ORF ohne Digitalnovelle? „Dann sind wir Nachlassverwalter"
ORF-Generaldirektor Roland Weißmann ließ beim Publikumsrat am Donnerstag tief blicken, wie eng es in den Verhandlungen um eine künftige, gesicherte ORF-Finanzierung und eine Digitalnovelle, die wahrsten Sinn des Wortes online mehr (und längere) Spielräume bringen soll, läuft. Nach einem Höchstgerichtsurteil ist mit den GIS-Gebühren in der heutigen Form bald Schluss.
„Ab 2024 ist mit dieser Finanzierung kein positiver Pfad mehr darzustellen“, machte Weißmann klar, eine neue nachhaltige Finanzierungsform sei notwendig - und wird vom Verfassungsgerichtshof gefordert. Ein entsprechendes Gesetzeswerk muss also im ersten Quartal 2023 auf dem Tisch liegen, „das ist verstanden, wurde mir signalisiert von den relevanten Playern in der Medienpolitik", sagte der ORF-Chef.
Zeitungsähnlichkeit
„Was in einer gewissen Weise immer in einem Zusammenhang diskutiert wird“, so Weißmann, ist die Digitalnovelle. Da ist orf.at der Zankapfel zwischen ORF und den Zeitungsverlegern. Letztere kritisieren den Umfang der Berichterstattung, die es den Zeitungen schwer macht, ihr ureigenstes Digitalangebot kommerziell zu verwerten und auch den Vorgaben bei der Genehmigung durch die EU-Kommission widersprechen dürfte.
Als nun auch im Publikumsrat Appelle in Bezug auf die blaue Seite orf.at gewälzt wurden, die künftig mehr Bewegtbild und um die Hälfte weniger Text beinhalten soll, wurde der ORF-Chef deutlich: „Wir wollen, und das ist übrigens die Strategie 2025 des ORF, vom Broadcaster zur multimedialen Plattform werden. Ich habe am Ende nichts davon, wenn ich keine Digitalnovelle habe, aber eine blaue Seite – die sehr zeitungsähnlich ist, um auf den Punkt zu kommen, auch wenn wir hier in der Öffentlichkeit sind. Der Vorwurf ist die Zeitungsähnlichkeit – nicht meiner, sondern all jener, die sich damit beschäftigen. Der Weg des ORF, der schon vor drei Jahren so eingeschlagen wurde, ist, mehr Bewegtbild (auf orf.at, Anm.) zu machen.“
Als Beispiel für die digitale Zukunft des ORF steht „Topos“. Das ursprünglich für den ORF-Player geplante Modul, von Weißmann als „multimediales Feuilleton“ mit Bewegtbild, Audiofiles und Text aus den Bereichen Kultur, Religion und Wissenschaft beschrieben, startet am Montag. Wichtig für den ORF: „Wir bewegen uns hier nicht im rechtsfreien Raum“, so Weißmann, weil „Topos" ein Zulassungsverfahren vor der Medienbehörde KommAustria positiv hinter sich gebracht hat.
„Weiterentwicklung von orf.at"
Und Weißmann unterstrich: „Keine Digitalnovelle für den ORF zu bekommen, wäre das schlimmste, was passieren kann, dann sind wir Nachlassverwalter dessen, was wir sind, ein Broadcaster. Darum geht es. “Er versuche, dabei immer, das Publikum im Auge zu behalten, so Weißmann. „Kein Mensch will weniger Publikum auf der blauen Seite, sondern wir wollen die Menschen so erreichen und so abholen, wie sie konsumieren und das ist mehr Bewegtbild.“
Es gehe "um eine Weiterentwicklung von orf.at", so der ORF-General, der indirekt mehr Realismus von der Hörer- und Sehervertretung einforderte: Er habe auch seine Wünsche, „aber ich bin nicht allein auf der Welt.“ Er verhandle im übrigen auch nicht allein, sondern mit einem sehr kompetenten Team und „wir wollen am Ende des Tages eine gute Finanzierungslösung für den ORF, um nachhaltig in die Zukunft zu gehen und eine Digitalnovelle.“
Sein oder Nicht-Sein
Was am ORF unmittelbar so dranhängt, machten Vertreter der heimischen Filmwirtschaft klar, die von den Publikumsräten zur Diskussion gebeten worden waren. „Die österreichische Produzentenlandschaft lebt und stirbt mit dem ORF", erklärte Andreas Kamm, Vorsitzender der Berufsgruppe TV-Film und als geschäftsführender Gesellschafter der MR Film mitverantwortlich für Produktionen wie „Vienna Blood“, „Tage, die es nicht gab“ u. v. m.. Matthias Ninaus, Produzent u. a. von „Universum" unterstrich: „Ohne den ORF geht schlichtweg nichts." Entsprechend sieht man sich auch als Verbündete des Öffentlich-Rechtlichen – auch bei seinen Finanzierungsforderungen. Die möchte man aber verbunden sehen mit Quotierungen. Wenigstens 20 Prozent vom ORF-Umsatz oder zumindest 30 Prozent der Gebühren, so Kamm, sollten der heimischen Filmproduktion gewidmet sein. Auch eine längere Planbarkeit und eine Valorisierung des Auftragsvolumens – dzt. 310 Millionen über die nächsten drei Jahre - wünschte man sich. Ehe die Realität wieder in Person von Michael Krön, als ORF-Chefproducer von Roland Weißmann, wieder in Erinnerung gerufen wurde: "Wir wissen nicht, wie viel Geld wir ab 2024 zur Verfügung haben werden", verwies er auf das ausstehende neue Finanzierungsmodell.
Kommentare