Kehlmann zu Trump: "Es wird ziemlich schlimm werden"

Daniel Kehlmann
Daniel Kehlmann über sein Stück "Heilig Abend", das am 2. Februar in der Josefstadt uraufgeführt wird.

"Heilig Abend" schildert ein Vehör: Ein Ermittler (Bernhard Schir) versucht mit allen Mitteln, einer Terrorverdächtigen (Maria Köstlinger) ein Geständnis abzuringen.

Im Interview spricht Kehlmann über Überwachung, das Regietheater – und Donald Trump.

KURIER: Ihr Stück ist reduziert auf den Kern von Theater: Eine Frau, ein Mann, ein gefährlicher Konflikt, Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Was hat Sie an der Reduktion so gereizt?

Daniel Kehlmann: Man hat es mit einer unmittelbar dramatischen Situation zu tun, ohne Ablenkung, ohne die Möglichkeit, zu entkommen. Die klassischen griechischen Tragödien ereignen sich ja auch in Echtzeit – nur ist keine Uhr auf der Bühne, die es einem sagt.

Der Hauptdarsteller des Stücks ist genau genommen die Uhr.

Jedenfalls ist die Uhr ein wichtiges Element, man soll schon die sich zudrehende Schraube der Spannung spüren und ihr nicht entkommen können, dabei hilft die Uhr natürlich enorm.

Sie greifen in diesem Stück aktuelle politische Fragen auf, etwa dschihadistische Anschläge und das Thema Überwachung. Ist das Theater das geeignete Medium für Aktualität?

Ich glaube, es kommt darauf an, nur über Dinge zu schreiben, die einen als Schriftsteller wirklich interessieren. Und für mich war das Thema Überwachung so etwas: Sofort als Edward Snowdens Enthüllungen an die Öffentlichkeit kamen, wusste ich, dass ich über Überwachung schreiben wollte, und ich habe dann auch bald mit der Arbeit an "Heilig Abend" begonnen – Sie sehen, so aktuell ist es gar nicht mehr, beziehungsweise es ist sicher immer noch aktuell, aber nicht mehr so neu.

Sind Sie besorgt über das Ausmaß der Überwachung? Oder sehen Sie Überwachung als notwendiges Übel zur Bekämpfung von Terrorismus?

Ein wenig Überwachung ist sicher ein notwendiges Übel, aber man muss das richtige Maß finden. Und vergessen wir nicht, der oberste Chef der NSA heißt jetzt Donald Trump, vor dem muss man sich ebenso schützen wie vor den Terroristen.

Wenn ich das richtig verstehe, geht es in dem Stück auch um Liebe, oder besser Loyalität. Um etwas, das Thomas, der das Verhör führt, nicht hat und gerne hätte und um das er Judith, die er verhört, beneidet.

Ganz richtig. Der britische Regisseur Laurence Boswell, mit dem ich in einem Workshop an dem Stück gearbeitet habe, sagte sogar: "Das ist eigentlich eine Liebesgeschichte!" Aber nicht zwischen den Personen auf der Bühne, es ist eine Liebesgeschichte zwischen Judith und dem Mann im Nebenraum, der verhört wird wie sie und den wir nie sehen.

Die Form ist wie ein psychologischer Ringkampf, bei dem einmal der eine stärker ist, dann wieder die andere.

So muss das in einem Zweipersonenstück auch sein, sonst ist es ja einfach nur eine zwei Stunden lange Diskussion. Es muss einen echten Konflikt geben, in dem einmal der eine, einmal der andere die Oberhand hat, nur dann ist es ein echtes Theaterstück. Und da man keine anderen Personen auf die Bühne bringen kann, müssen die zwei diese Wendungen immer aus sich generieren. Das ist viel schwieriger, als ich am Anfang dachte, und das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass ich ziemlich lange daran geschrieben und es immer wieder überarbeitet habe.

Spannend ist, dass bis zum Schluss nie klar wird, wer von den beiden die Wahrheit sagt und wer lügt – vielleicht beide.

Das kann gut sein, ich weiß es auch nicht, und ich finde es wichtig, dass der Autor das nicht entscheidet.

Ihr Text spielt auf das klassische "Gefangenendilemma" der Spieltheorie an. Sind das Fragen, die Sie faszinieren?

Das Gefangenendilemma ist ja ein klassisches psychologisches Experiment, beziehungsweise auch eine häufig verwendete Verhörtechnik: Zwei Menschen, die unabhängig voneinander verhört werden, fangen erstaunlich oft früher oder später an, einander zu beschuldigen, auch wenn das eigentlich nicht in ihrem Interesse ist – letztlich weil sie einander nicht vertrauen können. Das hat mich immer schon fasziniert, und auch deshalb ist die Frau in meinem Stück Philosophieprofessorin. Sie weiß vom Gefangenendilemma und will einen Weg finden, es zu "lösen" Und sie findet ihn auch, aber mehr verrate ich jetzt nicht.

Sie haben sich in Ihrer bekannten Salzburger Festspielrede sehr kritisch mit der Modeerscheinung des sogenannten Regietheater befasst. Wie schwer fällt es Ihnen, einen Text loszulassen und einem Bühnen-Team zu überlassen?

Das sogenannte Regietheater ist ja eine Modeerscheinung, die inzwischen schon mehr als eine Generation anhält und wohl auch noch lange existieren wird, es ist der im deutschen Sprachraum dominante Mainstream. Es ist vor allem eine Form, Texte nicht ernst zu nehmen. Alles, was ich als Autor will, ist, dass man meine Texte ernst nimmt. Wer meinen Text nicht mag, kann ja etwas anderes inszenieren. Wenn ein Regisseur mein Stück ernst nimmt, lasse ich auch gerne los und gehe das Risiko ein, dass mir das Ergebnis nicht gefällt – dieses Risiko gibt es immer bei künstlerischer Arbeit. Nur wenn mein Stück zum Beispiel auf die absurdeste Art zum platten Klamauk umgeschrieben wird, wie es mir einmal in Frankfurt passiert ist, werde ich dagegen protestieren, ich habe ja auch einen Ruf zu verlieren und möchte nicht, dass Text, der gar nicht von mir ist, vom Publikum als der meine angesehen wird. Eigentlich ist das keine sehr drastische Forderung, oder?

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Regisseur Herbert Föttinger, der schon Ihr Stück "Der Mentor" inszeniert und als Einspringer die Hauptrolle gespielt hat?

Ich bin mit dem "Theater in der Josefstadt" ja durch meine Familiengeschichte verbunden. Es war das Lieblingstheater meines Vaters, er hat dort viel inszeniert, und er hatte einen gültigen Vertrag, Direktor zu werden. Deshalb sind wir auch 1981 von München nach Wien gezogen. Dieser Vertrag wurde durch eine Intrige gebrochen, und meines Vaters Direktion vereitelt. Es hatte mit Helmut Zilk zu tun, der einmal in Gegenwart meines Vaters eine grob antisemitische Bemerkung gemacht hatte. Mein Vater hat sich das verbeten, ab diesem Moment war klar, dass Zilk verhindern würde, dass mein Vater irgendwo in seinem Einflusskreis Direktor werden konnte.

Herbert Föttinger wusste von dieser Geschichte und kam vor einigen Jahren mit größter Freundlichkeit auf mich zu, eigentlich um diese Altlasten der Vergangenheit gemeinsam zu überwinden, und seither arbeiten wir aufs Beste zusammen.

Herbert steht ja viel in der Öffentlichkeit, aber ich glaube, vielen Leuten ist trotzdem gar nicht klar, was für ein hervorragender Theaterdirektor er ist, der sich für alle Details interessiert, und auch was für ein guter Dramaturg. Wenn ich ihm ein Stück abliefere, hat er stets eine kurze aber beunruhigende Liste von dramentechnisch-dramaturgischen Einwänden, und normalerweise hat er mit allem recht. Er hat ein unglaublich gutes Gefühl fürs innere Funktionieren eines dramatischen Werks.

Das Regie-Theater scheint heute nicht mehr in Mode zu sein, dafür gibt es jetzt auf jeder Bühne Dramatisierungen.

Romanadaptionen sind auch schon sehr, sehr lange in Mode. Ich profitiere auch davon: Ständig wird irgendwo "Die Vermessung der Welt" gespielt. Ich finde das, ehrlich gesagt, etwas albern. Wenn jemand mich spielen will, warum dann nicht meine Stücke? Aber was soll’s, verbieten werde ich es deshalb auch wieder nicht.

Wie stehen Sie zu Dramatisierungen Ihrer Romane ?

Man kann das schon gut machen, und Dirk Englers Theaterversion von "Die Vermessung der Welt" ist meiner Meinung nach sehr gelungen – aber, wie gesagt, grundsätzlich habe ich schon den Einwand: Es gibt doch Stücke, ist das Theater nicht für Stücke da? Matthias Hartmann hat seinerzeit ausdrücklich zu mir gesagt, dass er kein Stück von mir will, aber eine Novelle, die ich für ihn schreiben würde, würde er sofort auf die Bühne bringen. Was soll man dazu sagen! Ich habe ihm jedenfalls geantwortet, dass ich meine Novellen lieber bei Rowohlt veröffentliche als am Burgtheater.

Sie haben sich kritisch über die Wahl von Donald Trump geäußert. Denken Sie, er ist nur sozusagen eine Panne der Geschichte – oder steht er für eine nachhaltige Unterspülung des demokratischen Systems?

Beides – eine Panne der Geschichte, die das demokratische System dauerhaft beschädigen kann. Man mag sich ja noch gar nicht ausdenken, wie viel Schaden er anrichten wird. Es wird jedenfalls ziemlich schlimm werden, davon bin ich überzeugt. Hätte man im ganzen Land ein Casting für den abscheulichsten Menschen durchgeführt, so hätte er gute Chancen gehabt, zu gewinnen. Und jetzt ist er der mächtigste Mann der Welt. Es ist schon fürchterlich.

Kommentare