NS-Raubgut: Haltet den Küchenmeister!

NS-Raubgut: Haltet den Küchenmeister!
Wie Alice Urbachs Wien-Kochbuch 1938 die Autorenschaft wechselte: Ihre Enkelin, die Historikerin Karina Urbach, berichtet

Als Alice Urbach nach dem Krieg zurückkam, vorübergehend zurückkam, erlebte sie Ähnliches wie der frühere Direktor des Theaters in der Josefstadt Ernst Lothar.

Dieses Misstrauen („Ami, go home“, schrie ein Knirps); dieser Neid, weil man nicht hungernd aussah; und diese völlig fehlende Selbstreflexion, wenn jemand auf beschädigte Häuser zeigte – „dös Bombenschmeiß’n der Amerikaner war do nix wia a Barbarei!“

Alice Urbach wanderte durch Wien. In die Goldeggasse beim Belvedere, wo die Jüdin bis zum Einmarsch deutscher Truppen Kochunterricht gegeben hatte; zur Synagoge in der Seitenstettengasse, zum letzten Wohnort Schreyvogelgasse 3, vorbei am Landtmann ...

Verkaufsschlager

Da sah sie in der Auslage einer Buchhandlung, in einer der wenigen unbeschädigten Auslagen ihr Buch!

Urbach war Bestsellerautorin. „So kocht man in Wien!“, 1935 erstmals im deutschen Ernst Reinhardt Verlag erschienen, war ein Verkaufsschlager.

Urbach war die Flucht nach London geglückt, wo sie sich zunächst als Dienstbotin durchschlug, in New York war es dann zur Wiedervereinigung mit ihren beiden Söhnen gekommen.

Und seit 1938 fehlte ihr Name auf dem Buchumschlag. Wo „Alice Urbach“ stehen sollte, stand „Rudolf Rösch“. Klappentext:

„,Rösch’ muss es sein, das Wiener Schnitzel, knusprig und goldbraun – das weiß jede gute Hausfrau.

Und der ,Rösch‘ muss es sein – auch das weiß jede gute Hausfrau, denn seit langem ist ihr dieses Standardwerk ein Begriff ...“

Rösch wurde vom Verlag als „Küchenmeister in Wien“ vorgestellt.

Von diesem Diebstahl handelt, noch druckfrisch, „Das Buch Alice“, geschrieben von der Historikerin Karina Urbach (Princeton University, USA). Alice war ihre Großmutter.

Karina Urbach ist sich bewusst, dass das Kochbuch eine Kleinigkeit ist im Vergleich zu anderen Beutestücken der Nazis. Aber „es stand für alles, was Alice verloren hatte. Ihre Heimat, ihre drei toten Schwestern – wenigstens ihr Buch wollte sie haben.“

Das gelang nicht.

Zu Lebzeiten hieß es vom Verlag, „Küchenmeister Rösch“ (der niemals identifiziert werden konnte) habe das Kochbuch 1938 überarbeitet, er sei damit zum neuen Urheber geworden. Auf die Fotos, die Alice Urbachs Hände beim Schneiden, Rühren und Kneten zeigen, wurde lieber nicht eingegangen.

Dann hieß es, man sah sich genötigt, einen neuen Verfasser zu suchen, weil das Buch einer Jüdin nicht hätte vertrieben werden können.

Zuletzt, als sich Schwiegertochter und Enkelin bemühten, hieß es gar nichts mehr. Schweigen und keine Entschuldigung und keine Rückgabe der Rechte. Und was ist mit den Einnahmen?

Historikerin Karina Urbach: „Ein ,nicht-arisches‘ Buch war in ein ,arisches‘ verwandelt worden. Mehrere derartige Fälle sind bekannt. Aber es gibt keine Forschung über den geistigen Diebstahl von Leistungen jüdischer Autorinnen und Autoren.“

Stück Heimat

Alice Urbach war Arztwitwe. Ihr Mann war Spieler gewesen. In der Notlage machte sie ihr Hobby zum Beruf. Die Kochkurse in Wien waren stadtbekannt.

In den USA stieß sie später auf Österreicher, die mit ihrem 500 Seiten dicken Buch im Gepäck emigriert waren, um ein Stück Heimat zu behalten.

Im Alter von 95 trat sie im TV auf, um den Amerikanern zu zeigen, was ein Tafelspitz ist. 1983 starb Alice Urbach.

Manche Antiquariate haben noch ein Original von „So kocht man in Wien!“. Der Preis liegt bei 100 Euro.

Einen Rösch bekommt man um 20 Euro.

 

Foto oben: Alice Urbach und ihr Sohn Otto, der für die Air Force arbeitete (um 1948)

Foto unten: Enkeltochter, Historikerin und Autorin Karina Urbach

 

Karina Urbach:
„Das Buch Alice“
Propyläen Verlag.
421 Seiten.
25,70 Euro

KURIER-Wertung: ****

 

 

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