Orbán-Blatt nimmt Namen von Oppositionszeitung an

Die erste neue Ausgabe von Magyar Nemzet.
Eine regierungsnahe Zeitung nennt sich jetzt Magyar Nemzet - wie jenes Medium, das nach Orbáns Wahlsieg eingestellt wurde.

Die ungarische Tageszeitung Magyar Idők heißt seit Mittwoch Magyar Nemzet. Das mag zunächst wenig aufregend klingen – hinter dem Namenswechsel verbirgt sich aber der jüngste Medienstreich von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.

Orbán-Blatt nimmt Namen von Oppositionszeitung an

Denn Magyar Nemzet war der Titel jener regierungskritischen Tageszeitung, die im April des Vorjahres überraschend eingestellt wurde – nur wenige Tage nach Orbáns Wiederwahl. Bis zu seinem Aus war das Blatt in Besitz von Orbáns Erzfeind Lajos Simicska, dem neben Magyar Nemzet noch ein Radio- und ein TV-Sender gehörten. In den Wochen vor der Wahl hatten seine Medien intensiv über Ungereimtheiten in Orbáns Umfeld berichtet.

Am Endergebnis änderte das wenig. Simicska, der die rechte Oppositionspartei Jobbik unterstützt hatte, warf das Handtuch und zog sich aus der Medienbranche zurück. Im August wäre Magyar Nemzet 80 geworden. Eine große 80 zierte daher auch das Cover der letzten Ausgabe als regierungskritische Zeitung, die von den Mitarbeitern selbst herausgegeben wurde.

Was aus ihnen und Simicskas Fernsehsender HírTV wurde, können Sie hier nachlesen.

Dass die Pro-Orbán-Zeitung Magyar Idők nun ausgerechnet am 6. Februar den Namen von Magyar Nemzet annimmt, ist nicht zufällig gewählt.

Der „G-Tag“

Simicska und Orbán waren eigentlich beste Freunde, wohnten in der Studienzeit zusammen. Noch vor wenigen Jahren berichteten Simicskas Medien daher auch wohlwollend über die ungarische Regierung und Orbáns Fidesz-Partei. Bis es zum großen Bruch zwischen den beiden Männern kam, über dessen Gründe bis heute nur spekuliert werden kann. In einem Interview bezeichnete Simicska Orbán als „geci“, was so viel wie „Ejakulat“ bedeutet – allerdings weitaus weniger fachsprachlich.

Das Datum – der 6. Februar 2015 – wird in Ungarn seitdem als „G-Tag“ bezeichnet. Die Abkürzung für die folgenreiche Beschimpfung, „O1G“, ist zum Symbol der jüngsten Proteste gegen Orbán geworden, in den sozialen Medien kursieren besonders kreative Darstellungen des Schriftzugs. Ein aus Ungarn stammender Mann mietete in Florida etwa eine Cessna und absolvierte damit eine Flugroute in der Form von „O1G“.

Genau vier Jahre nach dem „G-Tag“ erschien also am Mittwoch die erste neue Ausgabe von Magyar Nemzet, auch der Internetauftritt wurde umgebaut. Als hätte es die Zeit zwischen 2015 und 2018 nicht gegeben, schreibt das nunmehrige Regierungsblatt: „Nach vier Jahren ist Magyar Nemzet zurück. Und wieder an der Front des geistigen Freiheitskampfes.“

Wenn man sich die reinen Fakten ansehe, sei Magyar Nemzet am 11. April 2018 eingestellt worden, in Wahrheit sei die Zeitung aber schon Jahre früher gefallen – am 6. Februar 2015. Seit dem „G-Tag“ habe das Blatt „seine eigene Vergangenheit verleugnet“.

Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Mittwoch bereits ein Foto auf Facebook veröffentlicht, auf dem er die erneuerte Magyar Nemzet liest. Das Posting hat die Zeitung gleich auf die eigene Startseite gesetzt.

Diese Woche gab es noch eine Änderung in Ungarns Medienlandschaft: István Varga, Leiter der Mitteleuropäischen Presse- und Medienstiftung, zu der sich im Herbst mehr als 450 regierungsnahe Titel zusammengeschlossen hatten, ist am Montag zurückgetreten. Zuvor hatte er in einem Interview Pro-Orbán-Medien kritisiert.

Wechselvolle Zeitungsgeschichte

Magyar Nemzet wurde 1938 als gemäßigt konservatives Blatt gegründet. Im Kommunismus war die Zeitung wie andere Medien in Ungarn Zensur unterworfen, nach der Wende wurde sie privatisiert.

Unter der ersten Orbán-Regierung (1998–2002) kam Magyar Nemzet unter die Kontrolle der Regierungspartei Fidesz und schließlich zum Imperium von Orbáns Freund Lajos Simicska. Seit einem Streit zwischen den Männern 2015 berichtete Magyar Nemzet zunehmend kritisch. 2018 kam das Aus, nun hat ein Regierungsblatt den Namen Magyar Nemzet übernommen.

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