Sommergespräch: Auch der fünfte Parteichef wollte "ausreden" können

ORF-SOMMERGESPRÄCHE: NEHAMMER / SCHMUCK / PÖTZELSBERGER
Nach dem letzten ORF-Sommergespräch lässt sich sagen: Alle fünf Studiogäste fühlten sich zu oft unterbrochen.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

 

Zum fünften und letzten Mal schwebte die Kamera über dem ORF-Zentrum, das in der Einstellung wie ein riesiger Sternenzerstörer aus „Star Wars“ aussieht.

Über den Parteidingen schweben wolle auch Kanzler Karl Nehammer. Dabei musste er sich im ersten Drittel des „Sommergesprächs" fast ausschließlich mit diesen beschäftigen, was er auch geduldig tat.

Wäre am Anfang das berühmte „Star Wars“-Textband durchgelaufen, wäre vielleicht dringestanden: Der Kanzler ist mit den größten Krisen des Jahrhunderts beschäftigt und verbrachte seinen Urlaub ausschließlich auf seinem Heimatplaneten. Bald droht ihm große Gefahr, wenn die schwarzen Landesfürsten vor ihre Völker treten müssen.

Das wäre so ungefähr die Zusammenfassung für die einleitende Phase.

Kontakt - aber keine Interventionen

Tobias Pötzelsberger stellte am Anfang im neuen ORF-Newsroom wieder eine Frage mit Medienbezug. Nehammers Vorgänger als ÖVP-Chef Sebastian Kurz sei dafür bekannt gewesen, „auch einmal einen Chefredakteur angerufen“ zu haben, wenn ihm die Berichterstattung nicht gepasst hätte, meinte er. Wie es Nehammer damit halte? „Kontakt zu den Medien zu halten, ist politisches Handwerk“, antwortete Nehammer, aber: „Nicht in dem Zusammenhang.“

In einem gar schnellen Schwenk bekundete er, zum ersten Mal im Newsroom zu sein. Und er meinte: „Ich bin sehr beeindruckt davon.“

Wenn man sich an das Sommergespräch mit Herbert Kickl erinnert, dann war das im Vergleich dazu eine richtiggehende Charmeoffensive des Bundeskanzlers.

Nehammer (ÖVP) zu Chat-Affären

Hält der Akku?

Julia Schmuck fragte Nehammer, wie lange sein Akku noch halte, angesichts seines abgesagten Auslandsurlaubs und der anhaltend schwierigen Aufgaben.

„Na der hält noch ausreichend lange“, zeigte sich Nehammer überzeugt.

Im Einspielfilm fiel auch der Satz: „Selten gab es gleichzeitig so viele Krisen.“

Die Interviewer interessierten sich aber zunächst für die diversen ÖVP-Krisen. Klar, dass man die Probleme einer Regierungspartei nicht aus den Augen verlieren sollte, aber da wurde tatsächlich so ziemlich alles durchdekliniert, was schon recht oft abgefragt wurde.

„Nein“, antwortete Nehammer.

Frage nach Entschuldigung

Gleich zu Beginn des Hauptgesprächs fragt Pötzelsberger mit Blick auf die mannigfaltigen Vorwürfe gegen die Partei: „Möchten Sie sich entschuldigen?“

Nehammer gestand zwar ein, dass es gegen einige Personen Verdachtsfälle gibt, dass per SMS oder Whatsapp Postings geschrieben worden sind, "die alles andere als erträglich waren". Dass die Volkspartei an sich ein Korruptionsproblem hätte, "Das kann ich nicht stehen lassen."

„Wenn einzelne Personen fehlen, dann gehört gehandelt, dann gehört bestraft“, meinte Nehammer.

Gemeint war offenbar nicht, dass noch jemand in den Ermittlungsakten fehlt, sondern, dass einzelne Personen möglicherweise Schuld auf sich geladen haben.

Nehammer: Nicht Partei an sich korrupt, nur Einzelne

Letztlich sei für ihn das Strafrecht die entscheidende Instanz. "Schuld gesprochen wird in Österreich nicht von den Medien, nicht vom parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sondern von den Gerichten.“

"Wer legt fest, was Moral ist? Sie?“

Schmuck fragte, ob das Strafrecht die alleine Richtschnur für ihn sei.

Daraufhin berief sich Nehammer ausgerechnet auf den Juristen Alfred Noll (einst Liste Pilz), der in einem Kommentar sinngemäß geschrieben habe: Was sonst solle die Richtschnur sein?

Und Nehammer zu Pötzelsberger:  "Wer legt fest, was Moral ist? Sie?“

„Das sollte man vielleicht auch für sich selbst festlegen können“, meinte Pötzelsberger.

„Aber wer ist das?“ fragte sich Nehammer.

Er wollte an diesem Punkt nicht über sich selbst sprechen, sondern blieb lieber bei seinem Gegenüber: "Wer sagt, was gute Sitte ist. Wer sagt, was gerade ethisch ist und was nicht ethisch ist?“

„In einem gesamtgesellschaftlichen Grundkonsens kommt man auf einen gemeinsamen Befund, was eine Gesellschaft akzeptiert und was sie nicht akzeptiert“, so Nehammer in seinem kurzen Exkurs in Staatslehre.

Das nennt man dann wohl gemeinhin Wahlen, oder Umfragen. Und auf letztere sollte sich Nehammer derzeit nicht allzu sehr stützen.

Nehammer verteidigt "Strompreisbremse"

Kanzler-like

Die Moralfrage war die einzige Frage, in der Nehammer den Anflug von Emotionen zeigte. Ansonsten wirkte er fast durchgehend sehr Kanzler-like.

Auf der Causa Wien Energie ritt er nicht herum, sprach sie selber gar nicht an. Das Wort „Asyl“ fiel überhaupt nicht. Übrigens auch nicht bei Kickl. Offenbar wird dieses Thema nur dann riesig gespielt, wenn es sonst keine großen Probleme gibt.

Die Strompreisbremse wurde von Nehammer nicht im großen Stil hinausposaunt - wie im Vorfeld vielleicht anzunehmen war. Aufhorchen ließ Nehammer damit, dass er auch an finanzielle Hilfen für Verbraucher von Gas, Pellets und Öl denke.

Pötzelsberger meinte: „Zahlen müssen wir uns das alles selber. Außer: Übergewinne werden abgeschöpft.“

Nehammer, der ja selbst einmal kurz solche Übergewinnsteuern in die politische Arena geworfen hatte, versuchte zu erklären, dass verschiedene Unternehmen höchst unterschiedliche Strukturen aufweisen, und dass auch kleinere Energieträger, die auf Erneuerbare setzen, dafür gewissermaßen bestraft würden. Man müsse das also „schlau“ machen.

Nehammer zur Übergewinnsteuer

Der Blick auf die Uhr

Recht früh wurde er dabei von Pötzelsberger daran erinnert, dass er „sehr lang“ antworte. Nehammer meinte:, „Es wäre viel einfacher, wenn ich ausreden könnte. Dann finde ich auch in den Gedanken zurück.“

Diesen Gedanken hatte man tatsächlich zwei, drei Mal: Dass man dem Bundeskanzler gerade zuhören wollte und relativ bald schon wieder auf die Uhr geschaut wurde.

Es zog sich auch durch alle fünf Sommergespräche, dass jeder Parteichef und jede Parteichefin zumindest ein Mal anmerkte, dass zu oft unterbrochen werde.

Erst am Ende offensiv

Und wenn der Name Pötzelsberger in diesem TV-Tagebuch recht oft fällt, dann liegt das nicht nur daran, dass er die offensiveren Fragen stellte (was auch zu bemerken war), sondern auch daran, dass der „ZiB“-Moderator recht oft in diesen „Sommergesprächen“ das Heft an sich riss. Vielleicht ist der Hunger nach Interviewführung halt auch groß, wenn man in der Hauptnachrichtensendung nicht die Gelegenheit dazu hat. Schmuck macht Interviews - wenngleich im Radio - ja öfter.

Gegen Ende des Gesprächs hatte man das Gefühl, Schmuck wollte noch ein Ausrufezeichen setzen, in dem sie „die vielleicht größte Krise unserer Zeit“ ansprach - die Klimakrise. Wie Nehammer Österreich hier zum „Musterland“ ausrufen könne, wenn Statistiken doch etwas anderes zeigen?

„Ich prüfe die Fakten“

„Sie lesen Statistiken, wie Sie sie lesen wollen“, meinte Nehammer und wurde dann doch noch etwas emotional. „Wir sind ein gutes Land“, sagte er. Man sei bei der Energieerzeugung bereits bei 75 Prozent Erneuerbaren - nur im Winter zeige sich noch eine Lücke, im Sommer erreiche man fast 100 Prozent (wobei diese Zahl dieses Jahr durch anhaltende Trockenheit bei weitem nicht erreicht wurde, Anm.)

„Ich prüfe die Fakten“, meinte Nehammer, Schmuck beharrte auf den zu hohen CO2-Emissionen, die sich wieder auf dem Stand von 1990 bewegen.

Am Ende stellte Schmuck noch eine Lebensfrage: "Wer ist der glücklichste Mensch, den Sie kennen und warum?"

Nehammer blieb unverbindlich und nannte mehrere Menschen, die "mit sich im Reinen sind", das lieben, was sie tun und die Menschen mögen. Einen konkreten Namen wollte er sich nicht herauslocken lassen. "Es gilt immer noch der Datenschutz."

Schlagfertig und gesattelt wirkte Nehammer in jeder Phase des Gesprächs. Aber: Das Faktenprüfen darf der Kanzler getrost anderen überlassen, dafür sind Journalisten ja da.

 

Analyse des Sommergesprächs mit Karl Nehammer

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