ORF: "Größte Finanzierungskrise der Geschichte" droht ab 2024
Etwas zynisch formuliert könnte man sagen: Nie war der ORF den Österreichern so nah. Denn auch den Öffentlich-Rechtlichen treffen die „derzeit wirtschaftlich sehr schwierigen Rahmenbedingungen massiv“. Für die Jahre 2022 und 2023 werde es unter sehr großen Anstrengungen noch gelingen, ausgeglichen zu bilanzieren. Dann könnte es aber in Teilen heißen: Sendepause.
Denn trotz des seit Jahren laufendem Sparkurs droht dem ORF ab 2024 die „größte Finanzierungskrise der Geschichte“. Das schreibt der neue ORF-Generaldirektor Roland Weißmann im Begleitbrief zur „mittelfristigen Finanzplanung“ bis 2026 an den 35-köpfigen Stiftungsrat. Dieser tagt am kommenden Donnerstag. Auch die Mitarbeiterriege informierte er am Freitag schriftlich über den Ernst der Lage.
Unter anderem durch die dramatischen Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine sei „eine ausgeglichene Budgetierung ab 2024 nicht mehr möglich“, schreibt Weißmann in seinem Brief an die Stiftungsräte, der dem KURIER vorliegt. Dazu zählten „externe Faktoren wie die extreme Teuerung, die explodierenden Energiekosten, Rückgänge bei den Werbeerlösen und die steigenden GIS-Abmeldungen“, etwa auch durch vermehrte Gebührenbefreiungen für sozial Bedürftige, die dem ORF nicht vom Staat refinanziert werden.
Für die Zeit 2024 – 2026 veranschlagt der ORF so nach KURIER-Informationen zusätzliche Mehrkosten von 325 Millionen, wobei der größte Teil – mit 136 Millionen – auf die Folgekosten durch die Inflation entfallen. Auch happig sind die Mehrkosten für Energie mit 63 Millionen.
Fehlende Grundlage
Was die Situation verschärft: Es gibt nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofes zum Aus für die Streaming-Lücke mit Ende 2023 derzeit kein gesetzlich gültiges, künftiges Finanzierungsmodell des ORF über das kommende Jahr hinaus. Damit gibt es auch keine gesetzliche Grundlage für z. B. eine außertourliche Erhöhung der ORF-Gebühren, wie am Boulevard schon spekuliert wurde.
In Fortschreibung der aktuellen Entwicklung bei den GIS-Zahlern rechnet der ORF auf die Jahre 2024 – 2026 ein Minus von 90 Millionen ein.
Die jüngste, erst heuer durchgeführte Anhebung der Programmentgelte um 8 Prozent auf fünf Jahre (entspricht 1,55 Prozent pro Jahr) hat sich indes in der Inflation aufgelöst. Zum Beschlusszeitpunkt im Sommer des Vorjahres war nämlich noch eine Inflation von 1,7 bis 2,1 Prozent pro Jahr angenommen worden - nun liegt die Prognose allein für 2022 bei 8,3 Prozent. „Die Finanzierung der gesetzlichen Aufträge ist dadurch nicht mehr garantiert“, heißt es in dem Schreiben des ORF-Generaldirektors weiter.
Der Appell nun an die Regierung und speziell an Medienministerin Susanne Raab (ÖVP): „Die Neuregelung muss bis Ende des 1. Quartals 2023 erfolgen, damit sie bis Ende des Jahres implementiert werden kann.“ Denn weil es sich hierbei um eine Beihilfe handelt, muss diese Neuregelung auch noch in Brüssel genehmigt werden. „Entscheidend für den Leistungsumfang ist aber natürlich auch die Höhe einer künftigen Finanzierung.“
„Kitt" der Gesellschaft
Diesen Leistungsumfang betont Weißmann in seinem Schreiben ebenfalls: Der ORF, der von täglich 6,4 Millionen Menschen genutzt werde, sei ein „Kitt“ der Gesellschaft, „Begleiter für die Menschen“ sowie Partner und Wirtschaftsmotor: Rund 120 Millionen werden bis jetzt jährlich in Kunst und Kultur investiert – seit 2007 wurde die Sendezeit dafür versiebenfacht. Man kooperiere im Sinne des Publikums in Premium-Sport sowie Rand- und Breitensport. Der ORF sei zudem der größte Auftraggeber der österreichischen Film- und TV-Wirtschaft mit jährlich 100 Millionen, was Tausende Arbeitsplätze dort sichert. 170 Millionen würden jedes Jahr in der ORF-Landstudios investiert.
Dazu kommen Investitionen in Programme für Menschen mit Hör- oder Sehbeeinträchtigungen sowie solchen mit Lernbehinderung. Auch sei der ORF Plattform für die Aktionen „Licht ins Dunkel“ und „Nachbar in Not“. Nicht zuletzt geht es Weißmann um seine Vision, den Umbau des ORF hin zu einer konkurrenzfähigen multimedialen Plattform. „All das steht in seiner aktuellen Form aber gerade auf dem Spiel“, so der neue Generaldirektor.
Geschätzt wird in Stiftungsratskreisen ein Finanzbedarf von gut 700 Millionen Euro jährlich, um ein Worst-Case-Szenario zu verhindern. Völlig offen ist weiterhin, ob das über eine Budget-Finanzierung, eine umgemodelte, weil irgendwie auf Streaming erweiterte GIS-Gebühr oder über eine sozial gestaffelte Haushaltsabgabe hereinkommen soll.
Vollbremsung
Für 2022 und 2023 geht es sich für den ORF nach einer Vollbremsung noch aus. Sinnbildlich dafür steht die im ORF verhandelte KV-Erhöhung von lediglich etwas über 2 Prozent – für manche auf dem Küniglberg schon jenseits der Schmerzgrenze. Ihnen stellt sich Weißmann nächsten Freitag in einem internen „ORF-Forum".
Zum Vergleich: Beim Öffentlichen Dienst steigen die hohen Gehälter um 7,15 Prozent, die niedrigen um 9,41 Prozent. Auch die Pensionskassenbeiträge des ORF wurden ausgesetzt. Sach- und Produktionskostenreduktionen, Energiesparmaßnahmen etc. laufen ohnehin.
Irgendwann geht es mit Sparen allein aber nicht mehr, macht Weißmann deutlich: „Die nächsten Wochen werden richtungsweisend sein, in welcher Form der ORF seine mediale Leistung für die Österreicherinnen und Österreicher in Zukunft erbringen kann.“
Laut internem Bericht zum 3. Quartal ist man zumindest 2022 wieder auf Kurs Richtung schwarzer Null. Prognostiziert ist derzeit ein Minus für 2022 von nur noch vier Millionen. Hauptgrund dafür sind höhere Werbeeinnahmen als erwartet. Die Sachkosten liegen aufs Jahr gerechnet 22 Millionen (Q3: 3,7 Mio.) über Plan, die Personalkosten bei zwölf Millionen (Q3: 5,9 Mio.) über Plan.
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