Stiftungsrat Lockl zur ORF-Wahl: "Kompetenz kommt vor Politik“
So viel ist fix: 14 offizielle Bewerber um den Top-Job im ORF gibt es. Für die Favoriten – Generaldirektor Alexander Wrabetz, Chefproducer Roland Weißmann, Channel-Managerin Lisa Totzauer und Online-Chef Thomas Prantner – stehen nun Gespräche und Hearings auf dem Programm. Am 10. August entscheidet der 35-köpfige Stiftungsrat über die neue ORF-Alleingeschäftsführung.
Die Fokussierung auf dieses Datum greift für Lothar Lockl, im Stiftungsrat den Grünen zuzuordnen, zu kurz.
Lothar Lockl über ...
... Anforderungen an die nächste ORF-Führung:
Ich bin froh darüber, dass es mehrere kompetente Bewerberinnen und Bewerber für die Generaldirektion gibt, die nun ihre Konzepte und Schwerpunkten präsentieren. Aber, das unterstreiche ich, es kommt nicht allein auf den Chef oder die Chefin an der Spitze an. Sondern eben auch auf ein starkes Team.
Das Um und Auf in den nächsten Jahren ist ein starkes, kompetentes Team an der Spitze, eine starke Geschäftsführung, in der sich Top-Experten finden. Menschen mit Leidenschaft und Ambition, einem modernen Team- und Management-Verständnis und der Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen. Der ORF braucht Freiheit statt Kontrollversuche. Bei der Besetzung darf es nicht um irgendeine Nähe zu Parteien oder Interessengruppen gehen, sondern es muss die fachliche Eignung im Mittelpunkt stehen - das gilt aber auch für deren Bewertung und Betrachtung. Kompetenz kommt vor Partei. Wer dem öffentlich-rechtlichen ORF einen Dienst erweisen will, entscheidet sich auch für das Unbequeme, nicht nur für das Berechenbare.
... ein Ausgewogeneres Verhältnis von Männern und Frauen:
Meiner Erfahrung und Meinung nach, brauchen Führungsteams neben der Kompetenz eine gute Durchmischung, was Geschlecht und Alter betrifft. Beim Geschlechterverhältnis muss sich der ORF für die letzten Jahren den Vorwurf gefallen lassen, dass er nicht auf der Höhe der Zeit agiert hat und leider kein Vorbild-Unternehmen war. Es braucht ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis in den Landesstudios wie, natürlich, auch auf dem Küniglberg.
Punzierung
... parteipolitische Zuweisungen
Ich wünsche mir für die nächste Geschäftsführung im ORF, wer auch immer Generaldirektor oder -direktorin ist, ein starkes Team aus Profis, ob nun aus dem ORF oder auch von außerhalb. Das müssen Persönlichkeiten sein, die bereits bewiesen haben, dass sie Leadership-Qualitäten haben und große Projekte erfolgreich stemmen können. Wogegen ich massiv bin, ist, dass Manager und Journalisten vom ersten Tag ihrer Nennung für eine Direktoriumsfunktion mit politischen Zuweisungen diskreditiert werden, um ihnen so jegliche fachliche Kompetenz abzusprechen. Das führt dazu, dass sich qualifizierte Persönlichkeiten, die für einen unabhängigen ORF wichtig wären, nicht für das Direktorium zur Verfügung stehen, weil sie sich diese Punzierung nicht antun. Das ist fatal und macht mir wirklich Sorgen. Das ist nicht gut für den ORF und nicht gut für Österreich. Es ist aber eine Tendenz, die zunimmt.
... Entscheidungsfindung im Stiftungsrat:
Ich bin überzeugt, dass wir im Stiftungsrat zu einer Entscheidung kommen werden, die den ORF und den Medienstandort stärkt. Es gibt im Stiftungsrat sehr viel Kompetenz aus unterschiedlichsten Bereichen, manche bringen einen regionalen Blickwinkel auf die Dinge ein, weil sie aus einem Bundesland kommen. Auch das ist wichtig, weil es hier um den Österreichischen Rundfunk geht. Was ich aber schon sehe ist, dass die Entscheidungsfindung in einem Gremium mit 35 Mitgliedern extrem komplex ist.
Rahmenbedingungen
... Relevanz des ORF:
Gerade in politisch und emotional aufgeheizten Zeiten, in denen es Fake-News gibt, in denen sich die Extreme aufschaukeln, kann der ORF punkten als unabhängiges Medium, als Ruhepol, als Fels in der Brandung, der für Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und Seriosität in der Information, aber auch in der Unterhaltung steht. Das muss durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen abgesichert sein und das ist nicht gegeben.
... Medienpolitik in der Schockstarre:
Die österreichische Medienpolitik ist seit über zehn Jahren in einer Schockstarre. Man hat auf die technologische Revolution und auf das Erstarken von Giganten wie Google, Facebook und Co. nicht reagiert und keine Antworten gefunden. Die österreichischen Medien konnten und können sich in diesem Umfeld nicht entsprechend entwickeln, weil es keine durch die Politik geschaffenen fairen Rahmenbedingungen gibt. Es herrscht gegenüber US-IT-Konzernen keine Chancengleichheit – weder für den ORF, noch für private Medien. Ich wünsche mir, dass man den Mut hat, Gesetze so zu verändern, dass neue Allianzen in Österreich möglich werden und eine Weiterentwicklung des Medienstandortes stattfinden kann. Ich bin der Überzeugung, dass es sonst für viele heimische Medien existenzgefährdend wird und gar nicht einmal zuerst beim ORF. Was das in der Folge für Österreich, seine Identität und die Pressefreiheit bedeutet, liegt auf der Hand.
Zukunftsaussichten
... Next Generation:
Es werden hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den nächsten Jahren in Pension gehen. Wir brauchen im ORF viele junge Menschen – von der Technik bis zum Journalismus -, die in deren Fußstapfen treten wollen. Da wird es neue Ausbildungsformen und –möglichkeiten geben müssen, neue Job-Bilder, aber auch neue Kooperationen etwa mit Universitäten und Fachhochschulen, damit der ORF als attraktiver Arbeitergeber und Leitbetrieb wahrgenommen wird. Das liegt in seiner Verantwortung, der er sich stellen muss.
... Strukturänderungen im ORF:
Gibt es Handlungsbedarf, was die Strukturen des ORF betrifft, da sag mit Überzeugung ja. Gibt es eine breite Mehrheit im Parlament, Änderungen zu ermöglichen, da fürchte ich, eher nein. Einen größeren Wurf beim ORF-Gesetz, der wünschenswert wäre, und strukturelle Änderungen ermöglicht, das sehe ich derzeit nicht.
... nachhaltige Finanzierung und Liberalisierung:
Es gibt zumindest Teilaspekte, die man angehen kann und die realistischer Weise umsetzbar scheinen: Da geht es um die nachhaltige Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen, aber auch von Privatmedien – die Demokratie muss uns etwas wert sein, so wie Bildung, zu der auch Medien gehören, Gesundheit, Infrastruktur. Ein zweiter Aspekt ist der Bereich Liberalisierung: Es müssen die heimischen Medien, den ORF hier mitgedacht, die gleichen Möglichkeiten bekommen, wie sie die US-Giganten haben. Da geht es vor allem auch um die Erreichbarkeit von jungen Menschen in Österreich. Da müssen österreichische Medien, da muss der ORF, in die Lage versetzt werden, konkurrenzfähig zu sein. Es schmilzt ihnen die Geschäftsgrundlage weg, das ist für die Demokratie, für die Meinungsvielfalt und –freiheit katastrophal. Es herrscht über die ORF-Wahl hinaus dringender Handlungsbedarf in der gemeinsamen Medienpolitik.
Top-Jobs im ORF
... eine Personalfindungskomission:
Warum nicht? Man soll über alles reden, was zu einer Verbesserung in der Struktur führt. Was man nicht wegdiskutieren kann ist, dass der ORF in einem gesellschaftspolitischen Umfeld aktiv ist, was zum Beispiel heißt, dass er die Pluralität der Meinungen abbilden muss etc.. Die Herausforderungen sind für das Unternehmen so groß, dass es besser ist, ohne Denkverbote und Selbstbeschränkung bei den Überlegungen zu agieren. Da gehören alle Ideen auf den Tisch. Die Unsitte der politischen Punzierung von qualifizierten Persönlichkeiten kann allerdings auch eine Personalfindungskommission nicht lösen.
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