In Ermangelung des Lochs

Alles war angelegt auf heitere Harmlosigkeit: Die ORF-Sommergespräche brachten die Führungsfiguren der Parlamentsparteien in den Montagabend. Augenzwinkern, Persönliches und der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst: Tobias Pötzelsberger und Julia Schmuck hatten unter anderem die Aufgabe bekommen, den neuen ORF-Newsroom (eine Zentralredaktion für TV, Radio und Internet) in Szene zu setzen: Innen wurden die Interviewten aufgelockert, um draußen am Medien-Campus in medias res zu gehen. Entschleunigung in der wilden Polit-Hochschaubahn der letzten Monate mit ein bisschen Eigenwerbung.
Dann fielen die Milliarden vom Himmel: Die Nachricht vom Milliardenloch der Wien Energie platzte in das auf ein Sieger-Interview angelegte Gespräch mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Die politischen Sommerferien waren von heute auf morgen vorbei. Nicht nur verdribbelte sie sich inhaltlich: (die anderen Energieversorger, die laut ihr in Schieflage geraten sind, tauchen hartnäckig nicht auf), schlimmer noch: Die Umfragenkaiserin, die mit Kanzlerinnenanspruch in die Sendung ging, wurde mit der Krise im roten Wien aus den Schlagzeilen gefegt. Schlimmer als ein schwacher Auftritt ist nur einer, über den man nicht reden muss.
Der politisch schwer angezählte ÖVP-Chef Karl Nehammer nutzte den montäglichen ORF-Auftritt hingegen zu einem überraschenden Comeback: Gespickt mit Argumenten und mit (angesichts der nach wie vor unüberschaubaren Lage relativ) klaren Ansagen lieferte er ab, was Rendi-Wagner nicht gelingen mochte: Er verkörperte eine Führungsfigur, die angesichts der sanft plätschernden Fragen Ernsthaftigkeit verbreitete. Die ÖVP schaffte, was die SPÖ in schöner Regelmäßigkeit vergeigt: die Krise des politischen Gegenübers zu nutzen.
Zugeben: Nehammer hatte es nicht schwer mit den Interviewern. Angesprochen auf die Rechnungshofprüfung der Wahlkampfkosten meinte er etwa sinngemäß, dass man halt eine Strafe zahlen werde, wenn sich die Vorwürfe (unter seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär) bestätigen sollten. Hier hätte man sich eine Nachfrage erwarten dürfen. Oder auch nicht. Es war eine Sommerbühne auf dem Küniglberg, die vor allem zeigen sollte, wie man alles verbindet: Radio, Fernsehen, Journalismus, Unterhaltung, ein neues Gebäude …
Die Realität zeigte, wie rau die Zeiten geworden sind: Selbst ein an und für sich gutes Sendungskonzept übersteht nicht einmal mehr ein paar Wochen, weil man in einer akuten Krise einem Kanzler nicht mit Mini-Fragen im Word-Rap-Format kommen kann, wenn der Hut lichterloh in Flammen steht. „Sommergespräche“ dienten früher dazu, das Sommerloch zu schließen. In Ermangelung des Lochs hat sich das erübrigt.

Philipp Wilhelmer.
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