ORF-Generaldirektor Weißmann dreht "Im Zentrum" ab
Auch „wenn der ORF nicht immer eine Wohlfühloase“ ist, hat dessen Generaldirektor Roland Weißmann offenbar Lust auf mehr. Derzeit erarbeite man mit breiter Teilhabe im Haus eine Strategie „ORF 2030“, „die ich ehrlicherweise auch gern umsetzen möchte“, erklärte der gebürtige Oberösterreicher bei einem Gespräch mit Journalisten zur Halbzeit seiner fünfjährigen Vertragslaufzeit. Dass er die bis zum Ende 2026 erfüllen wird, davon geht er aus.
Da könnte ihm und dem ORF die Politik einen fürs Publikum teuren Strich durch die Rechnung machen.
Der ORF-Beitrag wird jedenfalls im Wahlkampf eine Rolle spielen, wobei Weißmann auf eine gestiegene Akzeptanz verweist. Man konnte indes weitere 10.000 „Phantom-Haushalte“ abklären. Das Budgetloch verringert sich so aber nur leicht. „Wir müssen damit auskommen.“
Zur Person
Roland Weißmann, 1968 in Linz geboren, schloss sein Studium der Publizistik und Geschichte ab. Er hat Wettkampferfahrung als Karatekämpfer und hält sich mit Laufen und Boxen fit
Zur Karriere
Start im ORF Niederösterreich. Verschiedene journalistische Karrierestationen im ORF bei Radio und TV. Ab 2010 Büroleiter in der ORF-Finanzdirektion. Ab 2012 Chefproducer
Zur Wahl
24 Stimmen von 35, die er am 10. 8. 2021 von Türkis, Grün, FPÖ und Unabhängigen erhielt, machten ihn statt Alexander Wrabetz zum ORF-General. Start am 1. 1. 2022. Vertragsende: 31. 12. 2026
Weißmann verwies einmal mehr darauf, dass der ORF der größte Investor in die heimische Filmwirtschaft mit 100 Millionen Euro, einer der größten Investoren in Kunst und Kultur in Österreich mit 120 Millionen und das auch beim nationalen und internationalen Spitzensport ist.
Was der ORF nicht tut, passiert nicht
„Wer auch immer in die Regierung kommt, sie macht die Gesetze. Wir können nur erklären, wie wir unser Geld einsetzen“, sagt Weißmann. Er stelle aber schon die Frage: „Wenn der ORF das Geld nicht hat, wer wird das alles machen? Es wird nicht passieren und dann wäre Österreich um ein großes Stück ärmer.“
Die Investitionen zeigen sich auch in den ORF-Angeboten. Für den im Fokus stehenden Online-Bereich, allen voran die neue Streaming-Plattform ORF ON, sind bis Jahresende 20 Produktionen entwickelt worden. Im Budget wurden dazu 8 bis 10 Millionen umgeschichtet.
Kopftuchmafia
Geplant sind etwa „Herzblatt Taxi“, die True-Crime-Story „Unterwelt-Könige“, aber auch eine Weiterentwicklung von „Universum“. Bei Serie und Film stehen der Thomas Stipsits-Krimi „Kopftuchmafia“, Fortsetzungen von u. a. der Netflix-Koproduktion „Totenfrau“, von „Tage, die es nicht gab“, „School of Champions“ und das Finale von „Vienna Blood“ ins Haus. Forciert werden auch Eigenproduktionen für ORF Kids, das ab Oktober auch via App verfügbar wird.
Den Hype um die Fußball-Nationalmannschaft bei der EM will der ORF-Sport bei der Nations League ab September fortsetzen. „Wir werden die Fans zurückholen“, sagte Weißmann, der einräumte, dass man für die EM „zum Teil zurecht Prügel bezogen“ hat. Sein Rückblick: Vieles habe im ORF gut funktioniert, in Bereichen wie der Moderation werde an Adaptionen gearbeitet und „wir haben bei der Konkurrenz gesehen, wie man es auch sehr gut machen kann.“ Er dankte erneut Servus für die Kooperation.
„Nach der EM ist vor der WM 2026“, sagte er. Die wird wie die Quali-Spiele beim ORF spielen. Auch will man wieder einen Partner finden, „damit man alle 104 Matches im FreeTV sehen kann.“ Härter dürfte es bei den Senderechten für die Skirennen werden. U. a. dafür hat man Ex-Sportchef Hans Peter Trost zurückgeholt. „Die Skirechte sind für den ORF existenziell wichtig“, sagte Weißmann, „da muss man sich nach der Decke strecken.“
Neue Talk-Formate
Sehr zufrieden ist Weißmann mit der neu aufgestellten multimedialen ORF-Information, „die Rekordwerte bei Zuschauern und der Akzeptanz hat.“ Der Fokus liegt hier zunächst auf den Nationalratswahlen. Anfang September startet die „ZiB“ auf Youtube, mit der man wie auf weiteren Social-Media-Kanälen junge Menschen und Nachrichten-Vermeider erreichen will.
Zum Jahreswechsel hin gibt es Neuerungen bei den Diskussionsformaten. Am Mittwoch wird der „ZiB Talk“ Aktuelles vertiefen. Am Sonntag soll ein Format „Im Zentrum“ ablösen, das für breitere Themen steht. Auf der Agenda steht auch das „Refreshen“ von „Europa Studio“ und „Hohes Haus“ sowie der Einsatz von „Die Runde“. Eine „Weiterentwicklung“ soll es auch bei Magazinen in ORF 2 geben.
Problembär Moskau
Das ORF-Büro in Moskau wird, nachdem als Vergeltung Carola Schneider die Akkreditierung entzogen wurde, „anlassbezogen“ Christian Lininger bespielen. Die Akkreditierung sei erfolgt, so Weißmann.
Wie schon bei der Information, bei Wissenschaft, Religion und Sport soll nun auch die Kulturredaktion multimedial organisiert werden. Ob auch ORF III-Teile angedockt werden, ließ Weißmann offen. „Wir senden ja keine Strukturen, sondern Programm fürs Publikum.“ Aber: „Wir haben starke Marken, die sollen erhalten bleiben.“ Weißmann verwies auf Ö1, dass trotz Änderungen beim Radiotest zugelegt hat. Bei anderen, wie den Landesradios oder Ö3, gab es Verluste. Weißmann: „Wir haben mittlerweile ungefähr 70 private Radios in Österreich. Natürlich geht das nicht einfach an uns vorüber.“
Für Österreich ungewöhnlich: Das Projekt Medienstandort, 300 Millionen schwer, läuft ohne Drama. „Wir sind im Zeit- und Kostenrahmen und in der Sanierungsqualität, obwohl die Baubranche momentan sehr schwierig ist.“ Abgeschlossen wird es mit Ende 2026. Mit etwas (politischem) Glück könnte Weißmann hier den Schlussstein legen.
Kommentare