ORF-Stiftungsrätin Nepp: "Bin für die Abschaffung der Gebühren"
Seit 2018 ist Barbara Nepp Mitglied des Publikumsrats und des Stiftungsrats. Ein Gespräch über ORF-Zukunftsprojekte und Altlasten.
KURIER: Wie lautet Ihre Einschätzung als Stiftungsrat vom ORF aktuell als Unternehmen?
Barbara Nepp: Zunächst, ich sehe meine Aufgabe darin, alles zu hinterfragen und als Kontroll-Organ der Geschäftsführung zu wirken. Zum Unternehmen: Es gibt viel Positives über den ORF zu sagen, daran will ich vorab erinnern. Aber klar ist, er befindet sich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Im Bereich der Digitalisierung gibt es noch viel zu tun, viel auf- und nachzuholen. Betonen möchte ich hier: Es war der Stiftungsrat, der da mit Nachdruck mehr Engagement von der Führung eingefordert hat, eine Strategie, wie es für den ORF weitergehen soll, verlangt hat und am Papier „ORF 2025“ mitgearbeitet hat. Damit haben wir als Stiftungsrat Impulse gesetzt für den ORF, aber auch darüber hinaus. Die Digitalisierung ist ein Thema für ganz Österreich, das hier, meine ich, den Entwicklungen nachhinkt.
Halten Sie es in diesem Zusammenhang für einen Fehler, dass Generaldirektor Wrabetz anders als bei seiner letzten Wahl angekündigt, nicht die Hörfunk-Direktion aufgelöst und durch einen Chief Digital Officer ersetzt hat?
Ich war bei seiner Wahl noch nicht im Stiftungsrat und will das deshalb nicht kommentieren. Aber in der Grundaufstellung des Unternehmens, etwa auch in Hinblick auf die Technik, gibt es Versäumnisse.
Wie sehen Sie den ORF programmlich aufgestellt? Seit 2018 gibt es auch im Fernsehen Channel-Manager.
ORF1, das große Sorgenkind, hat die Kurve gekratzt. Das hätte viel schlimmer ausgehen können, da bin ich eigentlich positiv überrascht. Wesentlich mitgespielt hat da sicher der Sport, wie jetzt die Quoten der Fußball-EM auch wieder zeigen. ORF2 hatte und hat ein gutes Standing, und das konnte der Sender beibehalten. Sehr positiv sehe ich ORFIII, das mit seinem Programm in Hinblick auf Kultur und Information überzeugt. Die Einschätzung mag auch daran liegen, dass dort viele Sendungen laufen, die ich selbst schaue. Ein großer Kritikpunkt meines Freundeskreises im Stiftungsrat ist und bleibt aber die Objektivität der Berichterstattung der ORF-Information.
Können Sie diese Kritik an einem Beispiel festmachen?
Da gibt es sehr viele, aber um nur eines zu nennen: Erst unlängst im Morgenjournal von Ö1, das ich schätze, weil es ausführlich und doch kompakt Information bringt, wurde ein Gespräch mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl nicht korrekt zusammengefasst. Das geht dann so auf Sendung. Man hat dann als Betroffener auch keine Möglichkeit mehr, das richtig zu stellen. Das schockiert nicht nur mich als Stiftungsrätin, sondern auch die Hörer. Ein anderes Beispiel war bei einer Pressekonferenz von ÖVP-Innenminister Karl Nehammer im Zusammenhang mit dem Mädchenmord, bei dem eine Täter-Opfer-Umkehr durch den ORF-Fragesteller stattgefunden hat. So etwas stößt vielen ORF-Konsumenten auf. Fehlende Objektivität ist, meine ich, auch der Grund für viele zu sagen, dafür will ich keine GIS-Gebühren zahlen. Denn man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Das hat in einem öffentlich-rechtlichen Sender nichts verloren.
Die Gebühren-Thematik muss für Sie eine schwierige Frage sein. Von FPÖ-Seite geht man immer wieder sehr vehement dagegen an, auf der anderen Seite sind Sie ORF-Aufsichtsrätin, wissen um die Budgetlage und müssen trachten, dass die Finanzierung gesichert bleibt.
Da sitzt man als Aufsichtsrätin zwischen zwei Stühlen. Ich verstehe natürlich das Ansinnen des Unternehmens, die Struktur aufrecht zu erhalten. Man muss aber offen die Frage in den Raum stellen, ob das Programm des ORF noch so weit den öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllt, dass Gebühren gerechtfertigt sind. Das sehe ich nicht, daher bin ich für eine Abschaffung der ORF-Gebühren und damit auf der Seite der Steuerzahler. Außerdem muss sich die ORF-Führung auch ändern in Bezug auf Kritik an fehlender Objektivität. Jeder Journalist soll und darf seine Gesinnung haben, aber er soll sie nicht auf Sendung bringen. Das soll der Zuseher, der Hörer, der Bürger nicht mitbekommen. Soweit ist man leider im ORF noch nicht, das hat man als Konsument binnen kürzester Zeit durchschaut.
Zur Person
Barbara Nepp ist Unternehmerin, betreibt mehrere Papierfachgeschäfte in Wien sowie einen Online-Shop und ist in der Immobilienentwicklung tätig. Die 42-Jährige, mit FPÖ-Wien-Chef Dominik Nepp verheiratet, ist Mutter zweier Kinder. Sie kam 2018 als Vertreterin des FPÖ-Bildungswerkes in den Publikumsrat, dessen stv. Vorsitzende sie ist und der sie in den Stiftungsrat entsandt hat. Nepp ist auch Mitglied des Programmausschusses.
Die ORF-Wahl ist ein guter Grund, die Zeit – für Sie seit 2018 – Revue passieren zu lassen. Wie hat sich das Führungsteam, wie der Alleingeschäftsführer des ORF geschlagen?
Ich kann nicht mit früheren Geschäftsführungsperioden vergleichen, dafür bin ich zu kurz dabei. Aber was auffällt, lässt sich am besten mit einem Beispiel zu illustrieren: In der Frage, wann, wo, wie in ORF-Sendungen gegendert wird, mahnen sowohl Publikumsrat als auch Stiftungsrat schon seit längerer Zeit klare Richtlinien der ORF-Führung ein. Das wird seit Monaten immer wieder angesprochen. Angeblich gibt es nun eine Richtlinie, es macht aber weiter irgendwie jeder wie will. Genau das passiert immer wieder im ORF – es wird vertagt, es bleibt unklar, schnelle Lösungen oder Umsetzungen gibt es nicht, es dauert, bis etwas auf den Tisch kommt.
Haben Sie den Eindruck, dass der Generaldirektor so versucht, Probleme auszusitzen in der Hoffnung, dass sie sich auflösen?
Das ist sicher schon öfter vorgekommen. Es heißt das ja auch nicht, dass es immer falsch ist. Ich will ihm da hier keinen Vorwurf machen, es gibt genug andere Kritikpunkte.
Alexander Wrabetz ist ja nicht nur Generaldirektor, sondern auch Informationsdirektor und Teilzeit-Programmdirektor.
Diese Funktionskumulierung sehe ich kritisch. Es wäre, denke ich, ein Vorstand mit einem Vorstandssprecher die bessere und adäquatere Lösung für den ORF in seiner Größenordnung. Aufgrund der Gesetzeslage gibt es da aber keinen Spielraum.
Ein Schlüsselprojekt für den ORF und seine Zukunft ist die geplante Streaming-Plattform, der ORF-Player.
Hier gilt, was ich zuvor schon sagte: Man ist hinten nach und das liegt nicht nur an den gesetzlichen Möglichkeiten. Es ist das irgendwie auch schon ein österreichisches Problem. Mehr Tempo würde ich mir auch in der Information bei aktuellen Ereignissen wünschen. Da könnte der Player, soweit es gesetzlich zulässig ist, die Lösung sein und so man sich im neuen multimedialen Newsroom entsprechend aufstellt, was ich sehr hoffe. Derzeit muss man auf andere Sender ausweichen. Diese Lücke muss man schließen z. B. mit einem Newskanal auf dem Player; jedenfalls braucht es eine Möglichkeit, das man als ORF-Konsument auch bei niederschwelligen Ereignissen schnell informiert wird.
Das versucht man auf ORFIII zu machen.
Der Verweis darauf ist die Standard-Ausrede. Aber ich sehe nicht, dass es passiert.
Der neue multimediale Newsroom ist ein riesen Thema, vor allem auch für die Mitarbeiter, die nach und nach auf dem Küniglberg zusammenziehen. ORF-Chef Wrabetz meint, alles läuft nach Plan, alles super – meinen Sie das auch?
Nein, leider nicht. Ich habe das auch schon von Mitarbeitern gehört, dass Unklarheit und damit Unsicherheit herrscht, beklagt wird die fehlende Information. Da weiß offenbar derzeit noch niemand so recht, wie das funktionieren soll und wie es weitergeht. Da dürfte auch die Generaldirektoren-Wahl schuld daran sein, dass hier nicht viel vorangeht und zugewartet wird.
Wrabetz hat angekündigt, dass er gleich nach der Wahl die vielen neuen Jobs den Newsroom betreffend ausschreiben und dann besetzen wird. Das klingt nach einer Einladung zu „Wünsch Dir was“ oder wie sehen Sie das?
Ich sehe das sehr skeptisch. Das Besetzungsthema ist ohnehin ein großes Thema im Zusammenhang mit der Wahl und überlagert viele Sachfragen. Man sollte diese Neuaufstellung der Information wegen des Newsrooms jedenfalls als Chance begreifen, junge Journalisten in der Hierarchie nach oben zu ziehen.
Stichwort ORF-Wahl: Sie werden am 10. August über den nächsten ORF-Chef oder die nächste ORF-Chefin befinden. Alexander Wrabetz und Lisa Totzauer haben ihre Bewerbung angekündigt. Aber was sind Ihre Anforderungen an Bewerber? Noch hat ja niemand eine Bewerbung abgegeben.
Mir ist die Meinungsfreiheit wichtig, sie ist eine Grundfeste der Demokratie. Die Gebührenzahler haben Anspruch auf Vielfalt und Unparteilichkeit in der Berichterstattung. Das fehlt mir. Ich hoffe, dass in Zukunft wieder besser darauf geachtet wird. Denn das zieht sich durch den gesamten ORF. Beispielhaft genannt die Corona-Berichterstattung: Da wurden unreflektiert Regierungsstandpunkte übernommen und verbreitet. Da fehlte die kritische Distanz. Das belegen Studien, die ausweisen, dass Privatsender weniger die Angst geschürt hätten als der Öffentlich-Rechtliche. Also, da lohnt sich für die Verantwortlichen der Blick zurück, um daraus zu lernen.
Einen Großteil der Info-Sendungen dazu im TV verantwortete der Chefredakteur von ORF2, Matthias Schrom. Bei dessen Bestellung 2018, zu Zeiten der ÖVP/FPÖ-Regierung, hieß es, er sei eine Personalforderung der Blauen gewesen. Hat der Kandidat also nicht entsprochen?
Ich kenne Herrn Schrom nicht persönlich, ich glaube auch nicht, dass er parteipolitisch zuordenbar wäre. Auf Sendung erlebe ich ihn als guten Journalisten. Das ändert nichts an meiner Kritik.
Es sollte vor der Wahl am 10. August noch eine Sondersitzung zur Lage des ORF. Jedenfalls war das von SPÖ-Seite forciert worden. Dazu kommt es nicht. Wurden auch Sie um Unterstützung dieser Forderung angefragt?
Es war für uns unklar, welches Ziel die Sitzung verfolgen sollte. Wir haben aber darüber intern gesprochen, waren also nicht grundsätzlich dagegen. Wir sind sehr für Transparenz und sehr dafür, dass die Karten auf den Tisch gelegt werden, bevor die Wahl stattfindet. Deshalb haben wir uns auch für ein öffentliches Hearing vor dem 10. August eingesetzt – eine Übertragung dessen kann aber nur der ORF selbst veranlassen. Wir sind jedenfalls der Meinung, dass diese Kür des nächsten ORF-Chefs keine der Stiftungsräte allein ist, sondern wir verstehen uns da als Stimme des Publikums und der Gebührenzahler.
Eine wichtige Frage dabei wird auch werden, wie das nächste Management des ORF zusammengestellt sein wird. Da geht es um Kompetenz, aber auch darum, dass dort Mann und Frau gleichermaßen vertreten sind. Letzteres scheint sich als Problem abzuzeichnen, weil die Frauenförderung in Blickrichtung oberes Management offenkundig nicht ausreichend war. Ein Versagen der Unternehmensführung?
Ja, auf jeden Fall. Das sehe ich als großes Problem an. Da wird zwar in der Sprache großartig gegendert, aber dort, wo es strukturell wichtig wäre, wo es ums Eingemachte geht, ist nichts mehr davon wahrzunehmen. Da ist nicht viel passiert, obwohl, das weiß ich, es sehr fähige, tolle Frauen im ORF gibt und nicht nur dort. Aber natürlich werde ich hier keine Namen nennen – es gibt jedenfalls definitiv einige, die das Zeug dazu hätten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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