Burgtheaterdirektorin Bergmann: "Frauenfußball ist doch genauso spannend“

Burgtheaterdirektorin Bergmann: "Frauenfußball  ist doch genauso spannend“
Die scheidende Burgtheaterdirektorin über treue Seelen, exzellente Auslastungszahlen, die Quote und den Putz, auf den sie bis Ende Juni hauen wird.

KURIER: Ihre Zeit als Burgtheaterdirektorin endet im Sommer. Macht sich Wehmut breit?

Karin Bergmann: Definitiv nicht. Merkwürdigerweise fragen mich das auch meine Vorgänger, der 90-jährige Gerhard Klingenberg und der 81-jährige Claus Peymann. Und man warnt mich davor, dass ich in irgendwelche Löcher fallen würde. Ich glaub’ das aber nicht.

Sie wissen ja bereits, wie es als Pensionistin ist.

Richtig. 2010, nach dem ersten Jahr von Matthias Hartmann, sagte ich, dass ich aufhöre. Ich konnte seine Entscheidungen nicht mittragen. Und im Frühjahr 2014, nach der Entlassung von Hartmann, holte mich der damalige Kulturminister Josef Ostermayer zurück.

Auch wenn es noch fünf Monate bis zu Ihrem Abschied sind, zog das „profil“ bereits Bilanz.

Unter dem Titel „Treue Seele“. Im Ruhrgebiet, wo ich herkomme, ist eine treue Seele jemand, der nicht sonderlich hell auf der Platte ist. So sehe ich mich nicht.

Das Magazin meint, Sie hätten „viele Regietrends einfach verschlafen“. Haben Sie?

Ich habe mit Autoren wie Ayad Akhtar, Thomas Köck, Ferdinand Schmalz, Ewald Palmetshofer gearbeitet. Ich habe nichts verschlafen, weder Susanne Kennedy noch Ersan Mondtag. Mich interessieren tatsächlich Stoffe mehr als Stile oder Trends. Und ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich jemand bin, der lieber vor vollem Haus spielt. Das hängt auch mit der schwierigen finanziellen Situation, in der ich das Haus übernommen habe, zusammen. Daher habe ich Stücke wie „Das Konzert“ von Hermann Bahr angesetzt. Weil ich wusste, dass es über Dezennien eines der bestbesuchten war. So konnte ich auch etwas riskieren.

Burgtheaterdirektorin Bergmann: "Frauenfußball  ist doch genauso spannend“

Sind Sie vielleicht auch in eine Erzählung geraten, gegen die Sie sich kaum wehren konnten? Ihr Auftrag war, das Haus in ruhigere Gewässer zu führen, den Brand zu löschen ...

Das stimmt. Am Tag nach der Bestellung stand ich mit Ostermayer vor der Presse. Ich hatte überhaupt keine Zeit gehabt, mir Gedanken zu machen. Und so sagte ich zu meiner eigenen Überraschung, dass ich große Stoffe und einen neuen „Jedermann“ machen würde. Dafür, dass wir damals nicht einmal gewusst haben, wie viele Produktionen wir uns überhaupt leisten können, habe ich mit der „Orestie“, den „Persern“, mit „Antigone“ und dem Sensations-„Jedermann“ von Schmalz vieles realisieren können. Darüber bin ich sehr froh.

Bei Ihrer letzten Spielplanpressekonferenz im April 2018 sagten Sie: „Fünf Jahre sind keine Ära.“ Was sind sie dann?

Früher lag dem Vokabel „Ära“ ein bestimmtes Zeitmaß zugrunde. Vielleicht habe ich auch zu großen Respekt vor solchen Wörtern. Eine „Ära“ steht für Menschen, die etwas Einzigartiges geschaffen haben.

Haben Sie das Burgtheater nicht aus der tiefsten Krise geführt, in der es jemals war?

Ich weiß schon, dass ich etwas geschaffen habe, auf das ich stolz sein darf. Von den 107 Premieren meiner Direktionszeit sind 41 Ur- und Erstaufführungen. Und wir haben einen Eigendeckungsgrad von 27 Prozent. Das ist stattlich. Trotzdem tu ich mir mit dem Wort „Ära“ schwer. Ich untertreibe lieber ein bisschen, anstatt den Mund zu voll zu nehmen – wie andere, die vor mir hier gesessen sind. Um die Leute positiv zu überraschen. Das, glaube ich, ist mir geglückt. Das Publikum hat verstanden, dass hier eine super Arbeit gemacht wird.

Sie haben tatsächlich eine Auslastung von 83 Prozent?

Ja. Ich habe eben eine Liste mit den beliebtesten Aufführungen in dieser Saison erstellen lassen: „Mephisto“ ist zu 98 Prozent ausgelastet, „Medea“ zu 96 Prozent, „Der Besuch der alten Dame“ zu 94 Prozent, „John Gabriel Borkman“ zu 98 Prozent und so weiter. Es ist unglaublich! Die Kartenerlöse stiegen sukzessive um fast ein Drittel von 7,44 Millionen Euro in der Saison 2013/’14 auf zuletzt 9,58 Millionen.

Eine ziemliche Vorgabe für Ihren Nachfolger Martin Kušej?

Er hat aber auch etwas von den exzellenten Einnahmen: Ich übergebe das Haus nicht nur schuldenfrei, sondern auch mit einem Polster. Das ist für ihn schon ganz fein. Und: Am Anfang war gar nicht klar, ob wir das Kasino am Schwarzenbergplatz als dritte Spielstätte halten können. Ich musste darum kämpfen. Nun gibt es sogar Rücklagen, zweckgewidmet für die Renovierung.

Kušej beginnt im September – und alles wird neu?

Er hat ja schon einiges verraten, darunter sein Interesse an einer Internationalisierung. Aber das müssen Sie ihn fragen.

Klingenberg holte in den 70er-Jahren viele europäische Regisseure. Und Achim Benning wandte sich dem Osten zu.

Welche Ausrichtung auch immer, man kann das Rad hier nicht immer neu erfinden. Da hatte ich es fast einfacher, weil ich die Burg im fliegenden Wechsel übernommen habe.

Peymann, mit dem Sie 1986 nach Wien kamen, hat tatsächlich viel neu gemacht.

Er hat zum Beispiel auch zehnmal seinen Vorgänger inszenieren lassen. Aber natürlich hatte er das Glück, dass er diese tolle Phalanx lebender österreichischer Dichter hatte – von Thomas Bernhard über Peter Turrini bis zu Elfriede Jelinek. Und er brachte eine neue Ästhetik herein. Er knipste das Licht an, wie ich immer sage: Er holte die Inszenierung nach vorne – und plötzlich haben die Leute was gesehen. Davor haben sie vor allem die tollen Stimmen gehört.

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In Ihren fünf Jahren gab es keinen einzigen Bernhard.

Ich hatte mir von Peymann einen gewünscht, er hatte sich anders entschieden. Aber im Februar, zum 30. Todestag, wird es eine szenische Lesung von Dramoletten geben. Sie thematisieren Intoleranz, Fremdenhass und Alltagsfaschismus. Ich finde sie hoch aktuell, wie für jetzt geschrieben. Ich lasse auch über die Frage diskutieren: Ist Bernhard immer noch ein Übertreibungskünstler? Oder sind wir in seiner Beschreibung der Wirklichkeit angekommen?

„profil“ meint, Sie hätten wenigstens in Ihrem letzten Jahr „auf den Putz“ hauen müssen.

Das tue ich! Es gibt noch 13 Premieren, davon fünf Ur- und Erstaufführungen. Im Februar kommt eine Produktion, die ich mir gewünscht habe: „Hiob“ nach dem Roman von Joseph Roth mit Peter Simonischek. Das inszeniert Christian Stückl. Johan Simons macht im April „Woyzeck“ – und Herbert Fritsch das, was er am besten kann, ein Projekt. Philipp Hauß wird erstmals hier Regie führen – bei der Uraufführung „Zu der Zeit der Königinmutter“ von Fiston Mwanza Mujila. Und wir haben noch einmal René Pollesch: In „Deponie Highfield“ werden nicht nur Caroline Peters und Martin Wuttke spielen, sondern auch Birgit Minichmayr. Birgit hat, abgesehen von dem Jahr, in der sie ihre Zwillinge bekommen hat, immer an der Burg gespielt. Das zu erwähnen ist mir wichtig. Denn ich habe schon gestaunt, als ich kürzlich in fast allen Gazetten las, dass Birgit „zurückkehren“ werde.

Maria Happel erlitt einen doppelten Sprunggelenksbruch, daher musste die Premiere „Die Stühle“ von Eugène Ionesco in der Regie von Peymann auf den 13. März verschoben werden. Was haben wir noch?

Andrea Breth hat mit den Proben zu „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann begonnen. Johanna Wokalek kehrt dafür zurück. Und statt der Dramatisierung des Romans „Indigo“ von Clemens J. Setz macht Jan Bosse die Uraufführung „In Ewigkeit Ameisen“ von Wolfram Lotz. Ich bin da sehr optimistisch. Wir haben ja schon einmal kurzfristig ausgetauscht – wir hatten Flaubert geplant, sind dann auf Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ mit Joachim Meyerhoff gewechselt – und es wurde ein riesiger Erfolg.

Was ist mit dem angekündigten Projekt von Meyerhoff?

Es kommt Mitte April! Anders als ursprünglich geplant will er mitspielen. Wogegen ich natürlich nichts habe.

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Sie haben jetzt die wichtigsten Produktionen aufgezählt. Und es gibt nur eine einzige Regisseurin. Ist das nicht traurig?

Das liegt nicht nur an mir. Ich habe mit Barbara Frey gearbeitet, mit Jette Steckel und Alia Luque. In den kleineren Spielstätten haben wir, glaube ich, einen ganz guten Schnitt. Es gibt leider immer noch zu wenige Frauen, die man an die Burg holen kann. Denn, wie gesagt, ich bin jemand, der die Quote verteidigt. Ein volles Haus macht uns unangreifbar.

Sie geben also Regisseur Frank Castorf recht, der nur Männerfußball gelten lässt.

Das tue ich sicher nicht. Frauen sind schwer im Kommen! Und Frauenfußball ist genauso spannend!

Laut einer Studie seien im deutschsprachigen Raum die Regie-Gagen von Frauen um 46 Prozent geringer als jene von Männern. Auch in der Burg?

Das ist bei uns definitiv nicht der Fall. Regisseurinnen und auch Schauspielerinnen bekommen das Gleiche wie ihre Kollegen.

Kušej tauscht ein Drittel des Ensembles aus, er verzichtet u.a. auf Stefanie Dvorak, Petra Morzé, Christiane von Poelnitz, Irina Sulaver und Michael Masula. Sie mussten tatenlos zusehen?

Was ich unfassbar finde: Dass es überhaupt keinen Schutz mehr gibt – auch nicht für Schauspieler, die bereits seit 20 Jahren hier sind. Das gibt es an keinem Theater in Deutschland. Dort ist man nach 15 Jahren unkündbar.

Das Volkstheater braucht eine neue Leitung. Was raten Sie?

Es hat nur eine Zukunft, wenn es ein Ensembletheater bleibt.

Und was werden Sie nach dem 30. Juni machen?

Vielleicht in Bad Radkersburg in meinem Garten sitzen und über den Plan nachdenken, dort ein kleines Literaturfestival zu realisieren.

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