Reform: Welchen ORF wollen wir?

Der neu gestaltete Sitzungssaal für die ORF-Publikums- und Sitiftungrätesitzungen
Alle sind einig, dass der Sender entpolitisiert gehört. Aber wäre das das Ergebnis einer Reform?

Am ORF kann man ganz viel über dieses Land lernen. Der öffentlich-rechtliche Medienkoloss ist seit Jahrzehnten politischer Zankapfel, Emotionsblitzableiter für die Bevölkerung, Identitätsstifter und ein träger Nachhall davon, wie Proporz-Österreich einst funktioniert hat.

Und alle paar Jahre wieder wird auf der Medienorgel das selbe Lied gespielt, das der dringend notwendigen Reform, die endlich Entpolitisierung bringen werde. Interessanterweise erklingt dieses Lied zumeist nach einem Regierungswechsel: Die "Entpolitisierung" geht verlässlich einher mit einem neuen ORF-Gesetz, das neue, günstige Mehrheiten in den Gremien schafft, und mit Personalwechseln an Schlüsselstellen des Unternehmens. Danach sieht die nunmehr neue Regierung plötzlich Objektivität im ORF, wo vorher keine zu finden war; die neue Opposition aber erkennt schlagartig, wie schlecht die Nicht-Regierung behandelt werde.

Auch im aktuellen Wahlkampf war die Aufregung über den ORF greifbar: Es gab wütenden Protest gegen unliebsame Fragen bei Diskussionssendungen, Peter Pilz sah Grund für eine Millionenklage wegen Nichteinladung, und über den Urlaub von Moderator Tarek Leitner und Christian Kern gab es auch Empörung.

ORF-General Alexander Wrabetz hat alle überfälligen Entscheidungen der ORF-Neustrukturierung in die Zeit nach der Regierungsbildung verschoben.

Welche ORF-Reformen sind denn denkbar?

Dass eine vollständige Entpolitisierung des ORF so wünschenswert wie überfällig wäre, darüber sind sich schnell alle einig. Nach der ersten großen ORF-Reform 1967 – der einzigen, die eine wirkliche Entpolitisierung brachte – wurden Reformen am Küniglberg zwar zumeist als Entpolitisierung verkauft, bedeuteten aber faktisch jedes Mal eine Re-Politisierung. Den gefühlten oder echten Einfluss auf die Berichterstattung lassen sich die Parteien ungern nehmen, auch wenn es Wert ist nachzudenken, wie wahlentscheidend das heute noch ist. "Ohne eine Radikalreform im und um den ORF brauchen die Freiheitlichen nicht in irgendeine Regierung zu gehen", schreibt der frühere ORF-Chefredakteur Walter Seledec ganz offen in der FPÖ-nahen Zur Zeit. "Da würden sie nur verlieren. Das ist eine ernste Warnung!" Ernste Warnung vor totaler Entpolitisierung dürfte das keine sein.

Reform: Welchen ORF wollen wir?

ORF-General Wrabetz (re.) und ÖVP-Stiftungsrat Zach

Ist Gremienreduktion gleich Entpolitisierung?

Publikums- und Stiftungsrat bestimmen die Geschicke des ORF mit. In beiden sitzen offiziell natürlich keine Politiker; der Einfluss der Parteien ist jedoch gegeben, es gibt "Freundeskreise" nach Parteilinien. Die Konstruktion bevorzugt die Kanzlerpartei und sollte dafür sorgen, dass sich die ÖVP auf Dauer die Macht im ORF sichert, spielte dann aber der SPÖ in die Hände. Seither werden Rufe nach einer Verkleinerung der Gremien laut – was aber an der Parteienbeschickung nichts ändert.

Wofür noch öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Nachdenkbedarf besteht neben dem politischen Einfluss auch ganz grundsätzlich darüber, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk künftig sein kann und soll. Längst sind die Zeiten vorbei, als die Österreicher gemeinsam ORF-Nachrichten schauten. Privat-TV, Online-Video und viele andere Faktoren knabbern an der Identitätsstiftungsfunktion; jüngst fiel der Marktanteil von ORFeins und ORF2 unter 30 Prozent. Überlegungen darüber, was ein öffentlich-rechtlicher Mediensektor der Zukunft bieten kann, reichen vom Einsatz von Gebührengeldern für öffentliche-rechtliche Inhalte auf Privatsendern bis zu einem ORF, der Content für andere Sender und Onlineplattformen liefert.

A propos: Wie steht es mit den Gebühren?

Ein verlässlicher Garant für Aufregung sind die ORF-Gebühren – wobei sich hier zuletzt manches gewandelt hat bzw. wohl wandeln wird. Denn es ist, dank Internet und Streamingfernsehen, längst nicht mehr selbstverständlich, dass in so gut wie jedem Haushalt ein Fernsehapparat steht. Ein Problem für den ORF, dessen Gebühreneinnahmen zu sinken drohen: Denn die Gebühr ist an ein TV-Gerät gekoppelt und Streaming ist ausgenommen. Immer wieder taucht jetzt in der Diskussion zur Zukunft der Gebühr die Haushaltsabgabe auf: Dann zahlt, wie in Deutschland und der Schweiz, jeder Haushalt eine ORF- bzw. Medienabgabe, egal, ob ein TV-Apparat vorhanden ist oder nicht.

Der ORF pocht gerne darauf, dass er ja nicht alles Geld erhalte, das die GIS einhebt: Je nach Bundesland schneiden diverse Landesbudgettöpfe mehr oder weniger mit.

Und wie steht es um den Auftrag des ORF?

Viel Kritik gibt es am Angebot von ORFeins: Mit US-Serien und US-Filmen in der Dauerschleife werde dort ein Programm abgespielt, das mit dem eigentlichen öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF nichts zu tun habe. Was nur zum Teil stimmt: Der Programmauftrag des ORF umfasst neben dem oft zitierten Kultur- und dem Bildungsauftrag auch Sport – und Unterhaltung. Trotzdem regen ORFeins und Ö3 die private Konkurrenz mit guten Gründen auf: Hier macht sich der gebührengefütterte ORF genau dort breit, wo Private Geld verdienen könnten. Die empfinden das als unfaire Konkurrenzsituation. Der ORF wiederum hält die konzentrierte Marktmacht der Privaten nach der Übernahme von ATV durch Puls4 dagegen.

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