Burgchefin Bergmann: "Man hat alles gewusst"

Interview mit Burg-Chefin Karin Bergmann am 01.09.2015.
Karin Bergmann und Klaus Missbach über die Flüchtlingsproblematik, das "Theater des Jahres" und die Strache-Affäre: "Wir hätten die „Internationale“ ganz gespielt"

Derart rasch wird selten Leistung honoriert: Im März 2014 übernahm Karin Bergmann, aus dem Ruhestand zurückgeholt, die Leitung des Burgtheaters, das sich in der größten Krise seiner Geschichte befand. Und vor einer Woche gab die Fachzeitschrift Theater heute bekannt, dass die Burg von den Kritikern zum "Theater des Jahres" gewählt wurde.

Den KURIER empfing Bergmann zum Interview schelmisch als Werbeträgerin: Auf ihrem schwarzen T-Shirt steht im Corporate Design "Theater des Jahres Burg 2015". Und weil sie sich nicht brüsten will, hat sie Klaus Missbach, den Chefdramaturgen, hinzugeholt.

KURIER: Müssten Sie Matthias Hartmann, der im März 2014 gefeuert wurde, nicht zu Dank verpflichtet sein? Ohne die Malversationen, die in seiner Zeit passierten, wären Sie nicht Direktorin geworden. Und das Burgtheater hätte man vielleicht nicht zum Theater des Jahres gewählt.

Karin Bergmann: Ich kann Ihnen versichern, ich bin nicht jeden Morgen glücklich, dass ich von Minister Josef Ostermayer nach dem Finanzcrash ans Haus zurückgeholt wurde. Das war ein hartes Jahr. Auch im Sommer habe ich mich immer wieder gefragt: "Bergmann, vielleicht hast du dich doch übernommen?" Aber dann überwiegt wieder die Freude.

Ganz besonders jetzt: Das zuvor tief verschuldete Burgtheater stieg wie Phönix aus der Asche.

Bergmann: Die Burg ist ein derart großartiges Theater, es wäre sicher wieder einmal Theater des Jahres geworden. Aber natürlich: Dem jetzt gepriesenen Aufschwung ging eine große Beschädigung voraus. Die Auszeichnung ist dem ganzen Haus zu verdanken: Alle haben gezeigt, dass ihnen die Burg am Herzen liegt.

Klaus Missbach: Und wir hatten in diesem schwierigen Jahr gleich drei sehr gelungene Produktionen: "Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz in der Regie von Dusan David Parizek wurde zum Stück des Jahres und zur Inszenierung des Jahres gewählt, herausragend waren auch die Uraufführung "die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer und Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen".

In allen drei Produktionen spielte Stefanie Reinsperger, zugleich Schauspielerin und Nachwuchsschauspielerin des Jahres, mit. Tut es dann nicht besonders weh, dass sie und Parizek zu Anna Badora ans Volkstheater abgewandert sind?

Missbach: Wir beobachten Reinsperger schon lange. In Düsseldorf realisierte sie mit Parizek sehr gute Produktionen. Als wir sie fragten, ob sie nicht zu uns kommen wolle, gab es bereits Gespräche zwischen Parizek und Badora. Reinsperger sagte uns: "Ihr könnt mich gerne engagieren – aber nur für ein Jahr, denn ich gehe mit Parizek ans Volkstheater." Es war natürlich nicht absehbar, welch unglaublichen Erfolg die beiden am Burgtheater haben würden. Aber nun sind sie eben am Volkstheater. Der Eindruck, Badora hätte sie uns abgeluchst, ist falsch.

Bergmann: Steffi wird ihre drei Rollen weiterspielen, und dafür bin ich Badora sehr dankbar. Und es ist ja nichts in Stein gemeißelt. Die Zeiten, in denen man exklusiv an einem Haus spielt, sind vorbei. Jetzt freue ich mich mal über ihre Eröffnung am Volkstheater.

Burgchefin Bergmann: "Man hat alles gewusst"
Interview mit Burg-Chefin Karin Bergmann am 01.09.2015.
In einer Reaktion auf die Wahl zum Theater des Jahres sagten Sie, dass Sie das 60-Jahr-Jubiläum der Burg-Wiedereröffnung der Flüchtlingsproblematik widmen wollen. Warum? Der Bürgermeister meint, dass es in Wien keine solche gebe. Bergmann: Man sollte das Thema vielleicht nicht so lokal sehen wollen. Vor zehn Jahren, zum 50. Jahrestag, haben wir den Dichter Navid Kermani eingeladen. Er durfte sich das Thema frei suchen. Seine Rede, die wir publiziert haben, hieß "Nach Europa". Kermani hat vorweggenommen, was jetzt passiert. Das heißt: Man hat alles gewusst. Nicht nur die Dichter, die Seismografen oder Visionäre sind, haben es gewusst, sondern auch die Politiker. Dass man mit Scheuklappen durch die Gegend rennt nach dem Motto „Es wird uns schon nicht treffen“: Das ist mir einfach unbegreiflich! Ich war am Montag bei der Demonstration, die von Nadia Rida initiiert worden war. Da waren immerhin 20.000 Menschen. Ich weiß schon, dass man damit Regierungen nicht beeindruckt. Aber ich hoffe, dass sich die Zivilgesellschaft, die bereits großartig hilft, noch stärker formiert. Wenn das Burgtheater ein Jubiläum zu feiern hat: Dann möchte ich es dazu nutzen, um an diesem Thema zu bleiben.
Missbach: Ich war vor Kurzem in Traiskirchen. Die vielen Wiener, die mit ihren Autos hingefahren sind und direkt geholfen haben, die Kleidung und Lebensmittel verteilt haben: Das hat mich berührt, das war beeindruckend. Es ist erschütternd, dass es der Politik nicht gelingt, das absehbare Problem in den Griff zu bekommen. Man hat das Gefühl, im Moment auch aus wahltaktischen Gründen.

Der Jubiläumstag ist der 14. Oktober – drei Tage nach der Wien-Wahl. Ein interessantes Datum.
Bergmann: Wir kriegen die Veranstaltung nicht direkt am 14. Oktober hin. Aber rund um dieses Datum, vielleicht schon vor der Wahl. Ich möchte sie so früh wie möglich machen.

Im Jahr 2000, nach der Wende zu Schwarz-Blau, wurde das Burgtheater von Demonstranten gestürmt. In der Folge öffnete der damalige Direktor Klaus Bachler das Haus – zum Beispiel für Diskussionsveranstaltungen. Können Sie sich heute Ähnliches vorstellen?
Missbach: Das Burgtheater wird immer ein Forum für den politischen Diskurs sein. Letztes Jahr haben wir Refugees ins Vestibül eingeladen. Sie präsentierten „Die Schutzbefohlenen“ in ihren Sprachen. Und nach etlichen Jelinek-Vorstellungen gab es Publikumsdiskussionen. Es war erstaunlich, wie viele Leute blieben. Das werden wir fortsetzen.
Bergmann: Man hat derzeit das Gefühl, dass Europa doch nichts anderes als eine Wirtschaftsunion ist. Wenn es um Solidarität geht, ziehen alle wieder ihre Mauern hoch. Das halte ich für sehr gefährlich. Unser Plan ist es, im Oktober und November mehrere Veranstaltungen anzubieten. Es geht aber nicht darum, dass die Burg zu einem – flapsig gesagt – Debattierclub wird. Wir müssen Stellung beziehen, Fragen stellen und den Finger in die Wunde legen. Aber lösen können wir das Problem nicht. Gelöst werden muss es von den Menschen, die wir gewählt haben – und die das Problem eigentlich seit langem kennen.

Haben Sie richtig gewählt?
Bergmann: Ich darf in Österreich nicht wählen. Ich bin ja Ausländerin.

Noch immer? Sie leben seit 1986 in Wien – und Ihr Mann, der Architekt Luigi Blau, ist Österreicher.
Bergmann: Ich bin nicht stolz darauf, Deutsche zu sein, aber ich habe nie daran gedacht, Österreicherin werden zu müssen – auch wenn es wunderbar ist, in diesem Land zu arbeiten, denn Theater hat hier einen viel höheren Stellenwert als in meinem Heimatland. Nationalitäten interessieren mich nicht. Ich habe mich eben immer als Europäerin gefühlt.

Vor ein paar Jahren gab es im Akademietheater eine packende Inszenierung von Wajdi Mouawads Stück „Verbrennungen“. Auf den aktuellen Spielplan scheint sich die Flüchtlingsproblematik aber nicht ausgewirkt zu haben.
Bergmann: Oh doch! Ich kann Ihnen eine Neuigkeit berichten: Antú Romero Nunes hat sich im Sommer durch das Werk von Joseph Roth gearbeitet. Er wird im Akademietheater einen Abend auf Grundlage des Romans „Hotel Savoy“ realisieren – unter dem Titel „Hotel Europa“.

Uraufführungen sind Ihnen wohl sehr wichtig? Sie bringen eine Dramatisierung von Maja Haderlaps preisgekröntem Buch „Engel des Vergessens“. Und Claus Peymann, Ihr früherer Arbeitgeber, hebt Peter Handkes neues Stück aus der Taufe.
Bergmann: Es geht mir nicht so sehr um Uraufführungen. „Die Schutzbefohlenen“ zum Beispiel haben wir nachgespielt. Ich fand es aber wichtig, dieses Stück zu zeigen, das als Reaktion auf die Flüchtlinge in der Votivkirche entstand. Und daher gehören „Die Schutzbefohlenen“ nach Wien. Wichtig sind neue Texte. Wir bringen zum Beispiel ein Stück einer jungen Autorin Miroslava Svolikoa, eine der Gewinnerinnen des Retzhofer Dramapreises. Und wir arbeiten mit Palmetshofer, Lotz und Ferdinand Schmalz weiter.

Sie wollten sich auch um Regisseure bemühen, die als Konkurrenten um Ihren Job galten. Konkret: Wird Martin Kušej, seit 2011 Theaterintendant in München, wieder inszenieren?
Bergmann: Ja, aber leider erst in der nächsten Spielzeit. Ein konkretes Stück gibt es noch nicht. Ich bin auch mit Johan Simons in guten Gesprächen.

René Pollesch scheint kein Abo mehr zu haben auf eine Produktion pro Spielzeit.
Bergmann: Ich möchte keine automatischen Verlängerungen. In der nächsten Saison wird es aber wieder ein Stück von ihm geben. Ich habe mit ihm bereits über Themen gesprochen, die gut nach Wien passen würden. Es können nicht alle guten Regisseure jedes Jahr hier arbeiten. Ich möchte versuchen, auch jungen Regisseuren eine Chance zu geben. Cornelia Rainer zum Beispiel wird inszenieren. Mit Alexander Wiegold und Carina Riedl – mit ihrer Inszenierung von „dosenfleisch“ von Schmalz eröffnen wir am 18. September die Saison im Kasino – möchte ich weiterarbeiten.

Daher inszeniert Dieter GiesingBella Figura“, das neue Stück von Yasmina Reza?
Bergmann: Er ist das andere Extrem. Ja, ich habe eine gewisse Treue gegenüber Menschen, die mich mein ganzes Theaterleben begleiten.

Sie haben auch angekündigt, große Stoffe auf die Bühne bringen zu wollen, darunter die „Göttliche Komödie“, die „Orestie“, die „Nibelungen und den „Jedermann“. Wird das was?
Bergmann: Über die „Orestie“ werde ich im Laufe dieses Jahres konkret sprechen können. Und mit „Jedermann“ bin ich ziemlich gut unterwegs. Ich habe ihn mir kürzlich wieder in Salzburg angeschaut. Cornelius Obonya fand ich großartig. Das Stück ist es auch: Der Stoff wirft die zentralen Fragen auf, die jeder Mensch hat. Es ist aber klar, dass man den „Jedermann“ am Burgtheater nicht so erzählen kann, man muss ihn in einer zeitgenössischen Form bringen.

Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache besuchte den „Jedermann“. Aus Protest intonierten die Musiker ein paar Takte der „Internationale“, nachdem sie ihn im Publikum erblickt hatten. Intendant Sven-Eric Bechtolf und Präsidentin Helga Rabl-Stadler distanzierten sich. Wie würden Sie damit umgehen?
Bergmann: Wäre das im Burgtheater passiert: Wir hätten die „Internationale“ ganz gespielt. Wenn die künstlerische Arbeit nicht beschädigt wird, würde ich mich hinter meine Künstler stellen.

Minister Josef Ostermayer erhöhte die Basisabgeltung für die drei Bundestheater um 14 Millionen Euro. Großes Aufatmen?
Bergmann: Das ist einerseits absolut prima. Wir wissen aber noch nicht, wie hoch unser Anteil ist. Denn die Situation ist auch für die Staats- und die Volksoper schwierig. Der große Wermutstropfen ist, dass die dringend benötigte Valorisierung nicht erreicht wurde. Das bedeutet letztlich die Prolongierung der Krise. Denn in drei, vier Jahren wird das Burgtheater erneut in einer finanziell schwierigen Lage sein. Der Minister sagt, die jüngsten „Strukturveränderungen“ hätten dazu beigetragen, dass die Burg zum Theater des Jahres gewählt wurde. Das finde ich eine schöne Sichtweise. (Sie grinst süffisant.) Ich hoffe, er trägt auch in Zukunft das Seine dazu bei.

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