Gebührendebatte: Wofür wir künftig zahlen wollen

Eine ORF-Kamera und das Money-Maker-Symbol
In der Schweiz wird morgen über die Zukunft der Fernsehabgabe abgestimmt. Die Gebührendebatte flammt auch in Österreich wieder auf – und wird verkürzt und wenig zukunftsorientiert geführt.

  • 16,78 Euro gehen von jedem Menschen, der GiS zahlt, Monat für Monat an den ORF. Es sind die vielleicht am heißesten diskutierten 16,78 Euro des Landes. (Info wie sich die Gebühren zusammensetzen und warum man mehr zahlt, als der ORF bekommt)
  • Die Angriffe der FPÖ, der Politeinfluss auf den ORF, private TV-Alternativen, Facebook und aktuell eine Schweizer Abstimmung über die Abschaffung von TV-Gebühren sorgen für schlechte Stimmung gegen die Gebühren.
  • Der Wegfall der Gebühren würde jedoch ein Kahlschlag österreichischer Film- und Serienproduktion sein.
  • Auch der Medienkonsum wandelt sich. Die Frage ist, wie man künftig österreichische Inhalte so fördern kann, dass sie die Seher erreichen. Das würde einen reformierten ORF und eine reformierte Gebührenstruktur erfordern.

In der Schweiz wird über die dortige TV-Gebühr morgen abgestimmt. Die Abstimmung sticht in eine aufgeregte Zeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Der steht in mehreren Ländern unter Beschuss wie schon lange nicht mehr, aus mehreren Gründen, die alle zusammenspielen: Politische und gesellschaftliche Veränderungen, das Erstarken medialer Alternativen und Veränderungen im Konsumverhalten.

Politisch hat sich etwas getan: Die Rechtspopulisten sind an der oder nahe der Macht. Damit hat ihre traditionell lautstarke "Staatsfunk"-Rhetorik mehr Gewicht als früher. Noch dazu, da sich mit Kritik an Politikeinfluss und "Zwangsgebühren" in der mittelalten und älteren Generation, die auf Facebook ist, rasch Zustimmung und Likes generieren lassen. Empörung teilt sich dort besonders gerne, und Gebührenzahler aller politischen Lager hegen Problemgefühle in Richtung des Öffentlich-Rechtlichen.

Politischer Zugriff

Der Missmut wurzelt vor allem im Politikzugriff auf den ORF die dazugehöirgen Schmähbegriffe: "Staats-", "Regierungs-" oder "Rotfunk"). Der Würgegriff der Politik ist allgemein bekannt (mehr dazu lesen Sie im Sonntags-KURIER). Und begleitete die gesamte Geschichte des Senders – bis auf eine verschwindend kurze Zeit nach dem Rundfunksvolksbegehren. Jede neue Regierung seither führte die Entpolitisierung ins Spiel – und griff dann nur umso härter beim ORF zu.

Die Rechtspopulisten hatten es besonders schwer mit dem öffentlich-rechtlichen: Ihre Positionen kamen dort jahrelang kaum vor. Und strukturell sind sie, zumindest in Österreich, ganz real benachteiligt gewesen.

Das Match um den ORF machten sich traditionell die Roten (meist auf der Siegerseite) und die Schwarzen aus, die Blauen mussten bei der politischen Postenvergabe großteils zuschauen. Es ist (auch) Folge einer jahrzehntelangen Kränkung, dass die nun an die Macht gekommenen Blauen bei der politischen Neuvergabe von Jobs eifrig mitmischen, sich plump in die Berichterstattung einmischen und darüber hinaus noch mit der Abschaffung der Gebühren Likes abholen wollen.

Alternative Fakten

Weiters findet der Gebührenzahler auf den Social-Media-Plattformen plötzlich jene Art von Nachrichten, die seine Meinungen im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung bestätigt. Dieses Gefühl, plötzlich über "wahrheitsgetreue" alternative Newsquellen zu verfügen, senkt die emotionale Bereitschaft zum Gebührenzahlen für News-Interessierte.

Auch in der Unterhaltung scheinen die Öffentlich-Rechtlichen längst von der Zeit überholt: Ein zunehmendes Angebot an Alternativen – Privatfernsehen, Streamingdienste – suggeriert, dass ein ähnliches oder ausreichendes Medienangebot auch gratis oder, im rechtspopulistischen Spin, "zwangsfrei" zu haben sein könnte. Außer Acht gelassen wird dabei vieles. Insbesondere: Von der Erfüllung eines auch nur annähernd flächendeckenden, auf Österreich fokussiertem Qualitätsprogramm sind die privaten Sender meilenweit entfernt.

In der jungen Generation verändert sich das Medienkonsumverhalten überhaupt radikal. Aus der Perspektive eines Smartphone-gewöhnten Teenagers scheint der Gedanke an einen kostenpflichtigen Fernsehender, der die selben Serien (ORFeins) oder die selbe Musik (Ö3) spielt wie der Rest vom Internet, geradezu absurd.

Und auch die Reibungshitze, die zwischen Politik und ORF entsteht: Es könnte nicht egaler sein, welchen Polit-Spin die Nachrichten um 19.30 Uhr oder 22.00 Uhr haben, wenn man seine Info überall anders herbekommt.

Wie sehr hier die Politik eigentlich nur noch mit sich selbst, jedenfalls an der Lebenswelt der Jungen vorbei kämpft, ist zu den Politikern noch nicht durchgedrungen. Die Bereitschaft zum Gebührenzahlen erhöht das bei den Jungen nicht.

Sich über das ORF-Programm zu beschweren, ist des Österreichers liebstes Hobby. Es herrscht dabei ein diffuses, aber vehement vorgetragenes Meinungsbild über die qualitativen Ansprüche, die die öffentlich-rechtlichen Sender gefühlt nicht mehr erfüllen, Stichwort Kulturauftrag. Dass der ORF-Programmauftrag etwa auch Unterhaltung beinhaltet, ist den Wehklagern weniger bewusst. Und auch, was alles vom ORF produziert wird – und dass es hierfür derzeit keine Alternative gibt.

Verkürzte Debatte

In einem solchen Gesamtklima brechen Gebührendiskussionen natürlich leicht aus – und werden, wie in der Schweiz, mit Unterstellungen und Zerrbildern geführt.

In der Schweiz dürfte das morgige Ergebnis trotz allem – so weit man heute noch Abstimmungen voraussagen kann – für die Beibehaltung der Gebühren ausfallen.

In Österreich hingegen ist die ORF-Diskussion auf Gebühren und Politeinfluss verkürzt. Und lässt viele Aspekte außer acht, auf die die ORF-Mitarbeiter gerne hinweisen: Es gibt sie ja, die Qualität (Ö1, FM4, ORF3). Ohne ORF würden viele heimische Produktionen – Filme, Serien, Shows – nicht entstehen. Der ORF ist wichtig für die Gesamtidentifikation der Österreicher, auch für die Sprache.

Vor allem der letzte Punkt weist aber direkt auf die eigentlich entscheidende Frage hin: Wofür nämlich angesichts all dessen künftig Gebühren gezahlt werden sollen. Eine der Gründungsaufgaben des ORF ist eben diese Identifikation gewesen: Wenn vom Boden- bis zum Neusiedler See das gleiche Programm geschaut wird, ist das immens gemeinschaftsbildend. Nur ist genau das schon längst nicht mehr der Fall: Die Österreicher schauen nicht mehr dasselbe.

Zwar erreicht der ORF mit manchen Programmen Marktanteile von 50 Prozent und mehr. Doch verleitet diese für Werber spannende Kategorie zu einem Missverständnis: Dann schauen nicht 50 Prozent der Österreicher zu, sondern 50 Prozent der Fernsehenden. Nimmt man die Reichweite in der Bevölkerung, ergibt sich ein ganz anderes Bild: Wenn diese 20 Prozent überschreitet, ist es heute schon sensationell. Die "Zeit im Bild" am Donnerstagabend sahen 15 Prozent der Österreicher. 85 Prozent sahen sie nicht. Im Allgemeinen erreicht die Zeit im Bild fast 50 Prozent der Über-50-Jährigen. Aber nichteinmal 20 Prozent der 12- bis 29-Jährigen. Dennoch: Die gesamte Fernsehnutzung ist anhaltend hoch, die Dauer nimmt zu, auch die Quoten der ORF-Information stiegen zuletzt.

Immerhin 3,5 Millionen Österreicher erreicht das ORF-Fernsehen am Tag. 1991 waren es 4,4 Millionen.

Dass es, wie auch suggeriert wird, keinen Bedarf am ORF und seinen Inhalten geben soll, ist fern jeder Wahrheit. Dennoch: Die Frage, wie Gebühren künftig legitimiert werden können – auch gegen das Argument, dass der ORF zum normalen Pay-TV wird, das nur von den wirklichen Konsumenten bezahlt wird –, wird sich neu stellen.

Identifikation

Dabei ist ein verbindendes Medienangebot heute vielleicht dringender nötig denn je: Dass die Gesellschaft auseinanderdriftet, ist spürbar und gut belegt. Immer wieder taucht daher die Idee auf, dass nicht ein Sender, sondern österreichische Inhalte subventionsgefördert werden sollen (derzeit erhält der ORF 600 Millionen Euro im Jahr), die dann auf den verschiedensten Plattformen (Privatsender, Internet, ORF) an so viel Publikum wie möglich gebracht werden sollen.

Das würde eine ordentliche Reform der ORF-Struktur mit sich bringen; der ist u.a. mit seiner großen Technik noch auf Monopol-Vollproduktionsbetrieb hin organisiert. Keineswegs zwingend ist auch, die Filmförderung derart eng an den ORF zu binden. Für eine Auflösung der Monopolfunktion, die der ORF bei Film- und Fernsehproduktion sowie auch für heimische Musikkarrieren de facto noch ausübt, wären nicht wenige Schauspieler und Musiker durchaus auch dankbar.

Dass aber Gebühren für österreichisches Programmangebot notwendig sein werden, darüber braucht man sich nicht hinwegtäuschen. Es wird auch dem sendungsbewusstesten Milliardär einmal die Lust daran vergehen, heimisches Programm aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Und ein Abdrehen der Gebühr hätte verheerende Folgen für die heimische Bewegtbildproduktion. Der hilft, angesichts der Kleinheit Österreichs, kein freier Markt. Und wie viel Österreich bei internationalen Koproduktionen überbleibt, sah man etwa bei "James Bond".

Wer sich über die ORF-Gebühr ärgert, hat eine einfache Alternative: Ohne Fernsehapparat zahlt man auch keine GIS. Beziehungsweise kein TV-Entgelt: Gibt man den Fernseher weg und meldet das beim GIS, spart man 12,61 Euro pro Monat.

Das ist nicht die ganze GIS: In der ist auch noch das Radioentgelt (4,60 Euro) enthalten. Das abzumelden ist ein wenig heikler: Man wird überrascht sein, wie viele Geräte ein Radio (mit-)enthalten. Also vielleicht lieber weiterzahlen und Ö1 oder FM4, zwei Garanten der ORF-Qualität, guten Gewissens hören.

Gebührendebatte: Wofür wir künftig zahlen wollen
FILE PHOTO: The Netflix logo is pictured on a television remote in this illustration photograph taken in Encinitas, California, U.S., on January 18, 2017. REUTERS/Mike Blake/File Photo GLOBAL BUSINESS WEEK AHEAD SEARCH GLOBAL BUSINESS 16 OCT FOR ALL IMAGES

Bewegtbild jedoch kann man dann noch am Laptop oder Computermoniter konsumieren. Vorsicht: Wenn der Rechner eine DVB-T-Empfangseinheit hat, dann fallen wieder Fernsehgebühren an. Konsumiert man Fernsehen aber ausschließlich über das Internet, schaut man gebührenfrei.

Streaming

Und ist mitten in der schönen neuen Streamingwelt. Anbieter wie Netflix oder Amazon bieten Serien, Filme, Talkshows und mehr – für eine monatliche Abogebühr. Dort gibt es sogar – in homöopathischen Dosen – österreichischen Content: "Die Vorstadtweiber" oder "Vier Frauen und ein Todesfall" auf Netflix etwa.

Viele Privatsender (auch die heimischen) haben Mediatheken, in denen ein Großteil des Programmes legal und gratis abzurufen ist.

Eine größere Abwägungsherausforderung ist der Umgang mit dem ORF-Angebot im Internet: In der TVthek kann der allergrößte Teil auch des ORF-Programmes gänzlich gebührenfrei via Streaming konsumiert werden.

Wobei sich aber dann die Frage stellt, warum man einerseits ORF konsumieren, andererseits keine Gebühren zahlen will. Das hat dann doch etwas von Gratisesser.

Auch viele heimische Kinofilme kann man auf einer gemeinsamen Online-Plattform der Kinobetreiber (gegen Entgelt) anschauen (muss sich dabei aber bewusst sein, dass viele davon vom ORF kofinanziert sind).

Schwierig wird es aber für Nachrichten- und Sportinteressierte. Zwar gibt es viel davon im (Bezahl-)Fernsehen. Doch wer wissen will, worüber sich die Politik (und der Nachbar) gerade wieder aufregen, der braucht den ORF.

Fernsehgebühren

Die seit Monaten hitzig geführte Debatte über die Volksinitiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ("No-Billag") entscheidet sich am morgigen Sonntag in den Schweizer Abstimmungslokalen. prägte Land ist sich bewusst, dass insbesondere die an der Gebühr beteiligten lokalen Stationen niemals privatwirtschaftlich rentabel wären. Den Initiatoren geht es um die Abschaffung der "Zwangsgebühren" und der "Zwangsbevormundung der Bürger" (Begriffe, die einem Österreicher bekannt vorkommen). Die Befürworter der Gebühren sorgen sich um die Vielfalt: Neben der öffentlich-rechtlichen SRG (Schweizerische Radio und Fernsehgesellschaft) profitieren auch 34 regionale Radio- und TV-Sender in der mehrsprachigen Schweiz von den Gebühren. Der SRG hat Reformen und eine Senkung der Billag versprochen.

Kampfplatz Internet

Eine neue Front tut sich nicht nur in der Schweiz in diesem Zusammenhang online auf: Dort kollidieren die Interessen der (Zeitungs-)Verleger und der gebührenfinanzierten Sender direkt. Die Online-Angebote der Sender konkurrieren mit den privat finanzierten Medien.

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