieben wurde. Ihre Rezepte blieben mit einem fremden Namen auf dem Buchdeckel, erst 2020 gab der Verlag die Rechte am Bestseller an Urbachs Familie zurück. „Angesichts der Tumulte auf dieser Welt und weil es ein jüdisches Thema ist, wird das nicht gleich und einfach zu finanzieren sein.
Wie geht's Frau Satellit?
Weit weg und doch sehr nah ist das nächste Projekt: Beim Programm DART hatte die NASA Raketen in einen Asteroiden geschossen. Im Oktober folgt von der Europäischen Weltraumorganisation ESA das Projekt HERA, um die Folgen dessen zu (ver-)messen.
Terra Mater Studios haben dafür eine multimedialen Contentstrategie entwickelt, die sich KI zunutze macht und auf einem Bot aufsetzt - alles mit österreichischem Know-how programmiert. „HERA wird der erste Satellit, mit dem man, egal wo, reden und Fragen stellen kann“, erzählt Köhler. Weil Echtdaten der ESA verarbeitet werden, weiß der Bot, wo HERA gerade ist und wie es ihr geht. „Das erlaubt Space-Watch wie noch nie.“
Rettung vor dem Asteroiden - oder nicht
Das aufzustellen und zu finanzieren, sei nicht einfach gewesen. „Alle reden von KI, aber für viele ist das nicht greifbar“, sagt Köhler. Für Microsoft war das keine Hürde. Die schickten sogar eine Abordnung eines Thinktanks, der nur dazu da ist, sich die Zukunft vorzustellen. Den Austausch mit ihnen benennt Köhler im Stil von Commander Spock: „faszinierend.“
Zu HERA wird es in der Folge nicht nur eine Dokumentation geben, sondern es ist auch eine fiktionale Serie geplant. „Wir wollen aber nicht nochmals Armageddon zeigen. Wir setzen auf dem Szenario auf, das wir alle während Corona erlebt haben: Wie soll die Menschheit eine solche Katastrophe vermeiden und eine Asteroiden-Rettungsaktion schaffen, wenn alle nur ihren Interessen folgen?“, fragt Köhler.
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