CD zum Neujahrskonzert: Ein-Hit-Wunder am strauchelnden Klassikmarkt
Die nächste Nummer eins der heimischen Albumcharts steht schon fest. Denn am morgigen Freitag erscheint die Aufnahme des Neujahrskonzerts 2020 der Wiener Philharmoniker. Die Einspielungen des größten Klassikevents der Welt haben den Charts-Spitzenplatz in Österreich seit der Jahrtausendwende fix gebucht, 2018 gab es Doppel-Platin.
Es ist aber auch fast der einzige Hit, über den sich die Branche Jahr für Jahr freuen darf.
Denn der Markt für ernste Musik, um es so zu beschreiben, ist schwieriger denn je. Und im neuen Streaming-Umfeld wird es nicht leichter.
Klassik ist nicht tot
Dass der Jazz nicht eben ein Verkaufshit ist, ist bekannt. Dass aber die Klassik auch nicht mehr verkauft, vielleicht weniger: Beide Genres hatten im ersten Halbjahr 2019 in den USA nur je ein Prozent des Gesamtmarktes.
Und selbst das ist, zumindest aus puristischer Sicht, geschönt. Denn im immer noch größten Musikmarkt der Welt zählen u. a. auch Filmsoundtracks zur klassischen Musik – und diese beherrschen die dortigen Klassikcharts. Nur wenig von dem, was man in Österreichs renommierten Konzertsälen angeboten bekommt, kann sich dort behaupten.
Und der Anteil der Klassik am Markt ist so gering, dass wenige 100 verkaufte Exemplare schon für eine hohe Position in den US-Klassikalbumcharts reichen.
Dabei ist die Klassik bei den Albumverkäufen vergleichsweise stark – auf niedrigem Niveau. Was aber hauptsächlich daran liegt, dass in anderen Genres weit weniger Wert auf ganze Alben gelegt wird. Das erfolgreichste Genre überhaupt, der Hip-Hop, verzeichnet nur 12,6 Prozent der Albumverkäufe.
Die Klassik: 2,2 Prozent.
Diese Zahlen werden sich weltweit ein bisschen zugunsten der Klassik verschieben. In Österreich betrug der Klassikmarkt zuletzt 2 Prozent des Gesamtmarktes.
Und dennoch: Im neuen Musikökosystem – weniger Tonträger werden verkauft, das meiste Geld macht Streaming – hat es die Klassik schwer. Allein schon, weil die prominenteste Musikplattform, Spotify, Klassikfans überaus schlecht bedient.
Zwar gibt es ein großes Angebot – aber alleine so grundlegende Infos wie Dirigent oder Besetzung sind in der App nur durch mehrere Fingerverrenkungen und das Wühlen in verborgenen Menüpunkten herausfindbar.
Es gibt daher einige alternative Streamingplattformen für Klassik – mit angepasster Abrechnung. Denn dort wird pro Sekunde abgerechnet, nicht, wie bei Spotify, pro Stream. Sonst zählt nämlich ein ganzer Aufzug einer Wagner-Oper genau so viel wie ein 2,5-Minuten-Pophit.
Auch im Klassikbereich wachsen Streaming und der digitale Konsum – aber langsamer als anderswo. Auch, weil hier viele jener versammelt sind, die sich die Klangqualität auf die Fahnen geheftet haben und bei Streaming Zweifel an dieser haben – obwohl die Möglichkeiten weit über den Klangraum der CD hinausgehen.
Dass die Altersgruppe beim Streaming auf technologische Probleme stoße, ist ein veraltetes Vorurteil.
Dass aber Pop, Hip-Hop und elektronische Musik sich rasant eine neue Existenz im Streaming gefunden haben, stellt die Klassik vor eine ganz praktische Herausforderung: Da selbst mit dem reichweitenstärksten Pop-Tonträger kaum noch ein Geschäft zu machen ist, verschwand die Verkaufsinfrastruktur großflächig.
Wer nicht online bestellen will, muss in den Fachhandel (wo die Preise zuweilen auch Beratungsleistung und Innenstadtmiete beinhalten). „Es gibt inzwischen ganze Länder ohne Musikhandel. Die Klassik ist zu klein, um ihn zu erhalten“, sagte der designierte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić noch als Chef von Sony Classical im KURIER-Interview.
Decrescendo
Das ganze Dilemma hat sich in eine Abwärtsspirale verfestigt: Auch prominente Künstler beklagen sich hinter den Kulissen, dass sie für aufwendigere Einspielungen selbst Geld vorstrecken müssten oder diese schlicht abgelehnt würden. Das, was die größten Stars in Oper und Konzert dem Publikum an höchster Kunst darbieten, trennt sich zunehmend von dem, was sie aufnehmen (etwa, im Falle Jonas Kaufmanns, zuletzt Wienerlieder). Und der Impact und Absatz einzelner Einspielungen – von denen es wahrlich genug gibt – ist gering.
Umso freudiger stürzt sich die Branche dann auf Gelegenheiten, sich den bekannten Hits zu widmen: Rund um das Beethovenjahr 2020 gibt es eine Schwemme an Neuaufnahmen all dessen, das bereits x-fach aufgenommen worden ist.
Und alljährlich eben: Vielerlei vom Strauß in allen Varianten beim Neujahrskonzert. Ab morgen auf, ja, CD erhältlich.
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