ORF-Chefredakteur: "Kein Wunschkonzert" für Parteien bei TV-Duellen
Die ORF-"Sommergespräche" sind mit sehr guten Quoten abgeschlossen, die TV-Duelle können kommen. Die von Susanne Schnabl ("Report“) und Alexandra Maritza Wachter ("ZiB“) moderierten Duelle starten am Donnerstag mit den Begegnungen Babler vs. Kogler (20.15 Uhr, Mod.: Schnabl) und Kickl – Meinl-Reisinger (21.05 Uhr, Mod.: Wachter). Für die ORF-Info und ihre neue Chefredaktion ist der Wahlkampf nicht nur eine journalistische Herausforderung. Dafür sorgt die stete Erregung in den Parteizentralen. Ein Gespräch mit Johannes Bruckenberger, der im Dezember von der Chefredaktion der Austria Presseagentur zum ORF gewechselt ist und erstmals die Wahlsendungen inklusive "Sommergespräche" verantwortet hat.
KURIER: Die Berichterstattung über die ORF-"Sommergespräche" wurde diesmal nicht von der Räumlichkeit dominiert wie im Vorjahr, sondern es waren die politischen Aussagen. Wie lautete Ihre Bilanz?
Johannes Bruckenberger: Das waren die großen und kritischen Interviews im Vorfeld der Nationalratswahlen. Das Original und die Mutter aller Sommer-Interview-Formate. Martin Thür hat das großartig gemacht. Das waren kritische Gespräche mit Erkenntnisgewinn über die verschiedenen Positionen der Parteien. Das war der Plan, und der ist aufgegangen. Den Bild-Hintergrund lieferte Österreich in Cinemascope. Aber wichtiger als die Form ist immer der Inhalt. Unser Publikum hat die „Sommergespräche“ jedenfalls sehr gut angenommen.
Einer der nicht so glücklich war, war offenkundig FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Er maßregelte Martin Thür schon auf Sendung bei jeder kritischen Nachfrage und warf ihm "unsauberen Journalismus“ vor. Die FPÖ hat nun auch noch eine eigene Plattform für behauptete "Verfehlungen“ im ORF nachgeschoben.
Das ist der Versuch, eine unabhängige Redaktion zu desavouieren und unsere Glaubwürdigkeit zu attackieren. Man kennt solche Desinformationskampagnen gegen den unabhängigen Journalismus ja aus den USA. Faktisch stimmt da meist sehr wenig. Und es ist der Versuch, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Besonders perfid wird es dann, wenn einzelne Journalistinnen und Journalisten namentlich angegriffen werden. Sachliche Kritik ist immer zulässig, wir pflegen intern selbst eine sehr ausgeprägte Fehler- und Diskussionskultur, persönliche Diffamierungen und Desinformation weisen wir mit Nachdruck zurück.
Ständig erhöhte Erregungskurve
Mit dem ORF ein paar billige Punkte im Wahlkampf abzustauben, versucht ja nicht nur die FPÖ.
Wir lassen uns sicher von niemandem in den Wahlkampf ziehen. Wir sind journalistische Beobachter im Sinne der Aufklärung unseres Publikums. Wir werden hier weiter unsere Arbeit machen, mit großer Professionalität und Gelassenheit.
Gelassenheit zu behalten ist allerdings eine Kunst, wenn man schaut, was mitunter auf den Social Media-Kanälen los ist. Da schicken offenbar Parteizentralen den digitalen Mob los.
Interventionen und Beeinflussungsversuche finden ja heute auf offener Bühne statt, sei es via Aussendung oder Pressekonferenzen einzelner Parteien oder durch Partei-Groupies, die in sozialen Netzwerken Druck auf Journalistinnen und Journalisten machen. Wir dürfen uns davon nicht beeindrucken lassen. Wir machen Journalismus ja nicht für die Politik, wir machen das für unser Publikum.
Man kann schon gespannt sein auf die Erregungskurve bei den anstehenden TV-"Duellen". Die ORF-Info geht da ja direkt über von einem ins nächste Wahlkampfformat. Wo sehen Sie den Mehrwert? Die Duelle leiten mit Alexandra Maritza Wachter und Susanne Schnabl abwechselnd zwei Frauen. Warum diese Konstellation?
Diskussionen haben eine andere Dynamik als Interviews: Debatten zulassen, Themen und Informationen einbringen, Fairness herstellen. Susanne Schnabl und Alexandra Wachter werden das hervorragend machen und bringen auch die nötige Erfahrung mit solchen Wahlsendungen mit. Schnabl aus dem ORF, Wachter aus ihrer Tätigkeit bei Puls 4. Und die Frage, warum zwei Frauen, sollte im Jahr 2024 eigentlich keine Frage mehr sein - weil sie es können.
Welche Themen stehen bei den "Duellen" im Mittelpunkt und wie kommt der ORF darauf?
Wir haben im Juli eine Integral-Studie gemacht, mit der wir ermittelt haben, welche Themen den Österreicherinnen und Österreichern unter den Nägeln brennen. Damit wir nicht im luftleeren Raum agieren. Der Auftrag ist Information. Ziel ist aber auch, diese Information so aufzubereiten, dass sich das Publikum das interessiert anschaut und eine gute Grundlage für die Wahlentscheidung bekommt. Natürlich ist Fernsehen immer auch Unterhaltung und natürlich wollen wir, dass viele Menschen zuschauen und zuhören. Aber es ist politische Hardcore-Information, die wir da bieten. Bei uns müssen die Politikerinnen und Politiker keine seltsamen Show-Einlagen liefern. Wir wollen durch glaubwürdige, seriöse, faktenbasierte, unabhängige und ausgewogene Information hervorstechen.
Der aus Bad Goisern stammende Johannes Bruckenberger (56) begann seine journalistische Laufbahn bei der „Salzkammergut Zeitung“, ab 1994 arbeitete er für die Austria Presse Agentur. Zunächst in den Journalen Medien, Bildung, Forschung und im Chronik-Ressort als freier Mitarbeiter engagiert, war er ab 1998 Medienredakteur.
Im Jahr 2000 wurde Bruckenberger Chef vom Dienst und 2004 stellvertretender APA-Chefredakteur. 2016 übernahm er die Leitung des Innenpolitik-Ressorts, 2019 folgte die Berufung zum Chefredakteur der APA.
Von 2005 bis 2015 war Bruckenberger zudem Lehrbeauftragter an der Universität Wien sowie an diversen Fachhochschulen. Er ist ferner Mitbegründer und Vorstandsmitglied bei der Initiative für Qualität im Journalismus. 2019 und 2022 wurde er zum „Chefredakteur des Jahres“ gekürt.
Quote keine Frage der Reihenfolge
Im Vorfeld gab es große Aufregung bei der SPÖ, weil Andreas Babler, obwohl Vorsitzender der zweitgrößten Parlamentspartei, nicht das Schluss-"Duell" gegen Bundeskanzler Karl Nehammer bestreitet. Stattdessen geht es für den gegen Herbert Kickl. Das brachte dem ORF und Ihnen selbst den Vorwurf, sie hätten damit einen ÖVP-Wunsch erfüllt.
Das ist Unsinn. Wir haben keinen parteipolitischen Wünschen nachgegeben. Weder von der ÖVP, noch von der FPÖ, aber auch nicht von SPÖ, Grünen oder NEOS. Das ist kein Wunschkonzert. Die Reihenfolge der Konfrontationen war eine unabhängige Entscheidung der Chefredaktion in Abstimmung mit dem für die Information zuständigen Generaldirektor. Die Basis dafür waren journalistische Kriterien. Übrigens – die Geschichte der TV-Konfrontationen im ORF zeigt, die höchsten Reichweiten wurden nicht immer am Schluss erzielt und waren meist unabhängig von der Reihenfolge.
Welche Kriterien?
Die letzte Zweier-Konfrontation findet zwischen dem in allen Umfragen seit Monaten führenden FPÖ-Chef und dem amtierenden Bundeskanzler statt. Die Entscheidung berücksichtigt auch das Ergebnis der EU-Wahl am 9. Juni – FPÖ vor ÖVP und SPÖ. Und die Entscheidung spiegelt auch die im APA-Wahltrend zusammengefassten Umfragen wider, die ein ähnliches Stimmungsbild zeigen. Außerdem: SPÖ-Chef Babler diskutiert am letzten "Duelle"-Abend um 20.15 Uhr und damit in der Stunde davor mit NEOS-Chefin Meinl-Reisinger. Journalistisch gesehen ist auch das eine spannende Paarung, weil man hier die Positionen zweier möglicher Koalitionspartner einer nächsten Regierung hören und sehen kann.
War es naiv zu glauben, dass die SPÖ es einfach schluckt, wenn, wie es deren Mediensprecherin Muna Duzdar formulierte, „plötzlich die bisherige Praxis geändert wird“?
Naivität gehört eher nicht zu meiner Job-Description - ebensowenig wie es allen recht machen zu wollen. Die Kritik, „weils oiwei scho so woa“, überzeugt mich als Gegenargument nicht wirklich. Außerdem stimmt es nur bedingt, da man ja auch in der Vergangenheit schon von der bisherigen Praxis abgewichen ist; 2019 gab es eine Relevanzstudie, um zu begründen, warum die Grünen als nicht im Parlament vertretene Partei an den Wahldiskussionen teilnehmen. Und 2002 nahm der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel als dritter der Wahl 1999 am letzten TV-Duell teil, wie dieser Tage in einer Zeitung zu lesen war.
Ist das nur der Nervosität der Parteien geschuldet und damit als Sturm im Wasserglas abzuhaken?
Die ORF-Information liefern eine umfassende und ausgewogene Berichterstattung zur Nationalratswahl. Es gibt allein 26 Sendungen, in denen sich die Spitzenkandidatinnen der im Parlament vertretenen Parteien der Diskussion stellen, von den Sommergesprächen über die TV-Duelle und die sogenannte "Elefantenrunde“ bis hin zu eigenen großen Interviews in Sonderformaten der Ö1-Journale. Dass es Aufregung um einen dieser 26 Sendeplätze gibt, ist wohl in erster Linie dem Wahlkampf geschuldet. Oberste Prinzipien der ORF-Berichterstattung sind Unabhängigkeit, Ausgewogenheit, Objektivität und Äquidistanz. Wie in der Vergangenheit auch, wird sich der ORF selbstverständlich an alle gesetzlichen Bestimmungen halten. Nochmals: Wir sind nicht Teil dieses Wahlkampfes, wir werden uns da nicht reinziehen lassen.
Fehler bei Wikipedia
Um nach FPÖ und SPÖ auch noch die ÖVP mit Kritik am ORF zu nennen – die Schwarzen kritisierten wie die Blauen die Vergabe der Hochrechnungen am Wahlabend an Foresight. Dabei handelt es sich um den Sora-Nachfolger, der ohne dessen einstigen Chef Günther Ogris auskommt, der der SPÖ ein Strategiepapier unterbreiten wollte und einen Email-Irrläufer produzierte.
Foresight war Bestbieter in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren. Sowohl was die Qualität der angebotenen Dienstleistungen als auch den Preis betrifft. Für uns und unser Publikum ist wichtig, dass wir Hochrechnungen und Wahlforschungsergebnisse in der bestmöglichen Qualität anbieten können. Christoph Hofinger verfügt über eine exzellente Expertise und gilt neben Franz Sommer als der Hochrechner schlechthin. Hofinger lebt unser Wertesystem von Objektivität und Äquidistanz und hat unser volles Vertrauen.
Wenn jemand Mitglied der Chefredaktion in der ORF-Info wird, wie Sie im Dezember, ist klar, dass Google und Wikipedia bemüht werden. Bei Wikipedia steht ein Eintrag, der bei strittigen Entscheidungen sofort die Runde auf Social Media macht, Sie seien Mitglied im Präsidium des Friedrich Funder Instituts, der ÖVP-Medienschule.
Dieser Eintrag stimmt schon lange nicht mehr. Richtig ist, ich wurde Anfang der 2000er-Jahre von Der Journalist-Chefredakteur Gerald Freihofner und WirtschaftsfBlatt-Vize-Chefredakteur Engelbert Washietl gefragt, ob ich dort mitmachen würde. Mitmachen bedeutete Planung und Moderation von Podiumsdiskussionen zu Medienthemen und Vorträge über Agenturjournalismus und die unabhängige APA vor Schülerinnen und Schülern. Ich habe das ehrenamtlich und in Abstimmung mit meinen Vorgesetzten in der APA gemacht. Ich war nie Mitglied einer Partei. Vor einiger Zeit habe ich mich dort zurückgezogen, weil es sich in einem zunehmend polarisierten politmedialen Umfeld für mich als unabhängigen Journalisten nicht mehr stimmig angefühlt hat, dort dabei zu sein. Ich bin stattdessen Mitglied beim Wiener Sport-Club geworden. Der entsprechende Wikipedia-Eintrag ist also nicht aktuell. Ich selbst habe mich immer im Team faktenbasierter, unabhängiger Qualitätsjournalismus gesehen und zugleich versucht, meine Rolle objektiv, ausgewogen, äquidistant und kritisch anzulegen. Berichten, was ist. Diesem Wertesystem werde ich weiter treu bleiben.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie gefragt wurden?
Das ist ja die eigentliche Pointe an der Geschichte. Ich habe 1998 von den vom Funder Institut veranstalteten Wachauer Journalistentagen als Medienredakteur berichtet. ÖVP-Vorstandsmitglied und EU-Abgeordnete Ursula Stenzel hat dort frei von der Leber erzählt, dass ÖVP und FPÖ bei der Wahl des ORF-Generalintendanten den damaligen Finanzchef und Schüssel-Vertrauten Peter Radel zum ORF-Chef wählen wollen. Die beiden Parteien hatten auf dem Papier eine Mehrheit im ORF-Kuratorium. Gemeinsam mit der FPÖ plane man eine „Wende“ im ORF, so Stenzel. Die entsprechende APA-Meldung hat wohl mit dazu geführt, dass dann doch der von der SPÖ unterstützte Gerhard Weis ORF-General wurde, damals zum letzten Mal in geheimer Abstimmung und mit Unterstützung unabhängiger bürgerlicher ORF-Kuratoren, die nach den Stenzel-Aussagen ins Weis-Lager gewechselt sind. Freihofner, der das Funder Institut sehr unabhängig geführt hat, gefiel das und schätzte meine Expertise.
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