Der rätselhafte Apfelbaum

Gustav Klimts „Apfelbaum II“: Das Gemälde, um 1916 entstanden, dürfte allem Anschein nach der Familie Lederer gehört haben. Es wurde aber an die Erben nach Nora Stiasny restituiert
Es geht um Millionen: Klimts "Apfelbaum II" dürfte 2001 an die falsche Familie restituiert worden sein.

Gustav Klimts "Apfelbaum II" war unbestritten NS-Raubkunst. Am 10. Oktober 2000 empfahl der Kunstrückgabebeirat daher, das Bild zu restituieren – an die Erben nach Nora Stiasny. So geschah es auch. Doch nun tauchen erhebliche Zweifel auf. Allem Anschein nach wurde das Gemälde an die falsche Familie ausgefolgt. Denn es gehörte wohl nicht Nora Stiasny, sondern August Lederer.

Der rätselhafte Apfelbaum
Gustav Klimt: Apfelbaum II 1916 Öl auf Leinwand 80 x 80 cm Privatbesitz
Der Publizist Hubertus Czernin, gestorben 2006, war der erste, der über "Apfelbaum II" berichtete. Am 18. November 1999 beschrieb er im Standard, wie Nora Stiasny nach dem "Anschluss" genötigt war, ihr Hab und Gut zu verkaufen. Zu den Kunstwerken, die sie zu Geld machte, gehörte auch "ein Bild namens Apfelbaum". Dieses überließ sie einem Kaufmann namens Frey für 395 Reichsmark. Bald darauf begann sich Gustav Ucicky, "seit 1933 förderndes Mitglied der SS und in Berlin tätiger Ufa-Vertragsregisseur", für das Gemälde zu interessieren: Er dürfte, behauptete Czernin, "schon bald von Frey den ‚Apfelbaum‘ erworben haben".

Nora Stiasny wurde zusammen mit ihrer Mutter Amalie Zuckerkandl im Vernichtungslager Belzec ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg vermachte Gustav Ucicky der Österreichischen Galerie mehrere Klimt-Gemälde, die er in der NS-Zeit in seinen Besitz gebracht hatte, darunter, so Czernin, den "Apfelbaum". Der Regisseur starb 1961, die Bilder kamen danach ins Belvedere.

Im weiteren Verlauf des Artikels unterstellte Czernin, dass man in der Nachkriegszeit "Spuren" verwischt habe, die zu den rechtmäßigen Eigentümern, eben den Stiasnys, führen. Die Provenienzangabe zum "Apfelbaum" im Klimt-Werkkatalog von Fritz Novotny und Johannes Dobai sei falsch: Dieses Gemälde habe "nicht zur Sammlung der Mäzene August und Serena Lederer gehört".

Am 18. März 2000 beschäftigte sich Czernin nochmals mit der "NS-Geschichte von ‚Apfelbaum II‘, der – auch wenn er bisher der Sammlung Lederer zugeordnet wurde – Nora Stiasny gehört hatte": Nach Ansicht von Monika Mayer, der Provenienzforscherin des Belvedere, falle das Bild "eindeutig" unter Paragraph 1 des Kunstrückgabegesetzes.

Die falsche Spur

Man war nach dem Ende des Dritten Reiches sicher eifrig im Verwischen von Spuren. Doch in diesem Fall legte Czernin eine falsche Spur – indem er aus "Apfelbaum" flugs "Apfelbaum II" machte. Gustav Klimt malte mehrfach Apfelbäume, darunter den "Goldenen Apfelbaum" (dieses Werk wurde 1945 von der SS verbrannt) und den "Apfelbaum I", der bis zur NS-Zeit Ferdinand Bloch-Bauer gehört hatte. Dessen Nichte Maria Altmann erhielt das Gemälde erst 2006 zurück – zusammen mit der "Goldenen Adele". Es wurde im gleichen Jahr um 40,3 Millionen Dollar (damals 31,6 Millionen Euro) versteigert.

Um plausibel zu machen, dass "Apfelbaum II", der den Lederers gehört hatte, an die Stiasny-Erben zu restituieren sei, hatte Mayer in ihrem Dossier die bisherige Provenienz (eben Lederer – Ucicky) ohne stichhaltige Beweise, wenn auch mit zwei Fragezeichen, erweitert: Lederer – StiasnyFreyUcicky.

Ihr kamen aber im Februar 2001, vier Monate nach der Beiratsempfehlung, das Bild an die Stiasny-Erben zu restituieren, erhebliche Zweifel. Sie informierte Gerbert Frodl, den Direktor der Österreichischen Galerie, dass sie auf Unterlagen gestoßen sei, "die die Vermutung zulassen, es könnte eine weitere Version des Motivs ‚Apfelbaum‘ von Gustav Klimt existiert haben bzw. existieren". Sprich: "Apfelbaum II" sei nicht das Bild, das Nora Stiasny gehört habe.

Die Beschwichtigung

Mayer regte an, eine externe Person mit zusätzlichen Recherchen zu beauftragen. Der von ihr in Kenntnis gesetzte Ernst Bacher, Leiter der Kommission für Provenienzforschung, fragte bei Frodl nach. Doch der Direktor beschwichtigte Bacher im Juli 2001: Er habe mit Erhard Stöbe, dem Leiter der Restaurierabteilung, das Bild "Apfelbaum II" nochmals überprüft und mit den Angaben von Nora Stiasny aus 1939 verglichen. Stöbe hatte bereits am 9. Oktober 2001 (am Tag vor der Beiratsempfehlung) bestätigt, dass es sich bei dem von ihm begutachteten Bild das "immer schon unter dem Titel ‚Apfelbaum II‘ bekannte Gemälde handle": Es "sei in keinen Teilen übermalt oder verunklärend nachmanipuliert".

Und nun lautete Frodls Ergebnis: Es spreche alles dafür, "dass es sich tatsächlich um ein und dasselbe Bild handelt". Das Werk wurde daher im November 2001 an den Rechtsvertreter der Stiasny-Erben ausgefolgt.

Doch wenn man sich das Schriftstück aus dem Jahr 1939 genau durchliest, kann der "Apfelbaum", der Nora Stiasny gehörte, unmöglich der "Apfelbaum II" sein. Erstens, weil Stiasny das Werk nicht von den Lederers (auch nicht über Umwege) bekam: Sie gab an, dass sie den "Apfelbaum" von ihrem Bruder geschenkt bekommen habe, und dieser hätte das Bild von Klimt selbst geschenkt bekommen. Möglicherweise ist es aus diesem Grund in kein Werkverzeichnis aufgenommen worden?

Weitere Widersprüche

Zudem wird in dem Schreiben, das die Verkaufsbemühungen von Nora Stiasny genau schildert, ein Restaurator zitiert: An einer Ecke erscheine das Bild durch "eine andere als Klimts Hand" ergänzt, der Farbauftrag sei "dort ganz flach und nicht so pastös wie im übrigen Bilde". Es kann sich daher nicht um das Bild behandelt haben, das Stöbe untersuchte. Warum behauptete Frodl, dass sich die Angaben zu Stiasnys "Apfelbaum" mit jenen zu "Apfelbaum II" decken würden?

Und schließlich: Acht Monate nach dem Verkauf des Bildes an den Kaufmann Adolf Frey bekundete tatsächlich Ucicky Interesse. Er besichtigte das Werk – und musste feststellen, dass dieses doch nicht, wie er angenommen hatte, der "Goldene Apfelbaum" ist: "Es sei bestenfalls eine unfertige Vorstudie dazu." Ucicky "verzichtete sogleich auf den Kauf, auch für weniger wollte er es nicht haben, und von dort hat man nichts mehr wieder gehört."

Sollte sich der Verdacht der Restitution an die falschen Erben bewahrheiten, stellen sich mehrere Fragen: Warum wurde der Beirat hinters Licht geführt? Hatte jemand ein Eigeninteresse? Wer war Nutznießer? Was passierte mit "Apfelbaum II", das seit der Rückgabe offiziell nicht versteigert wurde? Wer wird zur Verantwortung gezogen? Und wie geht man mit den Lederers um, die Anspruch auf das Bild haben?

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