Der ORF in der Politikfalle

Zum Stiftungsrat: Es war ein Hearing, bei dem niemand etwas hören wollte.
Der 17. August 2006 war ein warmer Sommertag. Im ORF-Zentrum hatte sich der Stiftungsrat versammelt, um einen neuen Chef zu wählen. Zuvor sollten alle Kandidaten angehört werden. 10 Jahre danach – ein Erlebnisbericht.

Soll es ein Hearing, gar ein öffentliches vor der ORF-Wahl geben? Darüber wurde zuletzt diskutiert. Im Jahr 2006 gab es sogar zwei Anhörungen, beide freilich intern. Zunächst durften ich und andere erleben, wie interessiert die ORF-Mitarbeiter bei ihrem Hearing eine Woche vor der Wahl in einem Studio diskutierten – und wie gelangweilt die meisten Stiftungsräte an diesem 17. August 2006 die Prozedur über sich ergehen ließen. Sie hatten ja überwiegend ihre Anweisungen aus den Parteizentralen, für wen sie zu stimmen hatten. Trotzdem haben sich damals einige wirklich unabhängige und in Mediendingen erfahrene Personen um das Amt des ORF-Chefs beworben. Neben mir waren das etwa Rudi Klausnitzer, Medienunternehmer mit ORF-Vergangenheit und Erfolgen im deutschen Privatfernsehen oder Viktoria Kickinger, die kürzlich für das Amt der Rechnungshofpräsidentin kandidiert hat.

Ich hatte 15 Jahre ORF hinter mir, davon die Hälfte im Ausland als Korrespondent in Bonn und Brüssel, dazu knapp sieben Jahre als Geschäftsführer des Nachrichtensenders n-tv in Berlin, ich hatte gemeinsam mit anderen den Sender PulsTV und schließlich eine Agentur für Kommunikation gegründet. Auch mit Rudi Klausnitzer hätten die Stiftungsräte interessante Diskussionen über die Entwicklung der Medien führen können. Aber unsere Erfahrungen haben kaum jemanden interessiert, unsere Pläne für den ORF schon gar nicht. Zugeständnisse an Landeshauptleute oder an das Führungspersonal, das war das Einzige, wonach ich jedenfalls gefragt wurde.

Das neue, schlaue ORF-Gesetz

Aber der Reihe nach: Die Wahl des ORF-Generaldirektors im Sommer 2006 war die zweite, die nach dem neuen, von der schwarz-blauen Regierung verabschiedeten Gesetz ablief. Der vor einem Jahr verstorbene frühere ORF-Generalintendant Gerd Bacher hatte an Formulierungen mitgearbeitet, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die nötige Unabhängigkeit und einen sinnvollen Programmauftrag zurückgeben sollten. Stiftungsräte, die nur ihrem Gewissen verantwortlich sein sollten, waren das Ziel, von dem jeder Österreicher wusste, dass es leider illusorisch war.

Das Gesetz sieht deshalb natürlich keine Fraktionen oder gar Parteigruppen vor, die aber natürlich sofort entstanden. Sie nannten sich „Freundschaftskreise“, als ob in Parteien Freundschaft mehr als ein Gruß sein könnte. Die eigentliche Neuerung aber war, dass ab sofort nicht mehr geheim abgestimmt werden konnte. Während Bacher mehr als einmal seine Wahl der Tatsache verdankte, dass Mitglieder des Kuratoriums – wie es damals hieß – entgegen ihrer Parteiweisung abstimmten, war nun Mut gefragt, eine zuweilen unösterreichische Eigenschaft.

Entsprechend engagiert agierten die Parteien im Sommer 2006. Die Ausgangslage: ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel wollte die Generaldirektorin Monika Lindner wieder gewählt wissen. Nicht so sehr wegen irgendwelcher Erfolge oder gar toller Programmideen – die gab es ja nicht. Nein, Schüssel, der sich für das Funktionieren einer demokratischen Medienlandschaft genau so wenig interessierte wie alle seine Vorgänger – mit Ausnahme von Josef Klaus, der die Reform 1967 zugelassen hatte – wollte das „System Mück“ verlängern und im Zweifel verfeinern.

Werner Mück war der treue Chefredakteur Lindners, aber auch die ÖVP-Spitze, vor allem Klubobmann Willi Molterer, schätzten seine straffe Führung, weil Kritik an der Regierung nicht allzu oft im Fernsehen vorkam. Mück sollte nach Molterers Plan aufsteigen und war als künftiger Informationsdirektor vorgesehen.

Kleiner historischer Einschub: Im Zuge der Gründung von PulsTV im Jahr 2004 führte ich einmal ein Gespräch mit dem SPÖ-Mediensprecher Josef Cap. Als die Rede auf den ORF kam, erwartete ich Caps Kritik am „System Mück.“ Aber ganz im Gegenteil. Cap argumentierte voll seines fröhlichen Zynismus: „Wenn wir wieder den ORF haben, können wir das System weiterführen, ich brauche nur den Mück gegen einen von uns austauschen.“ Selten habe ich so deutlich gehört, wie Parteisekretäre mit dem ORF und mit unabhängigem Journalismus spielen.

Aus Blau wurde Orange

Zurück ins Jahr 2006: Niemand hätte die Regierung an einem Duo Mück/Lindner hindern können, dafür hatte das blau-schwarze Gesetz mit einer klaren Regierungsmehrheit im Stiftungsrat gesorgt. Aber seit die FPÖ explodiert war und Jörg Haiders Neugründung, das orange BZÖ mitregierte, war vieles chaotischer, was Schüssel mit seiner Routine zu nutzen wusste – bis zur ORF-Wahl. Denn noch vor dem Sommer 2006 löste Peter Westenthaler den glücklos agierenden Hubert Gorbach als Nummer 1 des BZÖ ab. Der ehrgeizige Haider-Schüler Westenthaler wäre nur zu gerne auch Vizekanzler geworden, was Kanzler Schüssel aber blockierte. Westenthaler sann auf Rache, die Generalswahl kam gerade recht. Ohne die Stimmen des BZÖ im Stiftungsrat – wie gesagt, Parteipolitik hätte im ORF theoretisch nichts zu suchen – war die Wiederwahl Lindners in Gefahr, was Schüssel aber nicht zur Kenntnis nehmen wollte.

Der bunte Links-rechts-Regenbogen

Gleichzeitig entstand die Idee des „Regenbogens“: Eine Koalition von rechts bis links, von Blau und Orange bis Rot und Grün, sollte Lindner abwählen, Schüssel dadurch schaden und einen anderen Kandidaten ermöglichen. Dass dieser Alexander Wrabetz heißen würde, war anfangs gar nicht sicher. Elmar Oberhauser, vor der Kamera stets bärbeißig, im wirklichen Leben mit vielen Politikern vertraut, versuchte zuvor sein Glück. Susanne Riess-Passer, Schüssels FPÖ-Vizekanzlerin nach 2000 war für ihn, Jörg Haider aber gegen ihn, wie sich Oberhauser heute erinnert. So einigte er sich mit anderen schnell darauf, denjenigen zu unterstützen, der bei keiner Partei auf Widerstand stoßen würde, der allen Jobs, Sendungen oder sonst etwas versprechen würde: Das war Lindners Finanzdirektor Wrabetz, aus blauem Elternhaus, mit rotem Parteibuch und einem grünen Freund, der in den Hinterzimmern gerne Koalitionen schmiedete und auch etwas werden wollte, Pius Strobl.

Ich wusste von den Gesprächen, wusste auch, dass ich mit einigen der Regenbogen-Kombattanten, vor allem aber mit Parteipolitik nichts zu tun haben wollte und suchte das Gespräch mit zwei unabhängigen Stiftungsräten, um ihre Einschätzung zu verstehen: Franz Küberl, damals Caritas-Präsident und Andreas Braun, Swarovski-Manager und Delegierter des Landes Tirol. Beide glaubten an ein knappes Rennen, freuten sich über eine zusätzliche Kandidatur und nominierten mich – und andere – schließlich offiziell.

Also kontaktierte ich der Reihe nach einige Stiftungsräte. Mit Kurt Bergmann, dem Chef des schwarzen Freundeskreises, war das Gespräch einfach. Es gäbe keine Alternative zu Lindner/Mück, diesen Befehl aus der ÖVP-Zentrale hatte er umzusetzen. Freilich machte der erfahrene Medien- und Politikprofi kein Hehl daraus, dass er damit nicht glücklich war. Ihm schien das Team nicht optimal, eine Mehrheit war unsicher. Zur Ehrenrettung des im Jänner verstorbenen Kurt Bergmann ist zu sagen, dass er in den letzten Jahren seines Lebens keine Ruhe gab und viele Initiativen setzte, um den ORF doch noch unabhängig zu machen. Er wusste eben aus eigener Erfahrung, wie wichtig das wäre.

Selten: Unabhängige Stiftungsräte

Bergmanns Problem waren die oben angesprochenen Differenzen zwischen ÖVP-Schüssel und BZÖ-Westenthaler. Und die Tatsache, dass BZÖ-Stiftungsräte wie die Rechtsanwältin Huberta Gheneff das schwarze Dream-Team Lindner/Mück niemals wählen würden. Gheneff war eine Ausnahme im Stiftungsrat, weil sie als erfolgreiche Anwältin wirklich unabhängig war und intern gerne betonte, dass das BZÖ mehr auf sie angewiesen sei als umgekehrt.

Komplizierter war die Lage für den Stiftungsrat Walter Meischberger. Er war vom BZÖ entsandt, offenbarte mir aber bei einem Treffen in Grinzing sein Dilemma: Er sei wie seine Partei gegen das Duo Lindner/Mück, würde aber generell alle seine Entscheidungen mit seinem besten Freund, mit Karl-Heinz Grasser absprechen. Ein Satz, an den ich später, auch zuletzt, in anderem Zusammenhang recht oft denken musste. Immerhin: Der meist lebensfrohe Meischberger interessierte sich als einer der wenigen für meine Ideen im Bereich Online.

Keine Serviette, ein Stück Papier

Da waren die Wahlkampfmanager von Wrabetz schon viel weiter, aber dabei ging es nicht um Sachthemen oder gar um ein besseres Programm. Im März 2012 konnte der KURIER schließlich beweisen, was damals schon vermutet wurde: Es gab einen ganz genauen Pakt zwischen Wrabetz und Westenthaler, nicht auf einer Serviette,wie die Gerüchte lauteten, sondern auf einem DIN-A4-Papier. In Handschrift haben die beiden Männer auf diesem Zettel ein fertiges Personalpaket vereinbart. Dass das nicht einfach war, zeigen die wilden Kritzeleien und falsch geschriebene Namen. Manche Redakteure, die genannt sind, wollen von ihrem Glück nichts gewusst haben, was durchaus glaubwürdig ist. Ausgemacht wurden „drei Direktorenposten für zumindest vier Stimmen des BZÖ.“ Wrabetz meinte später, er „habe keine rundfunkgesetzwidrigen Absprachen getroffen.“ Wenn das kein schlagendes Argument ist. Westenthaler im Jahr 2012 zum KURIER: „Wrabetz hätte damals seine Großmutter verkauft, um ORF-Chef zu werden.“

Vielleicht nicht nur Wrabetz. Denn wie Westenthaler später süffisant im kleinen Kreis erzählte, war am Tag vor der Wahl Monika Lindner bei ihm im Büro in der Innenstadt. Sie sei bereit gewesen, Werner Mück fallen zu lassen und das Direktorium ganz nach Wunsch des BZÖ zu gestalten. Zu spät.

Wenn die Mitarbeiter des ORF, die eine Woche vor der Wahl die Kandidaten zu einem Hearing in ein TV-Studio luden, davon gewusst hätten, wäre es dort anders zugegangen. Aber auch so war diese Befragung wirklich spannend. Es war deutlich zu spüren, dass die Kollegen mehr journalistische Freiheiten und neue Formate wollten, dazu eine transparente Führungsstruktur. Und sicher keine Packeleien mit Parteien.

Ich wähle Sie, wenn ...

Beim Hearing im Stiftungsrat am 17. August herrschte hingegen eine gewisse Langeweile. Die Damen und Herrn wussten ja, was sie zu tun hatten. Da solche Veranstaltungen grundsätzlich höflich ablaufen, durfte jeder 30 Minuten lang seine Ideen vortragen. Ich wollte mehr Information, mehr Eigenproduktionen, einfachere Strukturen, eine Digitalstrategie.

Befremdlich wurde es nach meinem Auftritt. Plötzlich waren zwei Stiftungsräte an meiner Seite, die mir versicherten, dass sie mich wählen wollten. Den einen, Vertreter eines Landes, fragte ich, ob er das denn dürfe. Ja, das habe er eben mit seinem Landeshauptmann ausgemacht. Aha. Der andere nannte noch eine Bedingung: Ein Landsmann von ihm müsse in die Führung kommen. Nett war auch eine ehemalige Spitzenläuferin, die von der SPÖ delegiert war. „Sie haben so schön geredet“, meinte sie zu mir, „ich würde sie so gerne wählen“. „Ja“, meinte ich, „das dürfen Sie doch wohl!“. „Aber nein“, sagte sie, ehrlich bedauernd, „Sie wissen eh, die Partei.“ „Welche Partei?“ fragte ich. „Gehn S’, hören Sie auf, Sie wissen doch, wie es läuft.“

Ja, das wussten auch die Betriebsräte. Die meisten von Ihnen treten parteipolitisch geordnet auf und verfügen in ihren Parteien über großen Einfluss. Aber letztlich war ihnen der eigene Rock immer näher als die jeweilige Partei. Im Jahr 2006 entschieden sich dann auch die schwarzen Belegschaftsvertreter gegen ihre Monika Lindner und für Wrabetz. Sie sind traditionell immer auf der Seite der Sieger, denn da gibt es etwas zu holen, oft für die Mitarbeiter, immer wieder aber für sich persönlich, wie jeder aus der ORF-Geschichte weiß.

Interessant war dann noch ein Gespräch mit Kurt Bergmann. Er kam nach dem Hearing, meinte die ÖVP würde mich vielleicht wählen, wir müssten aber ein Team vereinbaren. Aber das stehe doch ganz anders im ORF-Gesetz, meinte ich, worüber wir uns schnell einig waren. Auch darüber, dass ich ohne Wahlversprechen wohl nicht wählbar sei.

Viele neue Jobs

Wrabetz wurde gewählt, ein Stiftungs-Arzt durfte noch öfter im ORF auftreten, auch anderen wurde eine Freude gemacht, der grüne Pius Strobl bekam eine feine Anstellung, das Wrabetz-Westenthaler-Personalpaket wurde teils abgearbeitet, eine große Programmreform wurde angekündigt, verschoben, verworfen und wird jetzt, 10 Jahre später, wieder versprochen. Jede Corporate Governance – auf Deutsch: Anstand – wurde verletzt.

Warum ich mir das angetan habe, im Wissen, dass man ohne Packeleien keine Chance hat? Das Leben besteht aus Erfahrungen. Ich habe in den Wochen vor dem 17. August 2006 und an diesem Tag mehr über Österreich verstanden, als ein Student der Politologie in fünf Jahren lernen könnte. Und so können die KURIER-Leser und Gebührenzahler authentisch erfahren, wie es im ORF zuging, und wohl gerade wieder zugeht: Die Parteien bestellen, die Zuseher bezahlen die Rechnung.

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