Neu bei Netflix & Co: "Gentleman Jack" und "Miss Americana"
"Gentleman Jack": Tagebücher einer Lesbe
Man begegnet Anne Lister im britischen Städtchen Halifax mit gemischten Gefühlen, mit Furcht und Bewunderung.
Anne ist eine Weltenbummlerin, die nichts auf Konventionen gibt. „Das Banale und das Mediokre sind die einzigen Dinge, die mich jemals geängstigt haben“, sagt sie. Anne trägt am liebsten Schwarz, erledigt „Männerarbeiten“ und man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, dass man ihr in der Gesellschaft von Frauen nicht trauen soll.
Anne Lister gab es wirklich. Sie wurde Ende des 18. Jahrhunderts geboren, war Gutsbesitzerin und gilt als erste moderne Lesbe. Erst viele Jahre nach ihrem Tod konnte man den Code entschlüsseln, nach dem sie ihre Tagebücher verfasst hatte. Darin schildert sie ausführlich ihre sexuellen Abenteuer mit Frauen. In den 1980ern wurden ihre Aufzeichnungen veröffentlicht – sie dienten auch als Vorlage für die Serie „Gentleman Jack“, die seit dieser Woche bei Sky zu sehen ist. Eine zweite Staffel wurde bereits in Auftrag gegeben.
„Gentleman Jack“ beginnt mit Anne Listers (Suranne Jones) unerwarteter Rückkehr in die Heimat Halifax, zu ihrer „schäbigen kleinen Familie“, wie sie selbst sagt. Die Freude über ihre Ankunft hält sich vor allem bei ihrer konservativen Schwester Marian („Game of Thrones“-Darstellerin Gemma Whelan) in Grenzen. Sie leidet darunter, im Schatten der charismatischen Anne zu stehen – und sie stößt sich an deren Lebensstil: „Wir sind hier in Halifax, die Leute reden!“
Anne tut Dinge, die sich für eine Frau im Jahr 1832 nicht gehören. Sie treibt etwa die Pacht selbst ein, und lässt dabei nicht mit sich verhandeln. Es ist ein großes Vergnügen zuzusehen, wie die Pächter nacheinander bei ihr vorstellig werden und versuchen, noch was rauszuschlagen – Anne lässt sich von den Männern nicht über den Tisch ziehen: „Sie denken, weil ich eine Frau bin, gehe ich mit dem Preis runter?“
Doch die Protagonistin hat auch eine zerbrechliche Seite. Mit ihrer großen Liebe, einer gewissen Miss Hobart, hat es ein schmerzliches Ende genommen. Miss Hobart entschied sich, einen Mann zu heiraten. Als Anne davon erfährt, bricht sie zusammen.
Es mangelt ihr nicht an Gespielinnen. Doch Anne will nicht bloß eine Affäre. Sie will mit jemandem zusammenleben, den sie liebt – und sich nicht aus Bequemlichkeit an einen Mann binden. Da kommt ihr die naive Ann Walker (Sophie Rundle) ganz gelegen.
Immer wieder blickt Anne in die Kamera und erzählt den Zuschauern, was sie als nächstes plant oder wie sie gedenkt, die junge Frau für sich zu gewinnen: „Das Einzige, das ihr fehlt, ist ein Quäntchen Romantik.“
Das Durchbrechen der vierten Wand ist in der Serienwelt zwar nichts Neues mehr. Der Kniff passt aber ganz gut zur tempo- und witzreichen Erzählweise von „Gentleman Jack“. (Nina Oberbucher)
Gentleman Jack. Historienserie. Acht Episoden. Von Sally Wainwright. Mit Suranne Jones, Gemma Whelan, Sophie Rundle. Zu sehen bei Sky.
"Miss Americana": Vom Country-Mädel zum It-Girl
Taylor Swift war jahrelang das vorbildhafte, gut erzogene und immer brav lächelnde Country-Girl ohne Ecken, Kanten und Meinung. Abgeschliffen und ferngesteuert von der Musikindustrie, wurde sie mit zahlreichen musikalisch belanglosen Alben zum Liebling des weißen Amerikas, zum Püppchen der Nation. „Ich wurde zu der, zu der mich alle machen wollten“, sagt Taylor Swift in der Dokumentation „Miss Americana“, die ab Freitag auf Netflix zu sehen ist.
Im 85-minütigen Film spricht die 10-fache Grammy- und 29-fache American-Music-Award-Gewinnerin über politisches Engagement und ihren kreativen Prozess, aber auch über persönliche Krisen. Und davon gab es bislang schon einige, was keineswegs verwundert. Denn wer sein Kind im Teenageralter der Plattenindustrie verkauft, darf nicht nur mit viel Geld, sondern auch mit nachhaltigen Persönlichkeits- und Essstörungen rechnen. „Ich wurde zu einem netten Mädchen gemacht, das keinem seine Meinung aufzwingen, immer schön lächeln, winken und Danke sagen soll“, urteilt die 30-Jährige in der Doku über die Fesseln, die ihr lange Zeit angelegt wurden.
Sie wollte aber nicht länger die liebe Pop-Marionette sein und löste sich 2014 mit dem Album „1989“ aus der Umklammerung. Es war ein U-Turn in allen Lebensbereichen, mit dem sie sich endgültig vom Image der naiven Blondine aus Pennsylvania verabschiedete. Sie tauschte die Westerngitarre gegen Mainstream-Pop-Beats, zog von der Country-Hochburg Nashville in ein fast 20 Millionen Dollar teures Apartment in Manhattan. Seither gibt Swift das coole, streitlustige, unabhängige und politisch aktive It-Girl. „Es fühlt sich gut an, sich nicht mehr mundtot zu fühlen“, sagt sie sichtlich erleichtert in die Kamera. Und man nimmt ihr jedes Wort ab. (Marco Weise)
Miss Americana. Dokumentation über den US-Popstar Taylor Swift. Von Lana Wilson. 85 Minuten. Abrufbar bei Netflix.
Was sonst noch läuft: "Ragnarök"
Mystery-Serie: Die Legende von Thor, neu erzählt als moderne Coming-of-Age-Geschichte: Die Brüder Magne und Laurits ziehen mit ihrer Mutter ins norwegische Städtchen Edda. Dort fürchten sich die Bewohner vor einer drohenden Katastrophe: Ragnarök. Außenseiter Magne entdeckt indes ungeahnte Kräfte in sich. Ab Freitag bei Netflix.
"Next in Fashion"
Casting-Serie: Model Alexa Chung und Modedesigner Tan France suchen die nächsten großen Namen der Modebranche. 18 Designer treten an, der Gewinner erhält 250.000 Dollar und darf seine Kollektion bei einem Online-Luxus-Label vorstellen. Bei Netflix.
"Ted Bundy: Falling for a Killer"
Doku-Serie: Die Geschichte des Serienmörders Ted Bundy wird aus weiblicher Perspektive neu erzählt. Seine Freundin, aber auch Überlebende seiner Angriffen kommen in der fünfteiligen Serie zu Wort. Ab Freitag bei Amazon Prime Video.
"Der schwarze Diamant"
Thriller: Adam Sandler als spielsüchtiger und verschuldeter Diamantenhändler, der seine Existenz riskiert, um am Leben zu bleiben. Ab Freitag bei Netflix verfügbar.
"BoJack Horseman"
Zeichentrick-Serie: Finale für das depressive Pferd BoJack. Die sechste und letzte Staffel der schrägen Serie ist ab Freitag bei Netflix zu sehen.
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