Daniel Kehlmann pfeift für "Das letzte Problem" auf die 10 Gebote
Von Gabriele Flossmann, New York
Im London der 1920er Jahren verfasste der enthusiastische Sherlock Holmes-Verehrer Ronald Knox 10 Regeln, mit denen er ein "fair play" bei der Mördersuche einforderte. Was bedeutete, dass jeder Krimi-Autor die Spuren des Täters so legen sollte, dass nicht nur Kriminalbeamte und Detektive sie deuten konnte, sondern auch der aufmerksame Leser.
Dass Knox seine Forderungen dem biblischen Vorbild folgend "Die 10 Gebote" nannte, hatte wohl damit zu tun, dass er – wohl nur ganz nebenbei - von Beruf eigentlich katholischer Priester war. Den Großteil seiner Aufmerksamkeit widmete Knox jedenfalls dem von ihm gegründeten, legendären "Detection Club", einer Vereinigung von Autoren, der auch Agatha Christie, Dorothy Sayers, G. K. Chesterton, und E. C. Bentley angehörten.
Und was hat das alles mit Daniel Kehlmann zu tun? Nach Bestsellern wie "Die Vermessung der Welt", "Ich und Kaminski" oder "Tyll" einem der international erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart? Sehr viel, wie sich herausstellt – zumindest seit es dem ORF gelungen ist, ihn als Drehbuchautor für einen – von ARTE koproduzierten - "Landkrimi" zu gewinnen. Schauplatz dieses literarisch edlen Kriminalrätsels mit dem Titel "Das letzte Problem" (20.15, ORF1) ist Vorarlberg.
Den nicht minder geheimnisvollen Ermittler spielt Karl Markovics, der bei diesem Film auch Regie führte. Als einer der Gäste eines eingeschneiten und von der Außenwelt abgeriegelten Ferienhotels wird er mit zwei Mordfällen konfrontiert. Trotz seines Urlaubs beginnt er auf eigene Faust mit den Ermittlungen - und macht sich damit unter der Dorfpolizei keine Freunde.
Als Autor dieses TV-Krimis machte sich Daniel Kehlmann den Spaß, geradezu lustvoll gegen fast alle der von Ronald Knox aufgestellten Gebote der Kriminalliteratur zu verstoßen. Was wohl dazu führen wird, dass das Publikum bei der Ausstrahlung von „Das letzte Problem“ ebenso vielen wie verwirrenden Spuren des Täters folgen kann – von der aber nur eine(?) zur Lösung der Mordfälle führt. Und das bedeutet Spannung bis zur letzten Minute. Dem KURIER-Interview stellte sich Daniel Kehlmann in seinem derzeitigen Wohnort New York.
KURIER: Sie leben zwar in New York, aber wie Sie wissen, wird in der deutschsprachigen Kunst und Literatur immer zwischen U und E unterschieden. Also in U wie Unterhaltung oder E wie ernstzunehmend. Nach dieser Auffassung haben Sie sich als renommierter und literarisch ausgezeichneter Schriftsteller in die Niederungen des Krimi-Schreibens herabgelassen. Wie stehen Sie dazu?
Daniel Kehlmann: Vieles von dem was ich bisher geschrieben habe, hatte zu tun mit einem Spiel mit Genres. Mein Buch „Du hättest gehen sollen“ ist ja ein Spiel mit dem Genre der Gespenstergeschichten. Oder „Die Vermessung der Welt“ war ein Spiel mit der Form des historischen Romans. Und ich hatte schon seit langer Zeit die Idee für diese Geschichte – die einzige, die meiner Ansicht nach in das Krimi-Genre passte. Und dann kam David Schalko und meinte: ‚Hättest du nicht auch einmal Lust, einen „Landkrimi“ zu schreiben?‘ Und ich darauf: ‚Ich hätte da schon eine Idee, aber die ist sicher zu verrückt und ungewöhnlich. Aber wenn’s euch passt, dann würde ich dieses Drehbuch schon gerne schreiben.‘ Und als dann der ORF meine Idee zwar verrückt, aber nicht zu verrückt fand, hat dieser „Landkrimi“ seinen Lauf genommen.
Stand es für Sie von Anfang an fest, dass Sie mit Ihrer Geschichte gegen die 10 Gebote des klassischen Krimis verstoßen wollten?
Ja, genau das hat mich interessiert. Sie treffen da genau den Punkt. Auch bei Büchern wie „Vermessung der Welt“, oder „Du hättest gehen sollen“ war es für mich entscheidend, eine Form zu wählen, die sehr besetzt ist von Genre-Regeln, mich dann aber nicht an diese Regeln zu halten. Denn gerade dann kommt dabei oft etwas sehr Interessantes heraus. Und das war auch in diesem Fall so. Ich wollte sehen: was passiert, wenn man Genre-Regeln bewusst bricht.
Sie haben sich in Ihrer Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen 2009 sehr kritisch mit dem deutschen Regietheater auseinandergesetzt. Ihr Drehbuch mussten Sie nun auch einem Regisseur überlassen und die Gefahr bei besteht ja bei einem Filmemacher genauso, dass er Ihr Werk zu seinem eigenen umformt.
Mir ging es bei der Salzburger Rede um eine gewisse Form der Stückezertrümmerung. Bei einem Film ist natürlich der Regisseur der Chef und nicht der Autor – aber umso mehr muss man sich als Autor die Frage stellen, wem man sich anvertraut. Als mich der für die „Landkrimis“ zuständige ORF-Redakteur Klaus Lintschinger dann fragte, ob ich mit Karl Markovics einverstanden wäre, habe ich sofort ja gesagt. Ich kenne seine Filme und halte ihn nicht nur für einen großartigen Schauspieler, sondern auch für einen herausragenden Regisseur. Karl hat mir schon in einem ersten Mail erklärt, was ihn an meiner verrückten Geschichte interessiert und wie er sie umsetzen wollte - und seine Ideen haben mich sofort begeistert. Meine große Hoffnung war natürlich, dass Karl auch die Hauptrolle übernehmen würde. Zunächst wollte er das nicht und hat sich mit seiner Entscheidung auch Zeit gelassen, aber als er dann zusagte, war ich vollends begeistert. Karl kam dann noch mit einigen sehr genau überlegten Vorschlägen und ich habe das Drehbuch daraufhin auch verändert und einiges neu geschrieben. Wie die lange und für mich inzwischen zentrale und wichtigste Szene zwischen dem von Karl gespielten Kommissar und seinem Mitarbeiter. So soll es ja auch sein bei einer funktionierenden Zusammenarbeit. Und deshalb schreibe ich ja auch gerne für Filme und Theater, weil die Zusammenarbeit mit kreativen Menschen auch für mich als Schriftsteller lehrreich und produktiv ist.
Literaturverfilmungen werden vom Publikum oft mit den vielzitierten „Filmen im Kopf“ verglichen, die in den Köpfen und in der Fantasie der Leser entstehen. Schreiben Sie deshalb lieber Originaldrehbücher zu Filmen, als der Visualisierung Ihrer Romane wie etwa „Die Vermessung der Welt“ zuzustimmen?
Es gibt tatsächlich zwei Drehbücher von mir, die beide nächstes Jahr realisiert werden. Das eine ist eine Neuverfilmung von Thomas Manns „Felix Krull“, die Detlev Buck inszenieren wird. Für mich war daran vor allem interessant, mich einmal mit der filmischen Adaption von Literatur auseinanderzusetzen. Und dann habe ich noch ein Drehbuch für Daniel Brühl geschrieben, der mit dieser Verfilmung sein Regie-Debut machen will. Das heißt jetzt nicht, dass ich von nun an nur mehr für Drehbücher schreiben will, denn ich bin doch vor allem Romanautor. Aber für Filme zu schreiben macht mir großen Spaß.
Wenn man heutzutage von „Verfilmungen“ spricht, dann muss man ja immer mehr unterscheiden, ob man einen Stoff für Kino, privates oder öffentlich-rechtliches Fernsehen oder für einen der Streaming-Dienste umsetzt. Gibt es da für Sie Präferenzen?
Ich finde es ganz wichtig, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen weiterhin bestehen bleibt. Ich weiß, dass das nicht so ganz der Hintergrund Ihrer Frage war, aber ich finde öffentlich-rechtliche Sendeanstalten mit ihrem Informationsauftrag und der Pflege der kulturellen Identität als unerlässlich für die Erhaltung einer liberalen Gesellschaft. Und was die Streamingdienste betrifft, so denke ich, wenn so viel Geld zur Verfügung gestellt wird für so viele Serien, dann ist das zwar erfreulich, aber wahrscheinlich auch eine Blase. So wie die Tulpenmanie in Holland vor langer Zeit. Ich kenne viele großartige Schriftsteller, die zur Zeit in erster Linie Serien schreiben. Sie verdienen gut daran und freuen sich, dass sie sich mit langen Geschichten und Erzählformen einmal so richtig austoben können. Aber ich glaube nicht daran, dass die ungeheuren Summen, die für diese Serien aufgewendet werden, noch lange zur Verfügung stehen werden. Meiner Meinung nach wird diese Blase in einigen Jahren platzen, und die Serien-Goldgräberstimmung wird verfliegen.
Welche Auswirkungen hätte das Platzen der Streaming-Blase auf die Autoren und Filmemacher?
Dann werden wir alle sehr, sehr froh sein, wenn die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten noch als Plattform für anspruchsvolle fiktionale Programme zur Verfügung stehen. Die haben zwar nicht so viel Geld, wie derzeit die Streaming-Dienste, aber dann muss man sich eben als Autor an diese Gegebenheiten anpassen. Das habe ich auch schon beim Drehbuch zum „Landkrimi“ gemacht. „Das letzte Problem“ spielt an einem einzigen Schauplatz – in einem eingeschneiten Hotel. Da kann man schon eine Menge Geld einsparen (lacht).
Sie leben nun schon seit längerer Zeit in New York. Glauben Sie, dass sich die Schauplätze und Inhalte Ihrer Romane mehr und mehr in Richtung USA verändern werden?
Das glaube ich nicht. Man wird natürlich von seinem Lebensumfeld geprägt und wenn man die Trump-Katastrophe aus der Nähe mitansehen muss, dann beschäftigt sie einen natürlich sehr und beeinflusst auch das, was man schreibt. Aber sicher wird das nicht so weit gehen, dass ich anfange Geschichten zu schreiben, die in Amerika spielen. Ich glaube schon daran, dass man am besten über etwas schreibt, das man sehr genau kennt – und das ist dann doch die Kultur und die Welt, in der man aufgewachsen ist. Und die Sprachbarriere ist dann doch entscheidend. Ich kann zwar gut Englisch, aber das Personal meiner Bücher muss schon deutschsprachig sein. Und ich kann andererseits nicht auf Deutsch schreiben, wenn die Geschichte unter Amerikanern spielt. Deshalb wäre mir auch der Wechsel vom deutschen zum amerikanischen Schriftsteller verwehrt. Das ist zwar ein reizvolles Gedankenspiel, aber das werde ich nicht machen.
Wenn Trump wiedergewählt werden sollte – werden Sie dann weiterhin in den USA bleiben, oder würden Sie in dem Fall nach Europa zurückkehren?
Ja. Wenn Trump wirklich wiedergewählt werden sollte, dann wird es in Amerika so ungemütlich, dass man hier nicht mehr sein möchte. Aber auch wenn er nicht wiedergewählt wird – ich hatte nie die Absicht für immer wegzuziehen. Die Zeit hier ist für mich sehr interessant und auf kreative Weise gewinnbringend, aber je länger ich hier bin, desto europäischer fühle ich mich. Ich hatte nie den Plan, Europa den Rücken zu kehren. Das wird nicht geschehen.
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