US-Reporter Hersh: "Sache mit Trump hat alle verrückt gemacht"

US-Reporter Hersh: "Sache mit Trump hat alle verrückt gemacht"
Aufdeckerjournalist Hersh hat einige der größten Skandale rund um Vietnam, CIA und Irak recherchiert. Seine Memoiren sind da.

„Ich habe Feinde“, sagt Seymour Hersh. „Ich mag das nicht. Aber es ist Teil des Spiels.“

Die Feinde von Hersh sind noch dazu unter den mächtigsten Menschen der Welt. Der Amerikaner ist einer der ganz großen Aufdeckerjournalisten. Viele seiner Storys haben die US-Regierung, die CIA, aber auch internationale Machthaber in Bedrängnis gebracht.

So hat Hersh als Erster über das Massaker von My Lai berichtet. US-Soldaten haben dort 1968 hunderte vietnamesische Frauen und Kinder getötet. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, bevor sie erschossen wurden. Hersh deckte das zuerst vertuschte Massaker auf, nachdem u.a. die New York Times und die Washington Post die Story liegengelassen hatten.

Ebenso berichtete Hersh, dass die CIA von den 1950ern bis in die Nixon-Ära entgegen ihrem gesetzlichen Auftrag auch innerhalb der USA Spionage betrieb – und zwar gegen Friedensaktivisten und Dissidenten. Auch das war ein innenpolitischer Riesenskandal. Ein weiterer: Hersh berichtete von den Foltern, Vergewaltigungen und Demütigungen der Kriegsgefangenen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib 2003.

Zuletzt wurde er auch ordentlich kritisiert, für Storys zur Tötung von Osama bin Laden und Syrien.

Reporter

Einblicke in dieses außergewöhnliche Journalistenleben bietet nun auch auf Deutsch die autobiografischen Erinnerungen von Hersh. „Reporter“ führt an die Brennpunkte der US- und Weltpolitik seit den späten 1960ern, vorbei an Figuren wie Nixon, Dick Cheney, George Bush sen. oder Henry Kissinger. Und gibt Einblick in ein vergangenes Zeitalter des Journalismus.

US-Reporter Hersh: "Sache mit Trump hat alle verrückt gemacht"

KURIER: Haben Sie jemals um Ihr Leben gefürchtet?

Seymour Hersh: Nein. Aber nicht, weil ich ein besonderer Held wäre. Man darf das einfach nicht. Nur einmal passierte etwas. Als ich über Noriega (Manuel Noriega, in den 1980ern Staatschef von Panama, nach einer US-Invasion entmachtet und wegen Drogenhandels verurteilt, Anm.) schrieb, rief jemand bei mir zu Hause an. Wir hatten eine wunderbare Frau aus El Salvador, die für uns gearbeitet hat. Er erzählte ihr in akzentfreiem Spanisch, wo meine drei Kinder genau zu der Zeit waren. Dass eines im Kindergarten war, um elf am Spielplatz sein würde. Dass mein Sohn um drei Uhr am Nachmittag Fußball spielen würde. Dass mein anderer Sohn bald Pause haben würde. Das war furchtbar.

Was hat Sie denn beim Schreiben Ihrer Autobiografie besonders aufgewühlt?

Ach, das sind die Kapitel über die Familie, über das Erwachsenwerden. Emotionales Teenagerzeug(lacht), mehr als das Berufliche. Das Buch war eigentlich gar nicht geplant. Ich habe ab 2012 vier Jahre lang an einem Buch über (Ex-Vizepräsident, Anm.) Dick Cheney gearbeitet. Aber als ich erste Kapitel meinen Informanten zeigte, sagten die: „Wir werden ins Gefängnis kommen.“ Denn Barack Obama hat Menschen eingesperrt, die Infos leaken, er war sehr hart gegenüber der Presse (Obama ließ Whistleblower verfolgen, eine Reporterin der „New York Times“ musste ins Gefängnis, Anm.). Viel härter als der idiotische Trump, der gar nicht weiß, was geleakt wird, da er nicht liest. Deswegen habe ich dann die Autobiografie geschrieben.

Apropos Quellenschutz: Sie speichern Ihre heiklen Dokumente nicht auf Computern, sondern auf Papier. Warum?

Ich schreibe auf Computern, aber nenne dort niemals die Namen meiner Quellen. Die US-Regierung hat das Recht, alle Telefonnummern zu sammeln. Die Gespräche selbst dürfen sie nicht ohne richterlichen Bescheid abhören, aber natürlich schummeln sie da. Jedenfalls wissen sie, mit wem ich telefoniere. Was ich tue ist: Mit einigen meiner Informanten regelmäßig zu telefonieren. Drei Anrufe pro Woche, über zehn Jahre. Dann reden wir halt über Football. (lacht)

Sie geben in Ihrer Autobiografie Einblicke in die glorreichen Zeiten des Journalismus – als es Geld ohne Ende gab.

Als mein Buch herauskam, nannten mich viele „legendär“ – die dachten wohl, ich bin tot (lacht). Aber dieser Bruch in der Medienlandschaft ist immens. Die Zeitungen sind immer noch sehr gut, wenn es um Soziales oder um die USA geht. Aber dieses internationale Zeug ist halt kompliziert. Und es verkauft sich nicht.

War das aber nicht immer schon so?

Ich habe ein Buch über Henry Kissinger geschrieben, „Price of Power“. Ein Forscher hat gerade in einem Archiv einen 23-seitigen Brief gefunden, in dem sich Kissinger bei der New York Times beschwert, dass die mich unterstützt haben. (lacht) In meinem Kennedy-Buch gibt es ein Kapitel, in dem vier Agenten des Secret Service mit mir über Kennedys Frauengeschichten redeten. Also: Ein Kapitel darüber, 25 Kapitel über Kuba, das Attentat... Für drei Kapitel über Rüstungskontrolle habe ich fast ein Jahr gearbeitet. Ich glaube, niemand hat sie je gelesen. Das Buch war ein Verkaufshit. Aber raten Sie mal, wegen welchen Kapitels. Genau, wegen des Sexzeugs.

Dabei ist die Weltpolitik brutal wie eh und je.

Wenn man objektiv draufsieht: ja. Wir ziehen jetzt die Regierung in Venezuela in Zweifel. Wir haben lange Jahre ISIS unterstützt, weil wir Bashar al-Assad gehasst haben, so wie wir Russland hassen. Ich mochte Obama in seiner ersten Amtszeit, aber nicht in seiner zweiten. Denn er hat nichts von dem getan, was er hätte tun können. Als Russland 2015 in Syrien eingriff, war Assad in Schwierigkeiten. Obama hat damals gesagt, Russland wird in genau so einen Schlamassel kommen wie wir damals in Vietnam. Aber Russland hat es mit 40, 50 Fliegern erledigt. Die sind rund um die Uhr geflogen. Wir hätten erstmal eine große Armeebasis gebaut, mit einem McDonald’s und einer Bowlingbahn. (lacht)

Ist der Journalismus tot?

Darüber zerbreche ich mir den Kopf. Die New York Times hat früher zweieinhalb Kilo gewogen, die dickste Ausgabe hatte 1474 Seiten.

Das ist ein Scherz, oder?

1474 Seiten. Für alternative Sichtweisen gibt es heute keinen Platz mehr in den Zeitungen.

Welche zum Beispiel? Es gibt ein faszinierendes Gegenargument dazu, dass die Russen die US-Wahl beeinflussten, dass sie für Trump gewonnen und Hillary geschlagen haben. Aber der Hass auf Putin in der amerikanischen Presse ist groß – er erreicht meiner Meinung nach irrationales Niveau. Diese Sache mit Trump hat alle verrückt gemacht.

Ein US-Präsident, der von den Russen abhängig ist, ist schon eine gute Story.

Aber auch die amerikanischen Geheimdienste haben nie gesagt, dass sie wissen – wirklich wissen –, dass Russland die Wahl beeinflusst hat. Sie sagen: „Wir haben große Überzeugung.“ Das haben wir doch damals vor dem Irak-Krieg schon auf harte Art gelernt: Als Bush und Cheney nach dem 11. September ganz schnell von Afghanistan auf den Irak umgeschwenkt sind – der war schließlich immer das Ziel –, haben sie gesagt: „Es gibt dort Massenvernichtungswaffen.“ Aber es gab keinen Beweis. Und es war nicht so.

Und dasselbe passiert jetzt wieder. Clinton hat die Wahl nicht verloren, weil die Russen irgendwelches unverschlüsseltes Zeug von einem Gmail-Konto ausgelesen haben. Jeder Hacker schafft das in drei Sekunden.

Gab es eigentlich eine Geschichte, die Sie nicht auf den Boden gebracht haben, bei der Sie aber sicher sind, dass etwas da war?

Ja. Als ich über die Inlandsspionage der CIA geschrieben habe. Die taten viel mehr. Damals waren sie überzeugt, dass Russland uns in einem voraus war: Dass die Russen Drogen verwenden würden, um perfekte Killer zu erschaffen, die blind töten, ohne Reue. Ich habe einiges darüber gehört, was wir in dieser Beziehung tun – aber es nie geschrieben. Es ging darum, schwarze Führungsfiguren zu stoppen, die verdächtig wurden, für die Kommunisten zu arbeiten. Sie haben Unterlagen vernichtet, ich konnte sie nicht finden. Aber ich wusste, dass es wahr war.

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